Das Handy bleibt aus - es ist Ruhetag, den die Gemeinde Adon Jeschua jede Woche gemeinsam begeht. Freundlich grüßen die Männer, zumeist mit Kippa, und Frauen, teilweise mit Kopftuch, auf Hebräisch: "Schabbat schalom" oder jiddisch: "Gut Schabbes!" Die Musikgruppe probt noch einmal ihre fröhlichen Lieder - in hebräisch, deutsch, russisch.

Die rund 60 Mitglieder von Adon Jeschua, zu deutsch "Der Herr ist Rettung", verstehen sich als messianische Juden - "Juden, die in Jeschua (Jesus) ihren Messias erkennen, der in der Thora und den Prophetenbüchern verheißen wird", erklärt Gemeindeleiter Chaim (Name aus Sicherheitsgründen geändert).

Auch Nichtjuden gehören zur Gemeinschaft

Aber auch Nichtjuden gehören zu der familiären Gemeinschaft, die sich an diesem Samstag in einem Gemeindehaus in Stuttgart-Münster trifft. Und so sitzt das alte schwäbische Ehepaar von nebenan jeden Schabbat mit jüdischen Gemeindegliedern aus der ehemaligen Sowjetunion, ukrainischen Flüchtlingen oder auch mit einer aus Sachsen stammenden Familie zusammen, die heute extra aus dem Odenwald angereist ist, um Gemeinschaft mit messianischen Juden zu erleben. Dem entspricht das Logo der Gemeinde.

Es ist ein siebenarmiger Leuchter, der zugleich einen Ölbaum mit natürlichen und mit eingepfropften Zweigen darstellt. Die Darstellung lehnt sich an das Bild an, das der Apostel Paulus im Römerbrief beschreibt: Angehörige des erwählten israelitischen Volkes und Menschen aus anderen Völkern sind durch Gottes Gnade vereint.

Selbstverständnis als "jüdische Strömung"

Die Liturgie in dem schlichten Gottesdienstsaal mit Buntglasfenster, Davidsstern, Thoraschrein und Menora enthält Elemente wie das jüdische Glaubensbekenntnis, das "Schma Israel", oder die jeweilige Wochenlesung, die Parascha. Sie vereint die Besucher mit Juden in der ganzen Welt. "Wir verstehen uns als Teil unseres Volkes und als jüdische Strömung", sagt Chaim, der - unterstützt von Ältestenrat und Gemeinderat - die Gemeinde leitet.

Eine große Freude sei es für die Gemeinde gewesen, als sie eine Thorarolle bekam, die unter koscheren Vorgaben in Israel hergestellt wurde. "So etwas ist nicht nur finanziell, sondern auch logistisch eine große Herausforderung", erklärt der Akademiker und zweifache Familienvater.

"Die Thorarolle hat unseren Gottesdienst nochmal mehr belebt und wunderbar vervollständigt."

Respekt und Liebe zum Wort Gottes wird ausgedrückt, in dem die Schriftrolle feierlich enthüllt und durch den Raum getragen wird, wobei die Gläubigen sie mit stoffbedeckten Händen berühren. "Die äußerlichen Handlungen wirken nach innen", ist Chaim überzeugt.

"Jüdisch" stand als Nationalität im Ausweis

"Wir kamen als entwurzelte Juden Anfang der 90er-Jahre aus Kiew nach Deutschland", erzählt der Mittdreißiger, dessen Vater im Jahr 2000 offiziell die Gemeinde "Adon Jeschua" gründete. Obwohl es kaum möglich war, in der atheistisch geprägten Sowjetunion Judentum zu leben, sei doch das Bewusstsein vorhanden gewesen, jüdisch zu sein. So stand es unter "Nationalität" im Ausweis, und es sei manches Mal im Alltag als Diskriminierung erlebt worden.

In Deutschland habe sein Vater dann intensiv die Bibel studiert - und darin Jeschua als seinen Messias gefunden. "Als Kind merkte ich, wie sich sein Leben veränderte. Zum Beispiel hat er von einem Tag auf den anderen mit Rauchen aufgehört. Ich merkte, da gab es jetzt etwas, wo bei ihm ganz viel Herzblut war. Wir haben in Jeschua unsere jüdische Identität wieder neu entdeckt. Jeschuas Opfer macht uns gerecht. Wir wollen ein Leben führen, das ihm gefällt und uns an die Thora halten, wie er es vorgelebt hat", so Chaim.

Ohne Fleisch, um Konflikte zu vermeiden

Nach dem knapp zweistündigen Gottesdienst wartet ein reichhaltiges Buffet sowie Kaffee und Kuchen. Das gemeinsame Essen ist ohne Fleisch, um Konflikte zu vermeiden, wie der Gemeindeleiter erklärt. Denn wie in anderen Gemeinden gebe es auch bei ihnen ein großes Spektrum unterschiedlicher Meinungen etwa zu Speisevorschriften:

"Jeder hat seine eigene Halacha, seinen eigenen Weg mit Gott. Wir reiben uns aneinander, aber das belebt auch."

Es bleibt viel Zeit für Gespräche, Gemeinschaft und russischsprachigen Austausch über biblische Texte. "Der Schabbat gehört Gott, wir verbringen ihn daher gemeinsam hier", erklärt Chaim. Nach seiner Schätzung gibt es etwa 1.000 messianische Juden in Deutschland, die untereinander durch monatliche Leitertreffen und jährliche Konferenzen vernetzt sind.