Ich stehe in der Buchhandlung am Regal für Kochbücher. Mein Blick schweift über die Rücken der Bildbände. Die "Kochschule für Einsteiger" von Cornelia Poletto habe ich schon. Gibt es nicht was Neues von Jamie Oliver? Da ist es: "5 Zutaten mediterran: Einfach genial kochen". Das nehme ich mit. Ich koche sehr gerne und interessiere mich für die Tipps der Profis. Ganz besonders, wenn es um italienische Küche und Fischrezepte geht.

Ich wandere in der Buchhandlung weiter und stöbere, welche Trends es in der Ratgeberliteratur gibt. Aufräumen ist immer noch in. Orientierung, Lebenssinn, Effizienz, sich neu ausrichten, fokussieren. Für jeden Lebensbereich gibt es eine regelrechte Fülle von Publikationen. Praktische Helfer der Stiftung Warentest liegen vor mir, aber auch Tipps zum stressfreien Gärtnern – oder "Work-Life-Romance. Erfinde dein Leben in 24 Stunden neu!" Na dann!

Ratgeber sind so erfolgreich wie umstritten. Sie bewegen sich zwischen Lebensverbesserung und Optimierungsdruck. Die Selbstoptimierung steht dabei vielfach im Mittelpunkt. Mach ein besseres Ich aus Dir, lautet das verlockende und verheißungsvolle Angebot. Schließlich will ja niemand im Mittelmaß stecken bleiben. Jeder und jede kann sich noch steigern. Gesünder, schöner, besser – das ist das Ziel. Ratgeber sind Entscheidungshilfen. Sie versprechen Erfolg im Beruf, persönliches Glück, ein sorgenfreies und unkomplizierteres Leben. Man muss sich nur an all die Ratschläge halten. Dann klappt’s schon. Oder eben nicht, wie sich im Alltag zeigt. Manches Buch lege ich gleich wieder weg.

Andererseits – und das macht die Bücher im Einzelfall schon interessant: Ich sehe, dass ich mit einem Thema oder Problem nicht allein bin. Es gibt viele, die wie ich betroffen sind. Die nach Lösungen suchen, nach Veränderungen, raus dem unbefriedigenden Ist-Zustand. Nichts muss so bleiben, wie es ist. Vieles kann man verändern. Aus dieser Haltung spricht ja auch ein Stück Hoffnung. Und wenn sich nichts ändert? Nicht aufgeben, den nächsten Versuch wagen!

Die Anforderungen des Alltags, die Erwartungen an menschliches Handeln sind oft riesig. Und wenn ich mir die zahllosen Ratgeber anschaue, habe ich das Gefühl, ihre Zahl wächst und wächst. Wie auch der Druck: Nicht nur besser werden, lautet die Devise. Du musst perfekt sein und immer das Richtige tun! Viele spüren das im Beruf. Und in manchen Bereichen – in der Technik, in der Medizin zum Beispiel –, da muss natürlich alles richtig und idealerweise sehr gut sein. Was aber, wenn dieser Anspruch das ganze Leben erfasst? Davon spricht auch die Bibel. Im Neuen Testament, im 1. Petrusbrief, hören wir diese Ratschläge:

Darum macht euch bereit und gebraucht euren Verstand. Bewahrt einen klaren Kopf.

Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch zuteilwird, wenn Jesus Christus wieder erscheint. Ihr seid doch gehorsame Kinder. Lasst euch nicht von Begierden beherrschen wie früher, als ihr noch unwissend wart. Vielmehr sollt ihr in eurer ganzen Lebensführung heilig werden – so wie der heilig ist, der euch berufen hat. In der Heiligen Schrift steht:

"Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig." Ihr betet doch zu Gott als eurem Vater.

Er beurteilt jeden nach seinem Tun, ohne Ansehen der Person. Führt deshalb ein Leben in Ehrfurcht vor Gott, solange ihr noch hier in der Fremde seid. Ihr wisst ja: Ihr seid freigekauft worden von dem sinnlosen Leben, wie es eure Vorfahren geführt haben.

Das ist nicht geschehen durch vergängliche Dinge wie Silber oder Gold. Es geschah aber durch das kostbare Blut von Christus, dem fehlerfreien und makellosen Lamm. Dazu war er schon vor Erschaffung der Welt bestimmt. Aber jetzt ist er am Ende der Zeit für euch erschienen. Durch ihn glaubt ihr an Gott, der ihn von den Toten auferweckt

und ihm Herrlichkeit verliehen hat. Deshalb könnt ihr nun euren Glauben und eure Hoffnung auf Gott richten. (1. Petrus 1,13-21)[1]

Heilige – Menschen, die Haltung zeigen

Verstand einschalten, klaren Kopf bewahren, Lebensführung, fehlerfrei, makellos, Hoffnung – genau zu den Stichworten aus dem Bibeltext veröffentlicht die Ratgeber-Szene. "Auch Ratschläge sind Schläge", fällt mir dabei ein. Also, gut gemeint, hilft aber nicht weiter. Denn wer will sich schon gerne bevormunden lassen? Und dann noch die typischen Schlagworte: Gnade, Gehorsam, Gottesfurcht, Herrlichkeit. Die sagen immer alles und somit nichts.

Was aber in mir nachklingt: Heilig. Du sollst heilig sein! Ein Heiliger/eine Heilige sein! Kann ich das? Bin ich das?

Wie geht es Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, wenn Sie an Heilige denken? Ich sehe dann Märtyrer und Einsiedler vor mir. Menschen, die für ihre Überzeugung ihr Leben opfern. Der Heilige Laurentius bzw. Lorenz ist so einer. Wenn ich in Nürnberg in der evangelischen Lorenzkirche sitze, in dieser großen gotischen Kirche mitten in der Stadt, entdecke ich ihn in vielen Kunstwerken. Die Legende erzählt: Der Heilige Lorenz weigert sich, der römischen Staatsgewalt das Kirchengut, den Schatz der Kirche, zu übergeben. Er verteilt alles an die Armen. Dann führt er den aufgebrachten Präfekten zu einer Kirche und zeigt ihm dort die Kranken, Blinden und Gelähmten. "Schau, diese sind unsere Schätze, unsere Perlen…" Was für eine Provokation! Der Präfekt lässt Lorenz foltern, um doch noch an das Kirchengut zu kommen. Lorenz bleibt standhaft – trotz der Qualen, die er erleidet. Schließlich stirbt er. Bis heute erinnert dieser Heilige in einer evangelischen Kirche an den wahren Schatz der Kirche.

Freilich, die Evangelische Kirche kennt keine Heiligenverehrung. Aber irgendwie haben wir doch so etwas wie "evangelische Heilige". Keine Wundertäter wie im katholischen Verständnis, aber Menschen, die Haltung gezeigt haben, ihrer Überzeugung treu geblieben sind.

Der vielleicht prominenteste "evangelische Heilige" ist der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Er nimmt gegenüber der Diktatur des Nationalsozialismus eine klare Haltung ein. Auch und gerade, wenn es darum geht, von der Deportation bedrohte Jüdinnen und Juden zu schützen. Haltung zeigen, zeigen, auf welcher Seite man steht, Farbe bekennen, Verantwortung übernehmen. Dietrich Bonhoeffer tut das. Er steht für seine Überzeugung ein. Ein Heiliger will er aber nicht sein. An seinen Freund Eberhard Bethge schreibt er kurz nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 einen Brief. Darin erzählt er von einem Gespräch mit einem französischen Pfarrer, viele Jahre zuvor in den USA. Was wollen wir eigentlich mit unserem Leben? Haben die beiden sich gefragt. Und der französische Kollege hat geantwortet:

…ich möchte ein Heiliger werden […]; das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen. Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte.[2]

Einsatz für eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft

Heilige, so könnte man vielleicht sagen, sind Menschen, denen nicht gleichgültig ist, in welcher Welt und Gesellschaft sie leben. Die gemeinsam mit anderen sich für eine lebenswerte Gegenwart und Zukunft einsetzen. Dieser Heiligen-Begriff spricht mich an: verantwortlich und nicht gleichgültig leben. Aber wie geht das eigentlich genau?

Im Kino ist gerade der Spielfilm "Green Border" zu sehen. Und ich finde, darin geht es um Heilige der Gegenwart. Gedreht hat das Drama die polnische Regisseurin Agnieszka Holland. Sie führt die Zuschauerinnen und Zuschauer an die sogenannte grüne Grenze zwischen Belarus und Polen. Dort versuchen Geflüchtete aus dem Nahen Osten und Afrika schon seit Jahren, die Europäische Union zu erreichen. Die diesen Weg wählen, sind Opfer der Propaganda des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, der eine einfache Einreise in die EU verspricht. Tatsächlich werden sie von polnischen Grenzsoldaten mit teils brutalen Methoden am Übertritt gehindert. Auch die Grenzsoldaten sind Propaganda-Opfer. Die gerade abgewählte Regierung Polens spricht den Geflüchteten jegliche Rechte ab. Sie bezeichnet sie sogar als Waffen, gegen die man sich natürlich wehren muss.

Für die Geflüchteten gibt es kein Vor und kein Zurück. Die "grüne Grenze" ist politisches Niemandsland. Ein rechtsfreier Raum, in dem Begriffe wie Verantwortung, Mitgefühl oder Menschlichkeit nicht zu existieren scheinen. Es helfen ihnen Aktivistinnen und Aktivisten. Sie sorgen für Essen und Trinken, mitunter auch für Kleidung. Dabei begeben sie sich oft selbst in Gefahr. Wie die Psychologin Julia, die helfen will, ihr Haus zur Verfügung stellt und sich den Aktivisten anschließt.

Agnieszka Holland recherchiert über Jahre für ihren Film. Sie spricht mit Geflüchteten, Grenzsoldaten und Aktivistinnen. Der Film geht unter die Haut. Viele – viel zu viele Geflüchtete sterben. Zugleich macht der Film Mut zur Zivilcourage. Oft sind es die kleinen Gesten, die Großes bewirken. Und in den zufälligen Begegnungen wird schnell klar: Geflüchtete sind Menschen wie du und ich. Mit denselben Träumen und Hoffnungen – auf ein Leben in Würde, in Frieden und in Freiheit.

Ja, liebe Hörerinnen und Hörer, für mich ist das ein Film über Heilige.

In der Heiligen Schrift steht: "Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig."

Diese Worte aus dem Petrusbrief sind ein Zitat aus dem Alten Testament. Sie stehen dort unter der Überschrift "Anweisungen, die sich an den Zehn Geboten orientieren". Und da geht es um Alltagsfragen. Um Spielregeln, die helfen, dass das Zusammenleben gelingt. In letzter Konsequenz verbinden sie Nächsten- und Feindesliebe. Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig. Was nichts anderes meint, als dass du dir ein Vorbild an Gott nehmen sollst. Heilig sein bedeutet: Ich bin mit Gott verbunden.

Klaren Kopf bewahren

Dieses Verbundensein heißt dann auch: Ich halte mich an die Spielregeln. Ich orientiere mich an Gottes Leitlinien. Auf die kommt es ja immer an: in allen Arbeits- und Lebensverhältnissen, in den gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen Zusammenhängen und familiären Beziehungen; und zwar unabhängig, ob Mann oder Frau, jung oder alt, Bürgerin oder Politiker.

Im Petrusbrief lese ich: Gebrauche deinen Verstand – bewahre einen klaren Kopf. Viele Menschen, die in diesen Tagen und Wochen für unsere Demokratie auf die Straße gehen und gegen Hass, Rassismus und Antisemitismus demonstrieren, haben erkannt, dass rechtsextremes Gedankengut sich auf gar keinen Fall weiter ausbreiten darf. Der Blick in die Geschichte zeigt, wohin das führt. Ich will in einer Gesellschaft leben, die offen ist und tolerant. Denk nach, sei besonnen –, diese Appelle, die in der Bibel immer wieder erklingen. Sie sind zeitlos aktuell, aber in unserer gerade heute so aufgeregten Zeit umso dringender.

Die Aufgeregtheiten sind nicht banal. Soziale Unterschiede wachsen, Armut ist keine Randerscheinung. Die ökologischen Ressourcen sind begrenzt, Schäden aufgrund der Erdüberhitzung längst auch bei uns zu spüren. Und was bestimmt unser gesellschaftliches Klima in Zukunft: Menschlichkeit oder Vertreibungsphantasien? Wertschätzung oder Hass? Die Stärke des Rechts oder das Recht des Stärkeren? Angesichts dieser Herausforderungen kann niemand neutral bleiben.

Gerade als Christ will ich vor diesen Entwicklungen nicht die Augen verschließen. Warum engagieren sich so viele Menschen in der Kirchengemeinde, in der Schulfamilie, in Parteien, Vereinen, Bürgerinitiativen? Einige machen das auch, weil ihr Glaube sie ermutigt, Verantwortung zu übernehmen. Dabei spüren sie: Ich bewirke tatsächlich etwas. Studien zeigen: Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, sind auch weniger anfällig für Verschwörungsphantasien. Und ihre Motivation ist, dass ihre Hoffnung auch da noch nicht zu Ende ist, wo manches bereits aussichtslos zu sein scheint.

Wie gelingt es, in allem weiter zu hoffen? Trotz allem, was Menschen bedrängt. Die frühen Christen, also die, die Briefe wie den Petrusbrief gelesen haben, waren einem großen Außendruck ausgesetzt. Ihr Anderssein fiel auf. Sie wurden ausgegrenzt und vielfach benachteiligt. Was tun in so einer Situation: dem Druck nachgeben und resignieren, allem misstrauen und sich zurückziehen?

Die gesellschaftliche und politische Lage ist bei uns heute eine andere. Und dennoch schwebt über unserem Leben dauernd die Gefahr der Resignation. Worauf ist Verlass? Und kann ich einfach "dem Leben" vertrauen? Eine Freundin hat mal zu mir gesagt: "Nein. Schau dir die Welt doch an. Am Ende ist jeder allein."

Das ist bitter. Was ist mit Gott? Und was ist dann mit der Hoffnung?

Manche Symbole der Hoffnung heute haben mit dem Glauben an den Gott der Bibel gar nichts zu tun. Wenn es nur ums Geld geht, zum Beispiel. Möglichst schnell, möglichst viel verdienen. Und wenn ich an den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine denke. Oder an das Massaker der Hamas am 7. Oktober auf die Zivilbevölkerung in Israel. Das Vertrauen auf die Macht der Waffen wirkt wie ein Glaubensbekenntnis. Das Recht auf Verteidigung ist unbestritten. Aber sind Waffen, immer mehr Waffen, wirklich die einzig richtige Antwort auf die immer größer werdende militärische Aggression von Despoten? Mir macht das wie vielen Angst. Wir fragen nach einem anderen Weg, einer anderen Hoffnung. "Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig." Wage ein anderes Leben. Du gehörst zu Gott.

Ich weiß schon: Despoten hat das noch nie beeindruckt. Und manche mögen diese Haltung naiv nennen. Aber: Ein anderes Leben wagen – diese Vorstellung hat Einfluss auf den Alltag. Gerade wenn sich die Unsicherheiten rasant ausbreiten und alles gefährdet zu sein scheint, im Großen wie im Kleinen: Wie stabil ist unsere Demokratie? Kann ich die Miete noch bezahlen? Reicht das Geld für Essen, Trinken, Heizung?

Sich Gott ganz in die Arme werfen

Zwischen Weltgeschehen und Alltagskonflikten wächst bei vielen seit geraumer Zeit die Wut und die Bereitschaft zur Gewalt. Demgegenüber verdampfen Besonnenheit und der Wille zur Versöhnung. Ja, es fällt oft schwer, klaren Kopf zu bewahren. Umso wichtiger ist es, dass es Menschen gibt, die den Mut haben, aus der Kraft des Glaubens zu leben, etwas verändern zu können. Die nach Lösungen und Wegen suchen. Und die Zuversicht haben, dass Gott irgendwie in diesem Spiel bleibt, die Zukunft offen hält. Und die Phantasie und Kraft schenkt, verantwortungsvoll zu leben.

So, wie Bonhoeffer es in seinem Brief an seinen Freund Eberhard Bethge schreibt:

"[…] Später erfuhr ich und erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen […], dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst […] und so wird man ein Mensch, ein Christ."[3]

Und – so wird man heilig. Heilig sein heißt, sich Gott ganz in die Arme werfen. Es geht nicht darum, tolle Dinge zu machen oder gar perfekt zu sein. Mit Gott verbunden sein, mich mit anderen vernetzen, das Sinnvolle tun – zur richtigen Zeit, am richtigen Ort: aus Glauben, mit Hoffnung, in Liebe. Vor Gott und der Welt. In Heiligkeit.

 

[1] 1. Petrus 1,13-21, zit. nach BasisBibel

[2] Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW 8, S. 541f.

[3] ebd.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden