Wenig Fachpersonal und große Gruppen in Kitas und Krippen führen nach Befürchtungen von Experten dazu, dass die soziale Schere in der Gesellschaft weiter aufgeht. Die Professorin für Kindheitspädagogik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Roswitha Sommer-Himmel, sagte im Gespräch mit dem Sonntagsblatt, "gerade Kinder, die eine anregungsreiche Umgebung und feinfühlige Erwachsene brauchen, werden bis zu ihrer Einschulung abgehängt".

Milieus werden auseinanderdriften

Auf die Kleinen von Eltern aus dem Bildungsmilieu werde sich dagegen das Fehlen von Fachpersonal nicht ganz so stark auswirken:

"So werden die Milieus auseinanderdriften."

Sommer-Himmel hat zusammen mit Vertreterinnen und Vertreten anderer kindheitspädagogischer Hochschulen eine Stellungnahme zu den Plänen des bayerischen Sozialministeriums verfasst, die Fachkräftequote in Kitas zu verringern.

Auf der Grundlage einer Experimentierklausel sollten demnach beispielsweise auch Großmütter in Einrichtungen mitarbeiten dürfen. "Die Kita-Fachkräfte werden entsetzt sein, denn es wird alles infrage gestellt, was sie erlernt haben", sagte Sommer-Himmel. Es unterstelle, dass den Erzieherinnen-Beruf jede Frau machen kann:

"Dann geht es nicht mehr um Erziehung oder um Bildungsprozesse, sondern nur noch um Verwahrung und Betreuung."

Die Professorin fürchtet auch, dass der Kinderschutz auf der Strecke bleibt, wenn es keine altersangemessenen Gruppengrößen gibt: "Um Kinderschutz geht es bereits, wenn man sieht, was ein weinendes Kind braucht und so zu reagieren, dass nicht alle Kinder mitweinen."

Rechtsanspruch eingeführt ohne Lösung für die Umsetzung

Sommer-Himmel kritisiert, dass Rechtsansprüche eingeführt worden sei, ohne zuvor Lösungen für die Umsetzung zu haben. "Man muss hier mit offenen Karten spielen oder den Rechtsanspruch sukzessive umsetzen", sagt sie. Es sei nicht geklärt, wo die Fachkräfte herkommen sollen, welchen Raumbedarf es gibt und

"welche Qualität man den Familien gewährleisten will, die mit einem guten Gefühl ihre Kinder in die Obhut der Kitas geben wollen?".

Ein zweijähriges Kind könne sich in einer Gruppe von 20 Kindern nicht entfalten, sagt Sommer-Himmel. Auch um Grundschulkinder, die laut Plan um 13.30 Uhr Hausaufgaben machen müssten, statt spielen zu dürfen, sorgt sich die Kindheitspädagogin:

"Wir takten gerade wieder unsere Kinder durch, als wären sie kleine Erwachsene. Da waren wir schon einmal weiter."

Diese Lösung schlägt die Expertin vor

Die Expertin schlägt zur Lösung unter anderem vor, das Kita-Personal von Verwaltungs- und Hauswirtschaftsaufgaben zu entlasten. Sie plädiert auch dafür, die Abschlüsse ausländischer Fachkräfte anzuerkennen und für sie Anpassungskurse anzubieten.

"Die Politik braucht für solche Fragen eine fachliche Beratung, auf die sie hört", sagt die Professorin. An einem Runden Tisch sollte intensiv über die Fachkräftefrage nachgedacht werden. Sonst könnte an Kitas bald das Schild hängen: "Wegen Personalmangel geschlossen!"