"Ich will mich auf jeden Fall noch einmal in den Hörsaal setzen."

Herr Hübner, Sie haben bis zuletzt einen knallvollen Terminkalender - und dann eine Fast-Vollbremsung. Haben Sie sich schon ein zeitintensives Hobby für die viele freie Zeit ausgeguckt?

Hans-Peter Hübner: Solche Fragen sind bei jemandem, der im 63. Lebensjahr in den Ruhestand geht, natürlich berechtigt. (lacht) Ich will mich auf jeden Fall noch einmal in den Hörsaal setzen - ich habe die allergrößte Lust noch mal ein wenig zu studieren. Staatslehre, Verfassungsgeschichte und Politikwissenschaft würden mich reizen. Das muss ich für mich selbst allerdings noch einmal klarer umreißen. Ganz praktisch möchte ich ab September im familiären Kontext mit mehr Präsenz und Flexibilität unterstützen, als es mir bislang möglich war. Außerdem steht die Überarbeitung meines Lehrbuchs zum evangelischen Kirchenrecht an, die bis zum Frühjahr 2024 fertig sein soll. Und eines, das habe ich mir fest vorgenommen: Ab dem ersten Tag Ruhestand werde ich die Zeit, die ich bislang in Gremiensitzungen verbracht habe, in mehr Bewegung investieren: Also mindestens einmal pro Woche zum Wandern in die Berge, zum Radfahren in die Fränkische Schweiz oder nach Thüringen.

Sie sind seit rund dreieinhalb Jahrzehnten im kirchlichen Dienst, meist bei der bayerischen Landeskirche, zwischendurch aber auch in Württemberg und Mitteldeutschland. Wieso sind Sie 2007 wieder zurück nach München? Weil Bayern doch am schönsten ist?

Eigentlich war ich nie richtig weg. Sowohl in meiner Stuttgarter, als auch in meiner Thüringer Zeit hatte ich immer auch einen Wohnsitz in München. Letztlich waren es vor allem persönliche Gründe, wieder nach München zurückzukehren. Ich arbeite gerne bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), aber es ist auch nicht so, dass sie für einen Kirchenjuristen besondere Vorzüge vor anderen Landeskirchen hätte. Was mir aber wichtig ist zu sagen: Ich möchte meine beiden Auslandsstationen unter keinen Umständen missen! Ich habe an beiden Orten viel gelernt. Die Württemberger waren vor 22 Jahren in Wirtschaftsdingen viel weiter als die ELKB, in Mitteldeutschland habe ich gelernt, wie eine kleiner werdende Kirche funktionieren kann und wie man sie dafür strukturell neu aufsetzen muss, um auch in der Fläche weiter präsent zu bleiben.

Was werden Sie an ihrer Arbeit als Oberkirchenrat und Abteilungsleiter besonders vermissen? Die vielen Sitzungen sind es, haben Sie ja schon angedeutet, wohl eher nicht …

Die gehören unbedingt auch dazu. Aber nein, das wird mir nicht so fehlen. Ich kann jetzt aber auch keinen einzelnen Bereich herauspicken, der mir besonders fehlen wird - denn meine Abteilung ist ja sehr vielseitig. Als ich bei der ELKB vor dreieinhalb Jahrzehnten angefangen habe, habe ich zunächst fast ausschließlich Rechtsthemen bearbeitet. Als Abteilungsleiter aber durfte ich mich auch mit dem innerkirchlichen Finanzausgleich befassen, hatte Bauthemen, Fragen der IT-Ausstattung, Kunst und so weiter. Neulich habe ich sogar eine Kunstausstellung mit eröffnen dürfen. Und am Ende sind auch immer wieder wissenschaftlich spannende Dinge entstanden - Buchprojekte etwa zu Kirchenbauten, Pfarrhäusern oder evangelischen Friedhöfen in Bayern. Das hat Spaß gemacht!

"Grundsätzlich sind Juristen und Theologen aber auch nicht so verschieden: Beide haben Methoden, Texte auszulegen."

Hand aufs Herz: Wie ist das, wenn man zwar als überzeugter evangelischer Christ, aber dann doch als Jurist im Landeskirchenrat und Landeskirchenamt vornehmlich mit Theologen zusammenarbeitet?

Ich würde sagen: Es braucht gegenseitiges Verständnis für die unterschiedlichen Sichtweisen. Ich denke, mir hat geholfen, dass ich im Nebenfach auch Theologie studiert habe und viel ehrenamtlich in meinen Gemeinden mitgearbeitet habe. Grundsätzlich sind Juristen und Theologen aber auch nicht so verschieden: Beide haben Methoden, Texte auszulegen - Theologen eben biblische und Juristen eben Rechtstexte. Ich fand dieses Zusammenwirken sehr inspirierend. An den theologisch-pädagogischen Berufsgruppen schätze ich den Bildungshorizont, die oft gegebene hohe Musikalität und Kreativität. Wobei letzteres natürlich auch mal schwierig wird. Theologinnen und Theologen entwickeln gerne Visionen und Konzepte und dann kommen wir als Juristen mit dem emotionsreduzierten Blick und versuchen das Ganze in der Realität anzudocken …

Sie haben in Ihrer Dienstzeit viele Reformprozesse in der Landeskirche mit begleitet, vieles trägt auch Ihre Handschrift: Was glauben Sie, wo steht die ELKB im Jahr 2050?

Das ist wirklich eine lange Perspektive - die Strategieüberlegungen in der Landeskirche reichen im Moment bis zum Jahr 2035! Aber trotzdem will ich eine Antwort versuchen: Ich gehe davon aus, dass sich bis 2050 die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder in Bayern in etwa halbiert auf dann 1,1 Millionen. Das wäre übrigens die Mitgliederzahl, die die Mitteldeutsche Kirche hatte, als ich dort gearbeitet habe. Das zeigt, dass man auch mit weniger Mitgliedern Kirche und Gemeinde sein kann. Das setzt allerdings die Bereitschaft voraus, dass man den Struktur-, Finanz- und Gebäudeaufwand reduziert. Dafür gibt es bei uns in Bayern schon klare Konzepte. Dazu gehört auch, dass nicht mehr in jeder Kirchengemeinde alles angeboten werden kann. Es wird Spezialisierungen und noch mehr Zusammenarbeit in den verschiedenen Regionen geben müssen.

"Im Neuen Testament steht doch nirgends, dass Christinnen und Christen immer in der Mehrheit oder immer eine gesellschaftlich relevante Größe sein werden."

Das klingt so, als wäre Ihnen bei diesem Gedanken - anders als so manch anderem in Kirche und vor allem auch Kirchenleitung - gar nicht so bang ...?

Ich will es mal mit dem letzten Satz des Matthäus-Evangeliums beantworten: "Ich bin bei euch - alle Tage bis zum Ende der Welt." Das ist eine derart kraftvolle Zusage, dass man im Vertrauen darauf auch von liebgewonnenen, aber nicht mehr haltbaren Struktur Abschied nehmen kann. Im Neuen Testament steht doch nirgends, dass Christinnen und Christen immer in der Mehrheit oder immer eine gesellschaftlich relevante Größe sein werden. Das Entscheidende ist, dass da, wo sich Menschen in Jesu Namen versammeln und sich von seiner Botschaft begeistern lassen, Kirche und Gemeinde ist. Man muss doch nur in die Welt schauen: Das bundesdeutsche System, wie Kirchen organisiert sind, ist ja jetzt nicht gerade das weltweit übliche.

Sie bleiben im Ruhestand weiter Honorarprofessor. Warum ist Ihnen die juristische Ausbildung des theologischen Nachwuchses so wichtig? Um die künftigen Pfarrerinnen und Pfarrer zu "erden"?

Natürlich ist es wichtig, dem theologischen Nachwuchs auch die rechtlichen Rahmenbedingungen nahezubringen, wie unsere Kirche funktioniert und gesamtgesellschaftlich verortet ist. Aber, und das ist der viel wichtigere Punkt, vor allem geht es um die Rückkopplung. Da sitzen junge Menschen mit einem - noch - unverstellten Blick, die teilweise bereits erste praktische Erfahrungen in den Gemeinden gemacht haben. Und die sagen einem dann ganz direkt, wenn sie irgendwelche Rechtsvorschriften oder Vorgehensweisen für unsinnig oder auch nicht praktikabel halten. Da gab es schon den ein oder anderen Punkt, den ich in der Vergangenheit aus meiner Tätigkeit als Dozent und Honorarprofessor mit ins Büro genommen habe. Wenn ich das nun weiterhin mache, ist das auch ein Ansporn für mich selbst, mich weiter über die Rechtsentwicklung im kirchlichen und staatlichen Bereich auf dem Laufenden zu halten.

"Mittelfristig werde ich meine Zelte in München abbrechen."

Wie halten Sie es als gebürtiger Nürnberger im Ruhestand: Bleiben, wo man ist, oder zurückkehren zu den eigenen geografischen Wurzeln?

Leider ist es ja so: Wenn man einen Leitungsjob hat, ist die Zeit für Freizeitangebote relativ begrenzt. Das heißt, dass ich das vielfältige kulturelle Leben in München oder auch die Nähe zu den Seen und Bergen nur sehr bedingt auskosten konnte. Das möchte ich jetzt nachholen. Mittelfristig werde ich aber meine Zelte in München abbrechen. Zwei Standorte, zwischen denen ich pendeln werde, wird es aber weiterhin geben: Zum einen natürlich in meiner Heimat Franken, zum anderen einen im Oberallgäu.

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