Das wird ein Wochenende der Superlative: Die besten Athleten aus 190 Ländern kämpfen am Samstag, 24. Juni, in den Finals von 26 Sportarten um die Medaillen, und man darf sicher sein, dass dabei wieder ein paar Bestmarken purzeln – egal ob in der Leichtathletik, im Kunstturnen oder beim Freiwasserschwimmen, wo es bereits zwei deutsche Goldmedaillen gab. Zum ersten Mal seit 1936, als Berlin die Spiele unterm Hakenkreuz austrug, brennt in der Hauptstadt wieder olympisches Feuer – zu Ehren von 7000 Sportlerinnen und Sportlern mit einer geistigen Behinderung, die bei den Special Olympic World Games miteinander antreten.

Was ist jetzt Ihr erster Impuls: Oh ja – einschalten! Oder: Ach nee – umschalten …?

Anschauen oder wegschauen: Das ist auch im Alltag noch immer für viele die Millisekunden-Entscheidung, wenn sie auf der Straße oder im Café Menschen mit Behinderung begegnen. Berührungs­ängste und Unsicherheit sind oft der Grund – weil auch 16 Jahre, nachdem Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat, das Thema Inklusion nur mühsam vorankommt.

Dabei hat statistisch gesehen jeder Zehnte in Deutschland eine schwere Behinderung, das sind 7,9 Millionen Menschen in der Republik. Egal ob Kino, Fußballstadion oder Gottesdienst: Auf jedem zehnten Platz müsste ein Mensch mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen sitzen.

Teilhabe geht nur mit ehrenamtlichem Engagement

Dass das nicht so ist, liegt neben dem Thema "Barrieren" (auch die in den Köpfen) auch daran, dass viele Menschen mit Behinderung eine Begleitung brauchen, wenn sie ihren Interessen nachgehen wollen. Meist sorgen Angehörige für die kleinen Fluchten aus dem Alltag. Doch wer keine Familie (mehr) hat, verbringt die meiste Zeit des Jahres mit und in seiner (Wohn-)Gruppe. Individuelle Teilhabe? Geht nur mit ehrenamtlichem Engagement.

Davon gibt es viel, das zeigen zahlreiche Studien. Aber kaum jemand, sagt "Tatendrang", Deutschlands älteste Freiwilligenagentur, melde sich mit dem Wunsch, etwas mit Behinderten zu machen. Der Grund? Berührungsängste, Unsicherheit, siehe oben. Deshalb startet "Tatendrang" im Auftrag der Landeshauptstadt München gerade eine Kampagne, um Freizeitbegleiterinnen und -begleiter zu gewinnen. Für Oswald Utz, Behindertenbeauftragter der Stadt München, geht es dabei um Bewusstseinsbildung und die Frage: "Bin ich bereit, für mehr Inklusion in meinem Leben etwas zu verändern?"

Ob am Finalsamstag der Special Olympics alle den Live-Stream anschalten, ist dabei unerheblich.

Wichtiger wäre es, im Alltag einen Blick über das Mäuerchen der eigenen Komfortzone zu riskieren. Vielleicht gibt es da draußen ja Überraschendes zu entdecken.

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