Beim Ausheben neuer Schützengräben an den Schlachtfeldern der Ost-Ukraine werden regelmäßig auch Knochen freigelegt: sterbliche Überreste von Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. "Wir sind eigentlich wieder genau am selben Punkt wie damals", seufzt Artur Berger: "Dort, wo die Toten lagen, kommen schon wieder neue dazu." Dennoch hält der 35-Jährige aus Kassel an seiner Mission fest: Er will dazu beitragen, dass alle Kriegstoten eine würdevolle letzte Ruhestätte erhalten. Berger ist einer der sogenannten Umbetter des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, das heißt, seine Aufgabe ist das Finden und Bergen von Kriegstoten.

Arbeit gibt es genug für den Verband mit Sitz in Kassel, der europaweit mit ortsansässigen Partnern zusammenarbeitet: Noch immer werden vor allem in Osteuropa Jahr für Jahr die sterblichen Überreste mehrerer Tausend deutscher Kriegstoter geborgen. Schätzungen zufolge könnte es noch bis zu 1,1 Millionen Menschen geben, die nicht in einem regulären Grab bestattet wurden.

Wie man Kriegstote umbettet

Artur Berger kam nach einer kaufmännischen Ausbildung zum Volksbund, anfangs ins Controlling. Inzwischen ist er als Umbetter bis zu 150 Tage im Jahr unterwegs in halb Europa. Sein Zuständigkeitsbereich ist der sogenannte "Umbettungsbereich 3", der vom Balkan bis zum Baltikum reicht. Er pflegt die Beziehungen zu Behörden, vermittelt bei Problemen. Und immer wieder übernimmt er auch selbst die Bergung von Toten, um ihre Überreste dann auf einen Soldatenfriedhof zu überführen.

Für ihn sei das ein fast meditativer Moment, sagt Berger: "Man überlegt, was hat er wohl in seinen letzten Augenblicken gesehen, warum liegt er hier." Und dann stelle er sich immer wieder die Frage, was aus diesen Männern wohl noch hätte werden können, wenn sich nicht zum Sterben in den Krieg geschickt worden wären.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges lief der Umgang mit den deutschen Kriegstoten noch relativ geordnet ab, wie er sagt. Gräberoffiziere der Wehrmacht achteten penibel darauf, dass die getöteten Soldaten im Einklang mit allen Dienstvorschriften bestattet wurden und dass alles ordnungsgemäß dokumentiert wurde. Die erhaltenen Unterlagen helfen teilweise noch heute beim Auffinden der Toten.

Später, bei den verlustreichen Schlachten gegen die Rote Armee und den Rückzugsgefechten zum Ende des Krieges, hatte jedoch niemand mehr Zeit und Kraft, tiefe Gräber in teils gefrorenen Böden auszuheben oder genaue Pläne anzufertigen. Die Toten seien stattdessen beispielsweise in Bombentrichter geworfen oder in den Bergen Jugoslawiens einfach liegengelassen worden, berichtet Berger. Im polnischen Danzig vermutet der Volksbund die Überreste von womöglich bis zu 1.000 Menschen aus den letzten Kriegswochen in einem zugeschütteten Panzergraben.

Während die Suche nach deutschen Kriegstoten in den Ländern Westeuropas, aber auch in Nordafrika schon recht bald nach Kriegsende begann, konnte die Arbeit in Osteuropa in großem Maßstab erst nach der politischen Wende Ende der 1980er Jahre beginnen. Da es inzwischen kaum noch Zeitzeugen gibt, ist das Auffinden der sterblichen Überreste schwieriger geworden. Und nicht nur der Volksbund interessiert sich dafür.

Zahlreiche "Schwarzgräber" sind auf der Suche nach erhaltenen Uniform- oder Waffenteilen, um sie an Militaria-Sammler in aller Welt zu verkaufen. Da deren in der Regel illegales Treiben ohnehin nicht zu stoppen sei, gebe es mittlerweile sogar Kontakte des Volksbundes in die Szene, sagt Berger:

"Die interessieren sich in der Regel nicht für die Knochen." Und an Orden oder Koppelschlössern habe wiederum der Volksbund kein Interesse.

Arbeit des Volksbundes Deutscher Kriegskräberfürsorge

Von den Behörden der jeweiligen Staaten werde die Arbeit des Volksbundes positiv wahrgenommen. Die Kriegsgräberfürsorge ist sogar nach dem Abbruch fast sämtlicher politischer und zivilgesellschaftlicher Kontakte auch weiterhin in Russland und Belarus aktiv. Auch in der Ukraine wird abseits der Frontgebiete weiterhin gesucht.

Unter der örtlichen Bevölkerung der Länder, die einst unter dem deutschen Vernichtungskrieg unendlich leiden musste, gebe es nur noch vereinzelt Ressentiments gegen die Deutschen, so die Erfahrung von Berger. Denn auf Hinweise aus der Bevölkerung sind er und seine Kollegen oft angewiesen, wenn sie nach den Überresten von Kriegstoten fahnden.

Beispiel aus Russland - Umbettung

Artur Berger schildert ein kurioses Beispiel aus Russland. Dort habe sich einmal ein Mann telefonisch gemeldet und erklärt, in seinem Garten lägen wohl mehrere deutsche Soldaten unter der Erde. Ortskräfte des Volksbundes seien zur genannten Adresse gefahren, wo die Frau des Anrufers ihnen jedoch die Tür vor der Nase zugeschlagen habe. Wenig später habe sich der Anrufer erneut gemeldet, und erklärt, seine Frau sei soeben verreist. Der Volksbund habe genau drei Tage Zeit zurückzukommen, die Toten zu bergen und den Garten danach wieder in einen solchen Zustand zu versetzen, dass die Grabung nicht auffalle.

"Das haben wir dann so gemacht", berichtet Berger. "Und der Mann hat dafür quasi seine Ehe riskiert."

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