Wenn Maria Anna Leenen aus ihrem alten Bauernhaus tritt, ist sie gleich mittendrin in der Natur. Wälder und Felder soweit das Auge reicht. Die Ziegen im Gatter direkt unter dem Küchenfenster meckern. "Die wollen raus, frisches Efeu fressen", erklärt die 65-Jährige, steigt in die kniehohen Gummistiefel und zieht den Reißverschluss ihres Anoraks hoch. Hündin Cura trabt mit weit ausholenden Schritten um sie herum. "Ich komme schon", ruft Leenen mit strahlendem Lächeln den Vierbeinern zu und eilt zum Gatter.
Eremitin seit fast 30 Jahren
Als Eremitin lebt die gläubige Katholikin seit fast 30 Jahren abgeschieden von der Welt - wenn auch nicht ohne Verbindung zu den Menschen. Die 65-Jährige hat Internet, hält Vorträge über eremitisches Leben, liest öffentlich aus ihren Büchern, fährt einmal pro Woche zum Lebensmittelmarkt. Doch die meiste Zeit des Jahres verbringt sie in ihrer Klause, einem leicht windschiefen, stets renovierungsbedürftigen Haus im nördlichen Osnabrücker Land. Dort ist sie allein mit sich und den Tieren. Kein Urlaub, kein Kino, kein Shopping, kein Grillabend mit Freunden - dafür Schreiben, Gebete, Lesen in der Bibel und Zwiesprache mit Gott. Als Diözesaneremitin untersteht Leenen offiziell dem Bischof, bezieht aber kein Gehalt.
Jeden Tag gönnt sie sich und ihren tierischen Mitbewohnern ein, zwei Stunden Auslauf im Wald. Der Regen im Winter hat ihnen zugesetzt: "Wochenlang versank hier alles im Matsch." Der sonnige Frühlingstag unter strahlend blauem Himmel ist für die sportlich-kräftige Naturliebhaberin ein Grund zu heller Freude.
Aus Gottes Schöpfung Hoffnung und Mut schöpfen
Doch die Einsiedlerin kann an allen, auch den dunklen Tagen des Jahres aus Gottes Schöpfung Kraft, Hoffnung und Mut schöpfen. Wie sie das macht, beschreibt sie in ihrem neuen, gerade im Bonifatius-Verlag erschienenen Buch "Fülle - Die schöpferische Kraft der Natur". Detail- und kenntnisreich schildert sie voller sprachlicher Bilder das Werden, Wachsen und Vergehen. Vieles hat sie selbst beobachtet und erfahren. Ein Literaturverzeichnis zeugt von umfangreicher Recherche.
Der Mensch könne an jedem neu aufgehenden Grashalm die Kraft der Schöpfung Gottes erkennen. Genauso zeugten aber auch die verwelkende Rosenblüte oder die Made, die sich von Kohlwurzeln ernähre, davon, dass alles Lebendige von Gott seinen Platz, seine Zeit und seinen Sinn zugewiesen bekomme. "Ich spüre diese Kraft täglich, weil ich in und mit der Natur lebe," sagt die Eremitin und fügt hinzu:
"Auch wenn sie manchmal unwirtlich ist."
Wichtig sei es, zur Ruhe zu kommen, um sich selbst zu spüren, sagt die Frau mit den kurzgeschnittenen weißen Haaren und rückt mit dem Stuhl an den Küchentisch heran. Hündin Cura legt ihr den schweren Kopf auf den Oberschenkel. "Ich sitze oft in meiner Kapelle oder draußen auf einem Baumstumpf und versuche, gar nichts zu denken, ganz bei mir zu sein." Das könnten viele heute nicht mehr. "Sie spüren sich nur noch, wenn sie laute Musik hören und drei Bier getrunken haben."
Gott ermöglicht Neustart
Gott ermögliche immer wieder einen Neustart. Darauf vertraut Leenen auch im Angesicht von Klimakatastrophe, Missbrauchsskandalen in ihrer Kirche und Kriegen. Sie hat das auch selbst oft erfahren - zuletzt nach einem schweren Unfall im Wald und als ihr im Corona-Lockdown die Einnahmen durch Lesungen und Vorträge wegbrachen.
"Ich wusste an manchen Tagen nicht, wie ich die Lebensmittel-Einkäufe bezahlen soll. Da war es gut, dass ich liebe Freunde habe."
Und doch bleibt auch für die Eremitin dieser Glaube eine Herausforderung. "Manchmal sitze ich in meiner Kapelle und weine und hadere damit, dass er das zulässt." Das Leiden so vieler Menschen derzeit in der Ukraine belaste sie sehr. Das versperre auch ihr manchmal den Blick auf eine Perspektive.
"Ich glaube aber fest, dass Gott immer neue Wege auch daraus ebnet. Dafür bete ich - und hoffe, dass ich recht behalte."