Kennen Sie diesen Typen am Rand des Fußballplatzes, der immer ins Spiel reinbrüllt und alles besser weiß? Er nervt, hat zwar manchmal sogar recht, meistens ist es aber Besserwisserei ohne eigene Konzepte. So ähnlich läuft das Spiel seit einigen Jahren in der Politik mit der AfD. Sie steht am Spielfeldrand, keiner will was mit ihr zu tun haben. Aber sie ist laut und bekommt wie der Krakeeler von der Seitenlinie gerade derzeit immer mehr Zuspruch.

In Deutschland gibt es 106 kreisfreie Städte und 294 Landkreise. Einer davon ist Sonneberg im südlichen Thüringen. Dort wurde am 25. Juni mit Robert Sesselmann erstmals ein Politiker der AfD zum Landrat gewählt. In der Stichwahl setzte er sich mit 52,8 Prozent der Stimmen gegen den amtierenden CDU-Kandidaten Jürgen Köpper durch, die Wahlbeteiligung lag bei 59,6 Prozent. Seitdem ist die politische Landschaft in Aufruhr. Die SPD spricht von einem "Dammbruch", die CDU macht die Grünen als Hauptakteure der Ampel-Regierung für das Erstarken der AfD verantwortlich, die am 26. Juni nach einer INSA-Umfrage bei 20,5 Prozent lag und damit nach der CDU mit 26,5 Prozent zweitstärkste Kraft im Bund wäre.

Die politische Performance der "Ampel" macht es der AfD derzeit leicht

Merz macht es sich zu leicht: Seine Vorgängerin Angela Merkel hat mit einem immer weiter nach links rutschenden Parteikurs den Aufstieg der AfD nicht nur befeuert; mit ihrem 2010 sogar zum "Unwort des Jahres" gekürten Begriff "alternativlos" zur Beschreibung ihrer Politik hat die Ex-Kanzlerin die 2013 gegründete Partei geradezu heraufbeschworen und den Namen miterfunden. Und manchmal Wasser auf die Mühlen derer gegossen, die der AfD langsam einen Märtyrer-Status beimessen: Als Merkel die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich, der 2020 mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt worden war, als "unverzeihlich" bezeichnete und bestimmte, die Wahl müsse rückgängig gemacht werden, wurden auch immer mehr stramme CDU-Wähler hellhörig, inwieweit diese politische Führung noch das Etikett "demokratisch" verdient. Franz Josef Strauß´ 1987 geäußertes Credo, nach dem es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben solle, ist längst von der Realität überholt.

Eigentore der Regierungsparteien

Die politische Performance der "Ampel" macht es der AfD derzeit leicht, vom Rand aus das Geschehen auf dem Feld runterzumachen: Die drei Regierungsparteien scheinen mit ideologischen Grabenkämpfen und dem nackten Überleben im Amt beschäftigt. Obendrauf kommt nun ein schlecht ausgearbeitetes Heizungsgesetz der Grünen, belastet durch die Graichen-Affäre, bei der ein Staatssekretär die "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" allzu wörtlich nahm. Dazu kommt ein Kanzler, der nicht als Gestalter auftritt, sondern meistens schweigt, und wenn er etwas sagt, Bürgerinnen und Bürger sogar beschimpft. So geschehen Anfang Juni beim "Europafest" in Falkensee, als er Kritiker niederbrüllte oder als er kurz darauf für die "Klimakleber" das Etikett "bekloppt" bereit hielt. Da grinst die AfD, wie die Regierung Wahlkampf für sie betreibt.

Die AfD war 2013 als EU-skeptische erstmals in Erscheinung getreten. Die ursprünglichen Vordenker mussten längst extremeren Akteuren weichen, die den Kurs immer weiter nach rechts gesteuert haben. Herausragendes Beispiel ist Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke, der wegen wiederholter NS-Vergleiche von Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang (CDU) als "rechtsextrem" eingestuft wurde. Ausgerechnet Höcke holte am Tag der Landratswahl in Sonneberg die AfD-Fraktion in Würzburg als Sprecher einer Kundgebung anlässlich des zweiten Jahrestages des Messerangriffs eines als später psychisch krank eingestuften Somaliers mit sechs Toten. Ergebnis: Rund 50 Personen wollten Höcke hören, der aber wegen bis zu 3000 Gegendemonstranten nicht zu Wort kam. Für die einen ein "Sieg der Demokratie". Für die anderen ein Zeichen, das deren Definition anscheinend von denen abhängt, die das Wort aussprechen. Wieder hat die AfD in den Augen ihrer Sympathisanten einen Punkt gemacht.

Die Menschen empfinden, dass sie nicht mehr gehört werden

Die evangelische Thüringer Regionalbischöfin Friederike Spengler rief nach der Wahl von Sesselmann auf, dessen Wähler nicht in eine politische Ecke zu stellen, da dies nur für zusätzlichen Frust und Abschottung führe. "Die Menschen empfinden offenbar, dass sie nicht mehr gehört werden und nicht mehr an demokratischen Prozessen beteiligt sind. Diese Gefühle müssen wir ernstnehmen. Weitere Sonntagsreden helfen da ebenso wenig wie Schuldzuweisungen. Stattdessen brauchen wir einen öffentlichen Diskurs, der erst einmal von gegenseitiger Akzeptanz geprägt ist und bei dem wir uns ausreden lassen", so Spengler in einem Statement.

Zurück zum Fußballplatz: Den Schreihals rausschmeißen? Geht, er kommt aber zurück und bringt seine Kumpels mit. Ignorieren? Funktioniert nur bedingt, weil sich immer jemand mit ihm solidarisiert. Vielleicht sollten die auf dem Platz also zusehen, wie sie ihr Spiel so in den Griff kriegen, dass das laute Meckern von außen obsoleter wird.

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