Es ist vollbracht: CDU/CSU und SPD haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Dieser muss nun noch von den SPD-Mitgliedern in einer Befragung bestätigt werden.
Wir haben einen Blick in das Dokument geworfen und seine Inhalte zu den Themen Religion, Kirche und Glaube analysiert.
Koalitionsvertrag: Bekenntnis zur Religionsfreiheit
Im Koalitionsvertrag bekennen sich die Parteien klar zur Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Sie verstehen sie als "Gradmesser für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte".
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die religionspolitischen Aussagen des Vertrages sehr selektiv sind. Einige Religionsgemeinschaften werden deutlich hervorgehoben, andere bleiben weitgehend unsichtbar - oder tauchen nur im sicherheitspolitischen Kontext auf.
Christliche Kirchen und jüdisches Leben: Würdigung und Förderung
Die beiden großen Kirchen in Deutschland werden im Vertrag an prominenter Stelle erwähnt. Sie gelten als unverzichtbare Stützen des Gemeinwohls und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ihr Engagement in Bereichen wie der Entwicklungszusammenarbeit wird positiv hervorgehoben - ein klassisches Verständnis der Kirchen als zivilgesellschaftliche Akteure mit Nähe zum Staat. Auch die Rolle des Staates als Kulturstaat wird betont, wobei "religiöse Vielfalt" explizit erwähnt wird - allerdings eher im historischen als im aktuellen Kontext.
Einen besonderen Stellenwert nimmt der Schutz jüdischen Lebens ein. Die Verantwortung Deutschlands angesichts der Shoah wird als Grundlage politischen Handelns formuliert. Der Vertrag kündigt die Weiterentwicklung eines Kompetenznetzwerks zur jüdischen Gegenwartsforschung und die Stärkung der Antisemitismusforschung an.
Islam nur Thema der Gefahrenabwehr
Ein ganz anderes Bild zeigt sich beim Thema Islam. Zwar wird betont, dass alle Religionsgemeinschaften in Deutschland "zu Hause" sind - konkret wird dies aber nur im Negativen: Der Islam kommt nur im Zusammenhang mit "Islamismus" vor.
Der Vertrag kündigt einen Bund-Länder-Aktionsplan zur Bekämpfung des Islamismus an und erwähnt den Ausbau einer entsprechenden Task Force im Bundesinnenministerium.
Was fehlt, ist die Wahrnehmung der Millionen Muslim*innen, die hier friedlich ihren Glauben leben. Muslimische Gemeinden, Moscheevereine oder islamische Verbände werden im Koalitionsvertrag nicht erwähnt - weder als gesellschaftliche Akteure noch im Zusammenhang mit Integration, Bildung oder religiösem Leben.
Damit bleibt das Bild des Islam einseitig - als Sicherheitsrisiko, nicht als Teil des religiösen Pluralismus.
Andere religiöse Minderheiten: Ausgeblendet
Auffällig ist auch, welche Religionsgemeinschaften überhaupt nicht erwähnt werden. Weder Bahai noch Aleviten, weder Hindus noch Buddhisten oder Jesiden werden erwähnt. Dabei leisten auch diese Gruppen Beiträge zum interreligiösen Dialog und sind Teil des religiösen Alltags in Deutschland.
Ihre Unsichtbarkeit im Vertrag lässt Zweifel aufkommen, ob die Forderung nach religiöser Vielfalt wirklich konsequent gedacht ist - oder ob sie sich vor allem auf die etablierten Akteure beschränkt.
Bekenntnis zur Religionsfreiheit mit Lücken
Der Koalitionsvertrag enthält also durchaus wichtige Bekenntnisse zum Schutz der Religionsfreiheit und zur Rolle der Religion im öffentlichen Raum. Die Förderung jüdischen Lebens ist eindeutig und konsequent. Die Anerkennung der Kirchen knüpft an gewachsene Strukturen an.
Eine moderne Religionspolitik, die dem pluralen Charakter der Gesellschaft gerecht wird, muss aber breiter ansetzen. Der Islam darf nicht ausschließlich als sicherheitspolitisches Problem wahrgenommen werden. Und kleinere Religionsgemeinschaften dürfen nicht dauerhaft vernachlässigt werden.
Es bedarf einer inklusiveren Perspektive - nicht zuletzt, um den interreligiösen Dialog auf eine glaubwürdige Grundlage zu stellen.
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