Noch ein Tag und langsam werde ich nervös. Angesichts dieses Textes, aber auch angesichts der Weihnachtspredigt, die ich unweigerlich noch schreiben muss. Denn um mich herum scheinen schon alle Bescheid zu wissen. Sie wissen es einfach! Sie wissen, worum es an Weihnachten geht.

Die einen sagen, es geht um die Liebe. Die anderen (das sind vornehmlich Supermarktketten) sagen, es geht um den Genuss. Und um die Familie natürlich, die sich um den reich gedeckten Tisch versammelt. Wobei das mit der Familie für die meisten Menschen ein eher unbefriedigendes "Darum geht es" zu sein scheint.

Der Druck des "so muss es sein"

Sie spüren den Druck des "so muss es sein", der schon vor dem großen Weihnachtstreffen auf sie herunterschaut: In den Gesprächen über die Beziehung, die Arbeit, die Kinder (vorhanden oder nicht vorhanden). Und daraus wiederum entsteht ein Gefühl von "nicht genügen", das es manchmal schafft, sich wie Schneeflocken in alle Ritzen des Weihnachtsfestes zu setzen. So ist es "draußen" in der normalen Welt um mich herum.

Und dann gibt es für mich noch das "drinnen", die Kirchen- und Gemeindewelt, in der ich mich berufsbedingt bewege: Da geht es um die Krippe, Jesus, Heil der Welt in Windeln. Aber auch da weht mir manchmal ein behauptender, starker Nordwind um die Nase.

Hoffnung auf eine bessere Welt

Dass es um den Frieden geht, den Gott bringt. Dass es um gesellschaftliche Veränderungen geht, um die Hoffnung auf eine bessere Welt. Ich habe auch schon gehört und gelesen, dass es um die bedingungslose Liebe Gottes zu den Menschen geht. Und um Nächstenliebe. Das ist alles ganz wunderbar, keine Frage.

Und trotzdem: Es nagt an mir, dass ich all das in der Weihnachtsgeschichte zwar irgendwie finden kann - aber irgendwie eben auch nicht. Denn wovon im Lukas-Evangelium erstmal erzählt wird, ist einfach "nur": Ein Baby ist der Heiland der Welt, es ist Gottes Sohn und es gibt keinen Grund, Angst zu haben.

Das ist eine Menge und gleichzeitig irgendwie sehr wenig: Sehr wenig Konkretes, sehr wenig Greifbares. In der Bibel steht an dieser Stelle nichts darüber, welche Hoffnungen Jesus erfüllt, welche Ängste er nimmt und welchen Frieden er bringt.

Gott wird Mensch – und mutig

Fest steht nur: Gott ist Mensch geworden. Etwas zwischen Himmel und Erde hat sich grundlegend verändert. Etwas, dass das Leben von diesen wenigen Menschen in der Weihnachtsgeschichte ebenso grundlegend verändert hat: Maria, Josef, namenlose Hirten, namenlose Weise. Die Fixpunkte ihres Lebens sind aufgeschüttelt worden wie die Kissen der Frau Holle.

Die Fenster gehen auf, ein Luftzug geht durch das Leben, Sicherheiten gehen verloren, ein anderer Stern steht am Himmel. Wie genau sich das Leben dieser Menschen verändert hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur: Gott ist Mensch geworden und das Mensch-Sein dieser Menschen hat sich verändert. Und wenn wir wollen, verändert sich beim Lesen dieser Geschichte auch unser Mensch-Sein.

Seit Menschen sich Gott vorstellen können, ist "Gott" immer wieder anders geworden. Zu einem Feuer, zu einem Flüstern im Wind. Zu einem kleinen Baby. Und selbst davor lagen nochmal 9 Monate des Werdens. Und ein Fußweg nach Bethlehem. Ein einziges Werden, dieser Gott. Und nach dieser unglaublichen Sternennacht ging es noch weiter: Gott ist mutig geworden. Hat sich getraut, Wasser in Wein zu verwandeln, einfach so. Hat sich die Füße salben lassen und so viel Nähe zugelassen, dass es anderen Angst gemacht hat. Was ist nur aus Gott geworden?

Es geht um das Werden

Wenn Gott an Weihnachten Mensch wird, dann geht es erstmal um genau das: Um das Werden. Und das sieht in jedem Jahr anders aus. Bei mir und bei Dir. Kein Wunder, dass ich mich jedes Jahr wieder frage, worum es an Weihnachten geht. Und kein Wunder, dass jede*r dazu eine eigene Antwort findet.

In jedem Jahr werde ich eine andere. Nicht nur älter, sondern mein Leben hat mich verändert. Ich habe an anderen Stellen gelacht als früher und bin über andere Steine gestolpert. Ich bin gnädiger mit mir geworden und sogar etwas gelassener. Ich habe Ängste begraben und bin mutiger geworden. Und ich habe neue Ängste dazugewonnen. Ich bin eine andere geworden. Mein Werden folgt keiner geraden Linie steil nach oben, ich bin schließlich kein Pfeildiagramm.

Das eigene Leben ist nicht festgeschrieben

Mit Gottes Werden ist es vielleicht ähnlich. Weihachten ist eine Geschichte vom Werden. Nicht vom Sein. Eine Geschichte darüber, dass das eigene Leben nicht festgeschrieben ist. Es heißt, Gott würde selbst auf krummen Linien gerade schreiben, aber in Wahrheit gibt es überhaupt keinen Anlass, irgendwas im Leben gerade zu schreiben. Es gibt keinen Anlass für "So und nicht anders soll es sein".

Immer wenn Menschen nach diesem "so soll es sein" suchen und anderen dann sagen, wie es denn sein soll, haben sie ein bisschen Angst. Oder auch ein bisschen mehr. Vielleicht gilt ja ihnen das "Fürchte Dich nicht!" des Engels. Hab keine Angst, dass die anderen ihr Leben so anders leben als Du. Das heißt nicht, dass Du was falsch machst. Oft genug denken wir ja selber so. Klammern uns an Richtigkeiten, weil alles andere so wenig Sicherheit bietet. Es ist manchmal schwer, an das Werden zu glauben, vor allem wenn es kein "besser werden" ist. Sondern erstmal ein anders werden.

Was möchtest Du?

Worum geht es für Dich an Weihnachten? Welches Werden brauchst Du? Ein Frieden-werden? Ein gerecht-werden? Ein alleine-werden? Ein Familie-werden?

Dass Gott Mensch wird, ist wahrscheinlich für die meisten Menschen schwer vorstellbar. Für mich ist es auf jeden Fall sehr schwer vorstellbar. Aber es fällt mir ein bisschen leichter, wenn ich mich daran erinnere, dass das Werden eine Lebensaufgabe ist. Ich kann eine andere werden, so oft ich es brauche. Oder auch zufrieden werden damit, wie es ist.

An den Weihnachtstischen dieses Jahr werden Gefühle, Erwartungen und Ängste mit am Tisch sitzen. Viele verschiedene. In den Patchwork-Familien, den Single-Haushalten, in den Pflegeheimen und am Altar in der Kirche auch. Das "so soll es sein" wird auch dabei sein. Aber an der Tür, stell ich mir vor, da steht ein Engel und der sagt zu allen zur Begrüßung:

"Fürchte Dich nicht. Es wird."