Hannes B. Erhardt war erleichtert, als er an diesem Dienstagmorgen noch einen Schreibtisch samt Docking-Station für seinen Laptop gefunden hat. Mehr Kolleginnen und Kollegen als sonst sind an diesem Tag ins Büro gekommen, weniger blieben im Home-Office. Der 45-jährige Geschäftsführer des Evangelischen Siedlungswerks in Bayern (ESW) hat also keinen eigenen, festen Arbeitsplatz mehr?

"Das wäre ja noch schöner, wenn wir das Konzept Führen auf Augenhöhe umsetzen würden und die Geschäftsführer haben noch ihr abgeschlossenes Büro."

Natürlich muss der Chef auch mal ungestört telefonieren. Dazu kann er sich digital eine Telefonzelle mit Liegesessel buchen oder einen "Meeting Space". Er kann sich zuvor einen Filterkaffee im offenen Küchenbereich kochen - kein Vollautomat - oder gefiltertes Wasser aus dem Hahn in eine Flasche füllen. Ungefähr 25 Konferenz - und Telefonräume gibt es in der drei Jahre lang aufwendig sanierten Zentrale des ESW am Hans-Sachs-Platz in Nürnberg. Die einen haben einen Blick über die Stadt, in anderen hängt ein Box-Sack, daneben steht ein Tischkicker.

Transformierte Arbeitswelt in den Büros des Evangelischen Siedlungswerks

In den beiden sich gegenüberstehenden Gebäude Hausnummer 10 und 12 hat eine transformierte Arbeitswelt Einzug gehalten. Nur noch in der Abteilung, die für den Rechnungseingang zuständig ist, wird mit Aktenordnern und Papier gearbeitet. Die alten, schäbigen Regale sind hier mit Absicht auch in den sanierten Räumen wieder aufgestellt worden - sozusagen als ein überdimensionaler Merkzettel, die Digitalisierung zu vollenden.

Workshops und Mitarbeitendenbefragungen sind dem Transformationsprozess des ESW vorausgegangen. Die grundsätzliche Entscheidung für New Work fällte die Geschäftsleitung, erzählt Erhardt. Der Geschäftsführer verlässt Ende des Jahres das kirchliche Wohnungsunternehmen zum gleichen Termin, an dem Mit-Geschäftsführer Robert Flock in den Ruhestand geht. Sie würden ein "bestelltes Feld" mit "coolen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern" hinterlassen, die Aufbruchstimmung versprühten, ist Erhardt überzeugt.

Änderungen im Arbeitsstil erhalten nach einer Anlaufphase positive Rückmeldungen

Diese Stimmung verspürt er jetzt nach einer "Anlaufphase", in der sich der neue Arbeitsstil erst durchsetzen musste. Hybride Formate, bei der auch der Hausmeister aus Traunreut bei einer "Aktuellen Stunde" dabei ist, waren für manche eine Umstellung. Auch das Motto "Trial-and-Error", nach der "Scheitern nichts Schlimmes" ist, wie der Chef sagt, setzt sich allmählich durch. Kreative Kollaboration heißt es, wenn sich die Beschäftigten in ihrer "Base" zusammensetzen und an einem Problem gemeinsam tüfteln. Kommen sie nicht weiter, können sie mit den bereitliegenden Karten eine Partie Uno spielen.

Die 161 Menschen, die für das ESW in der Nürnberger Zentrale arbeiten, sind in Bases aufgeteilt. Es ist nämlich so, dass den ESW-Wortschatz immer wieder Begriffe aus der Welt des Wanderns durchziehen. Passend dazu hat jeder Beschäftigte einen papierenen "ESWork-Pass", ähnlich einem Hüttenpass, in dem er sich für eine Teilnahme am Bouldern, Yoga oder einem Fußballturnier einen Stempel abholen kann. Man sieht sich also gemeinsam auf einer Tour - das Erklimmen hoher Gipfel nicht ausgeschlossen.

Gewinne und Bilanzsummen des ESW sind nach Sanierung steigend

Die Bilanzsummen und Gewinne des Konzerns, dessen größter Gesellschafter mit 90 Prozent die Evangelische Landeskirche ist, sind jedenfalls seit Jahren steigend. Das ESW besitzt und verwaltet insgesamt rund 8.000 Wohn- und 287 Gewerbeeinheiten in Bayern. Es beschäftigt 335 Menschen, davon haben 161 ihren Arbeitsplatz in der neuen Zentrale, wenn sie nicht gerade im Home-Office sind.

Was die Sanierung der beiden Häuser gekostet hat, will Erhardt nicht verraten. Es gebe ja für ein solches Projekt keine Vergleichswerte. Die Immobilien stammen aus den 1960er-Jahren und es habe hohe Denkmalschutzauflagen gegeben, sagt er. Eines der Gebäude wurde aufgestockt, deshalb musste das Fundament von einer Spezialfirma untergossen worden. Doch einen Posten verrät der Geschäftsführer: Eine Million Euro hat das Geothermiesystem gekostet. Er freut sich in Zeiten explodierender Energiekosten über die Entscheidung der ESW, auf fossile Brennstoffe völlig zu verzichten.

Der Umbau der Häuser hatte gegenüber einem Abbruch mit Neubauten ebenfalls einen ressourcenschonenden Effekt. 6,74 Millionen Megajoule an Primärenergie seien eingespart worden, rechnet das ESW vor. Ein Energieaufwand, mit dem ein E-Auto 244-mal die Erde umrunden könnte und die eingesparten 783.040 Kilogramm CO2 würden 550 Flugreisen von München nach Bangkok entsprechen.