Die Gefahr ist groß, dass in diesem Herbst und Winter immer mehr Haushalte unter die Armutsgrenze rutschen. Das fürchtet die neue bayerische Diakoniepräsidentin, Sabine Weingärtner, wenn sie die Inflation und die hohen Energiepreise anschaut. Die Pfarrerin ist jetzt seit einem Monat im Amt und hat sich in den vergangenen Wochen einen Überblick verschafft, welche Themen oben aufliegen. "Armut ist das oberste Thema", sagt sie im Gespräch mit dem Sonntagsblatt.

Auch die Einrichtungen der Diakonie, seien es Kindergärten, Pflegeeinrichtungen oder Beratungsstellen, müssten die stark gestiegenen Energiekosten stemmen:

"Wenn am Schluss die Wärmestube nur noch eine Lauwarm-Stube ist, kann sie nicht mehr für die Menschen da sein, die sie ganz dringend brauchen."

Zum Beispiel in Krankenhäusern rechne man mit siebenfach höheren Ausgaben für die Energie. Wie die Politik solche Mehrausgaben refinanzieren werde, sei noch nicht geklärt. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege gehe davon aus, dass in ihren Einrichtungen etwa 1,2 Milliarden Mehrausgaben anfallen.

Diakoniepräsidentin spricht Klartext

Die Diakoniepräsidentin spricht hier Klartext: "Wenn 100 Milliarden für einen aufgestockten Wehretat zur Verfügung stehen, darf es nicht sein, dass der ganze soziale Bereich hinten runterfällt". Gleich an ihrem ersten Arbeitstag sei sie bei einem Empfang in Berlin gewesen, um dort möglichst viele Politikerinnen und Politiker zu treffen und ihnen die Anliegen der Diakonie vorzutragen, erzählt sie. Mit dem Sprichwort "steter Tropfen höhlt den Stein" kündigt sie an, dass sie den Volksvertretern immer wieder mit ihren Themen in den Ohren liegen will.

Auch mit dem Thema Pflege wird die neue Präsidentin die Politik sicher häufig konfrontieren. Zugleich will sie aber auch der Gesellschaft deutlich machen,

"die Arbeit in der Pflege ist was Schönes, ist ein Job, der Sinn macht und in dem man ganz viel geschenkt bekommt".

Das negative Image des Pflegeberufs oder anderer Tätigkeiten im sozialen Bereich sei ungerecht, denn auch die Bezahlung stimme. Wer in der Kita arbeite, verdiene so viel wie ein KFZ-Mechatroniker. Es wird deutlich: Weingärtner kennt sich in der Arbeitswelt aus.

Erste Frau an der Spitze der Diakonie

Bevor sie am 1. Juni ihren Posten von Vorgänger Michael Bammessel übernommen hat, war sie schließlich stellvertretende Leiterin des Kirchlichen Diensts in der Arbeitswelt (kda Bayern). Weingärtner ist in Bayern die erste Frau an der Spitze der Diakonie. Die 43-jährige Pfarrerin hat in Erlangen und Göttingen evangelische Theologie studiert, in La Paz (Bolivien) ihr Praxisjahr gemacht und ein Wirtschaftsvikariat bei der Firma Diehl in Nürnberg absolviert. Dort habe sie gelernt, "dass Wirtschaft nicht nur schwarz oder weiß ist", sagt sie. Zum Thema evangelische Unternehmensethik hat sie promoviert.

Sie wolle als Präsidentin der Diakonie weiter "das Pfarrersein" leben, sagt sie, einmal im Monat möchte sie in einem Gottesdienst predigen. Im vierköpfigen Vorstand, dem drei Frauen und ein Mann angehören, fühlt sie sich für den theologischen Blick zuständig. Die Diakonie müsse um ihre christliche Eigenheit ringen und sei nicht nur "irgendjemand, der auch noch auf dem sozialen Markt unterwegs ist", betont sie.

Für Menschen mit brüchigen Biografien da sein

"Sichtbare und greifbare Kirche" ist für sie die Diakonie. Sie sei für die Menschen da, wenn in deren Biografien etwas brüchig wird. Den Sinn dafür sollte man auch innerhalb der Kirche noch stärken, stellt Weingärtner fest.

Den Verband, der für soziale Arbeit der Landeskirche steht, leitet und vertritt sie jetzt. Seine Mitglieder sind 1.300 Träger mit ihren Einrichtungen, in denen mehr als 95.000 Beschäftigte arbeiten.