Die Sozialpädagogin und Traumatherapeutin Claudia Chodzinski sieht in der evangelischen Kirche noch immer große Defizite bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch.

Vor allem die individuelle Aufarbeitung der Fälle vor Ort und die Kommunikation mit den Betroffenen lasse zu wünschen übrig, sagte die Beraterin für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Gespräch mit dem Sonntagsblatt.

"Es reicht nicht, wissenschaftliche Studien in Auftrag zu geben und Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids zu zahlen."

Ankündigung neue Missbrauchsstudie

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will am 25. Januar die erste übergreifende Missbrauchsstudie vorstellen.

Betroffene erhielten häufig verzögert oder gar keine Antworten auf ihre Fragen und müssten immer wieder nachhaken, erläuterte Chodzinski, deren Klientinnen und Klienten vorwiegend aus der hannoverschen, vereinzelt auch aus anderen Landeskirchen stammen. Sie wünschten sich Gespräche vor Ort und mit allen Beteiligten.

"Doch innerhalb der Kirche ist gar nicht geregelt, in welchem Rahmen solche Gespräche stattfinden könnten und wer sie moderieren sollte."

Unklare Kommunikation der Kirche

Chodzinski kritisiert, dass Missbrauchsfälle nach wie vor nicht offen nach außen kommuniziert würden. Es bleibe immer der Eindruck, Erkenntnisse würden nur scheibchenweise und nur dann veröffentlicht, wenn die Medien einen Fall aufgriffen.

Das habe auch der Rücktritt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, deutlich gemacht.

Die Betroffenen erwarteten, dass Konsequenzen nach Fällen von Missbrauch, Grenzüberschreitungen oder verschleppter Nachforschungen gezogen werden. Die Beschuldigten sollten zur Rede gestellt oder etwa von bestimmten Diensten suspendiert werden, sagte Chodzinski.

"Aber das scheitert oft daran, dass in der evangelischen Kirche unklar ist, wer wem gegenüber weisungsbefugt ist."

Betroffene bezweifelten, dass die angekündigten regionalen Aufarbeitungskommissionen Abhilfe schaffen könnten.

Mangelnde Fehlerkultur

Die Beraterin macht für die Versäumnisse auch eine mangelnde Fehlerkultur innerhalb der Kirche verantwortlich.

"Es gibt noch immer zu wenig Bewusstsein dafür, was an Grenzverletzungen und Gewalt innerhalb der Kirche möglich sei."

Notwendig seien Umstrukturierungen. Das gelinge am besten mithilfe externer Berater. Stattdessen setze die Kirche aber auf eigene Coaches und Beratungsstellen.

"Wenn Kirche neu gedacht werden soll, wie sie es ja selbst propagiert, geht das nicht, wenn alle weiterhin in ihrer Blase sitzen."

"Räume unangemessener Nähe"

Die Kirche müsse etwa über die Arbeitszeiten von Pastorinnen und Pastoren oder über Hausbesuche diskutieren, forderte Chodzinski.

"Anliegen von Gemeindemitgliedern wie etwa Taufen oder Beerdigungen müssen nicht immer mit Hausbesuchen einhergehen."

Dort könnten Räume unangemessener Nähe entstehen. Ebenso wenig zeitgemäß sei es, wenn Pastorinnen und Pastoren rund um die Uhr für die Gemeinde zur Verfügung stünden. "Wenn Menschen ihre eigenen Grenzen nicht kennen, haben sie möglicherweise auch kein Empfinden für die Grenzen anderer."

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