Hinweis: Die Glosse erschien erstmals im Oktober 2022.
Im großen Reformations-Jubiläumsjahr 2017 fragte mich mein damals sechs Jahre alter Sohn, warum er in seinem ersten Schuljahr an Halloween schulfrei hätte, im nächsten aber nicht mehr. Und warum ich an Halloween eigentlich immer in die Kirche ginge. "Ami-Krämpf" nennen wir Franken solche in unseren Alltag eingezogenen Bräuche des großen Bruders im Westen.
Mitgemacht habe ich die vergangenen Jahre aber trotzdem: Mit dem Motto "Süßes oder Saures" wollten die Kinder verkleidet im Dorf herumziehen, an ein paar Haustüren klingeln, Süßigkeiten abgreifen. Hat sich immer rentiert.
Anschlag der 95 Thesen setzte die Reformation in Gang
Dass keines der Kids auf dumme Gedanken kommt und tatsächlich zu "sauren Mitteln" greift, wenn jemand die Tür wieder zuschlägt oder erst gar nicht aufmacht – dafür war ich als "erwachsene Begleitperson" flankierend mit dabei. Manchmal gab’s dann sogar ein Bierchen mit den Nachbarn. Eigentlich doch ganz lustig, dieses Halloween.
Und trotzdem: Tatsächlich ärgerte es einen dann doch, dass keines der Zombies, Vampire oder Gespenster auch nur einen Moment daran dachte, dass an diesem Tag nicht nur die Geisterbahn Ausgang hatte und amerikanisches Brauchtum lebte, sondern dass just an diesem Tag vor einem halben Jahrtausend ein Mann mit dem Anschlag seiner 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche die Reformation in Gang setzte.
Die Nacht der Reformatoren!
Daher wird Halloween 2022 mal anders: "Freitag der 13."-Ledermaske und Freddy-Krueger-Messerhand bleiben im Schrank. Ausgedient haben auch Kajalstift, schwarze Schminke und Vampirumhang. Das unsägliche Umwickeln des Gesamtkörpers mit Toilettenpapier zur Transformation zum Schlossgespenst wurde während des Mangeljahrs 2020 sowieso schon ausgesetzt.
Stattdessen geht’s zurück in das Jahr 1522, als schwarze, lange Talare mit Fellbesatz auf den Schultern, Halskrausen und Professoren-Mütze en vogue waren. Zumindest für Leute wie Martin Luther, Melanchthon, Zwingli und Co. Kostet im Online-Handel nicht mal 50 Euro pro Set. Auf geht’s zur "Nacht der Reformatoren"! Für die Mädchen gibt’s Kukulle, Habit und Tunika. Den "lieben Herr Käthe" hätte es gefreut.
"Reformieren wir das olle Halloween"
Dazu drück ich den Kids Hammer und Nägel in die Hand, und schon kann es losgehen, durch die Gassen, mit einem schwungvollen "Ein feste Burg ist unser Gott" auf den Lippen. Wir klingeln an den Türen, schreien "Süßes oder These" und reformieren so mal das olle Halloween. Wenigstens ein Mal.
Dann wissen die Kinder auch endlich, wer dieser Luther war. Sind Sie dabei?