Es hatte schon leicht anarchische Züge, als Roger Schmidt, damals Vikar in Nürnberg, und Thomas Kaffenberger, damals wie heute Nürnberger Dekanatsjugendpfarrer, im Jahr 2003 versuchten, im Schulterschluss mit der Evangelischen Jugend Nürnberg (EJN) die ersten fixen Ideen einer Jugendkirche konkreter werden zu lassen. Eine nach allen Seiten offene Kirche für junge Menschen, die sich und ihren Glauben frei entfalten und dies mithilfe moderner Veranstaltungstechnik in eigenen Projekten umsetzen können und die mit der "LUX-Box" im Eingangsbereich eine gemütliche Lounge-Bar zum "Abhängen" hatten – das war neu. Zumindest innerhalb der bayerischen Kirche.

Dort hatte man aber erkannt, dass die gemeindliche Jugendarbeit immer weniger junge Menschen erreicht – während in Umfragen etwa zwei Drittel angegeben hatten, dass sie trotzdem starkes Interesse an Spiritualität hätten, wie Prodekan Christopher Krieghoff damals auch gegenüber dem Sonntagsblatt bekannte. Die Notwendigkeit, neue Wege zu versuchen, war also gegeben. Und der Nährboden, auf dem das gedeihen kann, auch. Dass die Bereitschaft der Landeskirche, die erste Jugendkirche in Bayern auch noch finanziell zu unterstützen, dann auch noch auf dem Tisch lag, ist für Kaffenberger noch heute ein Glücksfall. 2,2 Millionen hat die bayerische Landeskirche letztlich für den Umbau der Nürnberger Lukaskirche in eine Art "Glaubenslabor" ausgegeben. Die Kirchenbänke wurden entfernt, dafür kam eine Fußbodenheizung rein. Zwischen Scheinwerfern und Café-Lounge sollten junge Menschen zwischen 15 und 27 Jahren Gottesdienste und neue Ausdrucksformen unter dem Kreuz feiern.

Lukaskirche wurde komplett umgebaut

In der Nürnberger Lukasgemeinde hatte man die Kirche gefunden, die sich für den Umbau eignete, und im Februar 2007 einen Nutzungsvertrag mit der EJN abgeschlossen. Am 27. Oktober 1963 war die für die rund 7.000 Gemeindemitglieder im damals eng besiedelten Wohnquartier Nordostbahnhof eingeweiht worden. Werner Nothnagel, erster Pfarrer der 1940 eingerichteten Gemeinde, starb zwar zwei Monate vorher, hatte aber dafür gesorgt, dass die Lukaskirche mit insgesamt 785 Sitzplätzen viele Menschen fassen konnte.

50 Jahre später aber war die Kirche für die auf mittlerweile rund 250 Menschen geschrumpfte Gemeinde schlichtweg zu groß, was Gemeindeversammlung und Kirchenvorstand letztlich dazu bewog, den "Deal" mit der EJN einzugehen. Noch heute lebe man ein respektvolles Miteinander und "rekrutiere" seinen Nachwuchs für die LUX nicht zuletzt auch aus den jungen Christen am Nordostbahnhof, erklärt Kaffenberger. Die Lukasgemeinde feiert ihre größeren Gottesdienste nach wie vor in "ihrer alten" Kirche, kommt aber in der Regel in der bereits 1931 eingeweihten "Notkirche" zusammen, die Teil des heutigen Gemeindehauses ist.

Gemeinsam feiert man unter anderem die Osternacht oder auch das Gemeindefest. Der Seniorenkreis findet einmal pro Woche auf den Lounge-Möbeln in der LUX-Box statt. "Die lieben das", lachen die beiden Kulturreferentinnen Clara Jantos und Regina Kramer, die vom Team der ersten Stunde neben dem Dekanatsjugendpfarrer noch mit dabei sind und sich die Stelle teilen.

Party zur Einweihung der Jugendkirche LUX vor zehn Jahren
Die Party zur Einweihung der Jugendkirche vor zehn Jahren war legendär. Mit Schlauchbooten ließen sich die Jugendlichen von der Menge durch das Kirchenschiff tragen.

Von einem "Pionier-Gefühl" spricht Tobias Fritsche, damals erster LUX-Pfarrer und heute Landesjugendpfarrer. "Wir durften Neuland betreten und dafür ein Kirchenhaus bauen, in dem das sichtbar und spürbar wird, was jungen Menschen wichtig ist: Wärme, Gemeinschaft, viele Selbstgestaltungsmöglichkeiten für Jugendliche, ein modernes Gesicht von Kirche – mit Sofas, kreativem Licht und Ton", meint Fritsche. Dass sich immer mehr Leute angeschlossen haben, die diese Baustelle mitbearbeitet haben, habe wahnsinnig viel Energie freigesetzt. "Auch als die Jugendkirche fertig war, haben wir gemerkt, dass Jugendkirche immer im Baustellen-Modus ist.

Nach zehn Jahren ist es toll zu sehen, dass Jugendliche immer wieder zu der Aufbruchsstimmung des Anfangs zurückkehren", so der Landesjugendpfarrer.

Auch Jantos und Kramer erinnern sich noch gut an die Aufbruchstimmung Ende der 2000er-Jahre, als markige Fotos entstanden, auf denen die LUX-Leute die alten Kirchenbänke heraustrugen und das geflügelte Wort der "Kirche ohne Tabu", die im Entstehen sei, in der Luft lag. Das erste Konzert mit den Bands "Crushhead" und "Kingsfamily" fand im Juli 2008 in der noch nicht umgebauten Lukaskirche statt. Gänsehaut kommt noch heute auf, wenn das Gespräch auf den ersten LUXGottesdienst unter dem Motto "Ich bin ein Star" kommt, den das Team im März 2009 in der Disco "Golden Nugget" gefeiert hat, und an das zehnminütige "Großer Gott, wir loben dich" beim Eröffnungsgottesdienst.

"Event-Kirche" als Teufelszeug

Im Gedächtnis sind aber auch die kritischen Stimmen, die eine "Event-Kirche" als Teufelszeug verschrien und einen Hightech-Tempel mit großer Lichtanlage als Heiligenscheinersatz befürchteten, für den eine Kirchengemeinde sogar ausziehen muss. Vor allem aber kam die Sorge einiger Kirchengemeinden auf, dass LUX ihnen die Jugendlichen wegnimmt. "Heute wissen wir, dass etwa ein Viertel unserer Jugendlichen aus anderen Kirchengemeinden kommt, dort aber trotzdem weiterhin aktiv bleibt. Die Gemeinden erleben LUX als Ergänzung, aber nicht als Konkurrenz", meint Jantos. Man verstehe sich ein Stück weit auch als eine Art Dienstleister für die anderen Kirchengemeinden, weil man eben Raum, Equipment und Mitarbeiter besitze, wie sie anderswo für größere Events nicht vorgehalten werden. Trotzdem würden die LUX-Besucher auch zwangsläufig irgendwann zu einer Gemeinschaft.

"Es sind hier schon Ehen entstanden, und Kinder wurden geboren", ergänzt Kramer.

Neben den beiden Kulturreferentinnen und Pfarrer Johannes Amberg, der seit dem 1. November das Team wieder komplettiert, ist noch Anna Rohlederer als Jugendreferentin eine der Hauptamtlichen "LUXe". "Wir haben kein Stammpublikum. Für jeden Gottesdienst und jedes Event müssen wir uns überlegen, wie wir es anpacken und die Leute anziehen", erklärt sie. Dafür gebe es aber keine Altersgrenze oder andere Einschränkungen. "Ob es einem dann gefällt? Dafür können wir freilich nicht garantieren.

Wenn die Band zu laut ist, sorry, aber das ist eben Jugendkultur", meint Rohlederer. Der Besuch variiert von Sonntag zu Sonntag und auch je nach Angebot. Bei einem Disney-Gottesdienst seien regelmäßig rund 200 Menschen da, bei kleinen Andachten und Bibelarbeiten dafür mal ein entsprechend kleinerer Kreis. "Das ist aber ebenso wichtig, wie im großen Saal zu feiern. In der LUX kommt man ins Gespräch, tauscht sich aus", sagt die Religionspädagogin.

Etwa 60 Ehrenamtliche gestalten derzeit regelmäßig das LUX-Programm, das neben wöchentlichen Gottesdiensten und spirituellen Ausdrucksformen auch Aktivteams beispielsweise für Theater- oder Musikprojekte, Schulbesuche und den Seelsorge-Anlaufpunkt "Haltestelle LUX" umfasst. Etwa drei Mal pro Monat finden dazu kulturelle Veranstaltungen statt. Etwa 50 weitere Jugendliche machen sporadisch mit, wenn ihnen das Projekt zusagt.

Vier Generationen an Teams in zehn Jahren zählt Clara Jantos auf, die alle sich ihre Kirche neu erobert und definiert haben.

"Wir Hauptberufliche müssen den Jugendlichen die Chancen bieten, sich neu entfalten zu können, bieten aber gleichzeitig eine kirchliche wie biblische Glaubenstradition und theologischen Kontext, auf was man bauen kann", meint sie – auch im Hinblick auf charismatische Freikirchen wie ICF oder Ecclesia.

"Da steht Verkündigung im Vordergrund, bei uns ist es Partizipation. Bei uns steht der Pfarrer nicht zwangsläufig vorne und predigt. Die Jugendlichen entwickeln die Themen und sprechen dann", ergänzt Kaffenberger.

Sebastian Fischer und Marie Wild sind Ehrenamtliche aus dem Leitenden Team der Generation 4.0, die gerade am Projekt LUX weiterbasteln. Das braucht – trotz aller selbstverpflichteten Zwanglosigkeit – auch ein konzeptionelles Fundament, für das man sich im März erst zu einer "Denkwerkstatt" getroffen hat, bei der man mit externen Referenten und dem Amt für Jugendarbeit sein Selbstbildnis überdacht hat. Nach der Theorie folgt nun der praktische Teil: "Mit unserem Aktivteam ›DeLuxe‹ gehen wir direkt auf die Konfirmanden von St. Lukas zu und begleiten sie im Unterricht", erklärt Fischer.

Event-Location

"Wir wollen neue Szenen in unsere Kirche mit reinbringen. Mitgestalten ist ganz wichtig, gerne auch, wenn es mal an die Substanz geht", ergänzt Marie Wild. Substanz, das könne ganz konkret auch die Konzeption der Jugendkirche selbst sein, die von den Mitgliedern der Denkwerkstatt von einem rund 50-seitigen Papier auf einen knackigen Flyer heruntergebrochen wurde. Sein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert gerade Jan Kaiser, der die LUX "einfach cool" findet. "Hier kommen so viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, die einen gemeinsamen Nenner finden. Das habe ich in der Form noch nirgendwo erlebt", erklärt der FSJler.

Nicht zuletzt ist die Jugendkirche mittlerweile auch eine Event-Location, die von professionellen Veranstaltungsbüros gebucht wird, um hier Künstler auftreten zu lassen. So unterschiedliche Bands wie die Mittelalter-Band "Corvus Corax" oder das A-Cappella-Ensemble "Alte Bekannte" spielten schon hier, Kabarettisten wie Ilka Bessin oder "der Bembers" treten demnächst hier auf.

"Manche fahren mittlerweile teils eine Stunde hierher, um bei einem Theaterprojekt mitzuwirken", freut sich Regina Kramer.

Daraus ergebe sich eine Komm-und-Geh-Struktur. Wichtig sei, dass am Schluss etwas hängen bliebe vom Plan, ob Glaube etwas für das eigene Leben sei.

"Für einige ist die Bibel ein großes Märchenbuch, die treffen dann auf Menschen, für die Jesus der beste Freund ist. Die Diskussionen, die sich dann ergeben, machen LUX spannend", ist die Kulturreferentin überzeugt. Tobias Fritsche ergänzt, dass gerade durch die Kulturarbeit Leute in die Jugendkirche kommen, die keinen Kontakt zu Kirche haben und allein schon durch Kreuz und die Symbole des Kirchenraums zu einer Auseinandersetzung ihrer eigenen Haltung zu Kirche und Glauben herausgefordert werden.

Die Zukunft der Jugendkirche

Wie die Jugendkirche LUX in zehn Jahren aussehen wird? Die Landeskirche hat laut Thomas Kaffenberger die Stelle des Jugendkirchenpfarrers bis Ende 2023 zugesagt. Die Personal- und Sachkosten wurden bislang durch Rücklagen der EJN (110.000 Euro pro Jahr) und des Dekanats (500.000 Euro pro Jahr) getragen. Ein Förderverein schießt jährlich rund 5.000 Euro zu, eine halbe Million Euro seien in den vergangenen zehn Jahren zudem an Spenden eingegangen.

"Wir kommen ab 2021 dann an einen Punkt, an dem die Frage, wie es weitergeht, aufsteht", sagt der Dekanatsjugendpfarrer. Er hofft auf eine Antwort, die sich auch aus Schlüssen des innerkirchlichen Reformprozesses "Profil und Konzentration" ergeben könnten. Jedenfalls dürfe es dann nicht zu einem gegenseitigen Ausspielen kommen, ob die Gemeinden Geld für ihre eigene Jugendarbeit erhalten oder dies eben in die LUX fließt. "Das würde dazu führen, dass längst verheilt geglaubte Wunden wieder aufbrechen und die LUX als Konkurrenz angesehen wird."

Die Lukaskirche Nürnberg
Der Kirchturm der Lukaskirche hat sich nicht verändert, das Innenleben schon.

INFO

DAS LUX-JUBILÄUMSPROGRAMM beginnt am Freitag, 29. November, um 20 Uhr mit einem kostenlosen Konzert mit "Lokomotor" oder "Kollektiv 108". Am Samstag findet ab 18 Uhr ein Jugendgottesdienst statt, im Anschluss gibt es eine Kleinkunstbühne. Am Sonntag findet ab 13.30 Uhr das Jubiläumsfest statt, zu dem unter anderem Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm kommen wird.