Wegen Existenzsorgen oder Überlastung wenden sich immer mehr Familien aus dem Agrarsektor an die landwirtschaftlichen Familienberatungen. Rund 100 Anfragen seien im ersten Halbjahr 2022 an die evangelische Beratungsstelle auf dem Hesselberg gestellt worden, sagte ihr Leiter, Pfarrer Walter Engeler, in einem Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Das seien so viele wie im ganzen vergangenen Jahr. Die Zahl habe ihn selbst überrascht, sagte Engeler. Auch katholische Beratungsstellen bestätigen den enormen Anstieg.
Psychische Probleme sind ein Grund für den Anstieg in Beratungsanfragen
Überlastung und psychische Probleme seien häufige Gründe, sich Beistand zu holen. Viele Landwirte wüssten, dass sie ihr Arbeitspensum nicht schaffen könnten, aber sie fühlten sich dem Hof verpflichtet. "Keiner will die Kette einer mehr als 100 Jahre alten Familientradition abreißen lassen", erklärte Engeler. Oft sei aber kein Nachfolger in Sicht oder die Generationen lägen miteinander im Clinch: "Manche sagen mir dann ehrlich: Ich halte es mit meinem Vater nicht mehr aus." Während andere Berufsgruppen am Feierabend froh seien, wieder nach Hause zu kommen, verbringe man im Familienbetrieb den ganzen Arbeitstag und die Wochenenden miteinander.
Auch aktuelle Probleme machen Landwirten zu schaffen
Ganz stark leiden Landwirte, mit denen Engeler spricht, auch unter den aktuellen Problemen. Die Preise für Futtermittel seien stark gestiegen, gegen die Niedrigpreise im Lebensmittelsektor werde erst allmählich etwas unternommen. "Gerade bei den Jüngeren schürt die Lage immer mehr Ängste", hat Engeler beobachtet. Auch das Klima mache den Höfen Probleme: Sie seien betroffen von wetterbedingten Ernteeinbußen oder Käferbefall in den Wäldern.
Dazu ächzen Landwirte unter bürokratischen Vorgaben oder unter neuen Vorschriften. Beispielsweise bedeute für sie das bevorstehende Verbot der Anbindehaltung bei Kühen, dass sie Investitionen tätigen müssen. Zeitverzögert kommen bei dem Seelsorger und seinem 17-köpfigen ehrenamtlichen Team auch die Folgen der Corona-Lockdowns an. In der Zeit seien viele Bäuerinnen wegen des Home-Schooling und der Pflege der älteren Generation aus dem Arbeitsrhythmus gekommen.
Persönliche Beratung der evangelischen Beratungsstelle
Engeler und die anderen Beraterinnen und Berater, bei denen die Anfragen aus ganz Franken und dem Allgäu ankommen, sind auch während der Corona-Zeit immer auf die Höfe der Ratsuchenden gefahren.
"Die Landwirte sagen, ich will mit Ihnen an einem Tisch sitzen",
hören sie immer wieder. Zusätzlich begleiten die Familienberater die Bauern auch zu schwierigen Terminen beim Anwalt oder in ein Notariat. Der Pfarrer, der auch eine therapeutische Ausbildung gemacht hat, stellt fest, "dass wir als Christen einen Vertrauensvorschuss haben".