Die Vorstellung, dass das Leben irgendwann zu Ende ist, ist für die meisten Menschen unerträglich. Der Tod wird gerne verdrängt. Aber wie steht es mit der Frage "Who Wants to Live Forever", wie es die britische Rockband Queen einst tat? Da wird es spannend, findet der Augsburger Moralphilosoph Klaus Arntz.

Herr Arntz, was hat das mit unseren unerfüllten Wünschen und Träumen zu tun, wenn wir gerne unsterblich wären?

Klaus Arntz: Unserer Anliegen, den morgigen Tag zu erleben, hat damit zu tun, dass wir für den morgigen Tag ganz bestimmte Dinge in den Blick genommen haben, die wir realisieren oder selbst noch erleben wollen. Es gibt konkrete Wünsche, die sehr naheliegend sind, die uns weiterleben lassen. Das ist die These des britischen Moralphilosophen Bernard Williams: Nur der, der noch Wünsche hat, hat auch ein Interesse am Weiterleben.

"Erst die Tatsache, dass unser Leben endlich ist, verleiht den alltäglichen Gegebenheiten eine besondere Grundierung."

Im Film "Highlander" hat der Held keine Angst vor dem Tod, aber vor dem ewigen Leben. Wäre Unsterblichkeit ein Fluch oder ein Segen?

Arntz: Erst die Tatsache, dass unser Leben endlich ist, verleiht den alltäglichen Gegebenheiten eine besondere Grundierung. Dass wir wissen, dass unser täglicher Einsatz, den wir mehr oder weniger kostspielig wagen, immer von diesem letzten Risiko getragen ist. Wenn Menschen in der Ukraine aus sicheren Gefilden zurückkehren, um ihr Land zu verteidigen, dann ist der Respekt vor dieser Entscheidung vorrangig damit begründet, dass sie sprichwörtlich ihr Leben aufs Spiel setzen. Das eigene Leben aufgrund von Überzeugungen in die Waagschale zu werfen, das bekommt nur gerade deswegen absolutes Gewicht, weil damit eben die Endlichkeit, die Nichtunsterblichkeit verbunden ist.

Der unverwundbare Ritter im Highlander-Film hingegen, der im Grunde von diesen Erfahrungen a priori befreit wäre, der könnte mit diesem Respekt vor diesem Lebenszeugnis nicht nur nicht rechnen, der könnte es gar nicht einsetzen.

"Unsterblichkeit wäre dann nicht langweilig, wenn die gemeinschaftliche Erfahrung grundlegend wäre."

Williams These war, Unsterblichkeit wäre sterbenslangweilig, weil irgendwann der Punkt erreicht ist, dass man vom Leben nichts mehr erwarten kann, weil schon alles realisiert wurde. Würden wir uns zu Tode langweilen, wenn wir unsterblich wären?

Arntz: Ja, wenn dies eine singuläre Eigenschaft wäre, die nur einer als Individuum hätte, so wie bei "Highlander. Es kann nur einen geben". Wenn dies aber eine gemeinschaftliche Realität wäre, die uns alle miteinander verbinden und alle Menschen auszeichnen würde, wäre das eine vollkommen andere Perspektive. Die Unsterblichkeit des Einzelnen hätte zur Konsequenz, dass alle anderen sterblich wären, und er permanent erleben müsste, wie Menschen aus seinem eigenen Umfeld ihn verlassen. Das ist ein sukzessiver Verlust des sozialen Umfelds. Von daher glaube ich, dass Unsterblichkeit dann nicht langweilig wäre, wenn die gemeinschaftliche Erfahrung grundlegend wäre und man nicht in eine Form von unsterblicher Isolation hineinrutschen würde.

Im Song "Who wants to live for ever" heißt es an einer Stelle: "Forever is our Today". Kann der Mensch unsterbliche Erlebnisse im Leben haben?

Arntz: Unsterbliche Erlebnisse sind eine große Forderung, denn im Grunde enden diese Erlebnisse ja mit unserer physischen Existenz. Wir können uns rückerinnern an bedeutende Momente unseres eigenen Erlebens, an Lebensentscheidungen oder Lebenswenden im positiven wie im negativen Sinne. Aber spätestens mit dem Verlöschen unserer physischen Existenz enden ja auch diese Erinnerungen, weil die biologischen Rahmenbedingungen, die für eine solche Form der Erinnerung notwendig sind, wie zum Beispiel das Selbstbewusstsein, gar nicht mehr fortleben würden.

"Ich glaube, die meisten Menschen haben Angst vor einem Sterbeprozess, der ihnen die Würde raubt."

Hat es - philosophisch gesehen - überhaupt Sinn, Angst vor dem Tod zu haben?

Arntz: Würden wir bei Sokrates in die Schule gehen, würde er sagen: Ich kann nicht vor etwas Angst haben, ohne zu wissen, ob danach nicht etwas viel Besseres kommt. Oder denken wir an den berühmten Satz von Epikur: Das muss uns nicht interessieren. Denn wenn wir da sind, dann gibt es den Tod nicht. Und wenn der Tod da ist, dann gibt es uns nicht.

Die meisten Menschen würden sagen: Der Tod ist ein unausweichliches Ereignis. Natürlich kann man dem mit Angst begegnen, aber das hilft in Wirklichkeit nicht weiter. Ich glaube, die meisten Menschen haben Angst vor einem Sterbeprozess, der ihnen die Würde raubt, das ist eine große Gefahr und Sorge. Meine These dazu: Die Menschen fürchten sich weniger vor dem Tod als vor dem Weg, den sie dahin zu gehen haben. Wenn wir die Lebensqualität am Lebensende sicherstellen könnten, dann würde der Themenbereich Tod womöglich enttabuisiert werden können.

Wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten, es potenziell revidieren könnten, wäre das Ihr Ding?

Arntz: Die eigene Identität mit den spezifischen Erinnerungen und auch mit dem, was man vergessen hat, ist ja von ganz bestimmten biografischen Konstellationen und Entscheidungen abhängig, deswegen wäre mir der Gedanke fremd. Man kann Dinge bedauern, es bliebe aber die Frage, ob der Lebensverlauf tatsächlich so anders wäre. Denn jeder würde für sich auch ein bisschen in Anspruch nehmen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem er diese oder jene Entscheidung getroffen hat, das nach bestem Wissen und Gewissen getan hat. Von daher wird es auch durch die nachträgliche Enttäuschung womöglich nicht letztlich desavouiert.

Klaus Arntz
Klaus Arntz, Professor für Philosophie an der Universität Augsburg