Solange Schwester Thekla lebte, war die Welt noch in Ordnung. Doch dann starb die katholische Ordensfrau und es gab niemand mehr, der während der evangelischen Gottesdienste im Erlanger Waldkrankenhaus Orgel spielen konnte. Und ein externer Organist war schlicht zu teuer. Als die evangelische Pfarrerin Verena Winkler da von diesem kleinen Gerät hörte, das die Orgel anstelle eines Menschen bedient, war sie angetan.
"Die Gottesdienstbesucher merken oft gar nicht, dass da ein Automat spielt", erzählt die Krankenhausseelsorgerin. Spürbar werde das nur, wenn das Gerät einfach sein Tempo weiterspielt und sich nicht dem Gemeindegesang anpasst. Auch ist der programmierte Ablauf festgelegt: "Manchmal würde ich einem Organisten ein Zeichen geben, dass wir weniger Verse singen möchten, weil die Besucher nicht singen, oder mehr Verse, weil eine sangesfreudige Gruppe zusammengekommen ist", sagt Winkler. Solche Variabilität gehe verloren.
Orgelspieler aus Fleisch und Blut bleibt erste Wahl
Dennoch findet die Pfarrerin den Orgelautomaten gut. "Ich muss in anderen Gottesdiensten auf CDs zurückgreifen, da ist es mit dem Orgelautomaten viel festlicher", sagt sie. Natürlich sei ein Orgelspieler aus Fleisch und Blut die erste Wahl. Doch wenn der nicht parat sei, sei das Gerät eine gute Alternative.
Erfunden hat den Automaten Klaus Holzapfel. Der Ingenieur aus dem schwäbischen Ziertheim-Reistingen (Landkreis Dillingen an der Donau) erklärt: "Die Gemeinden sind froh, wieder eine gesangliche Stütze zu haben". Aktuell sei seine Orgelspielhilfe bundesweit in über 350 Gemeinden im Einsatz. Die Besonderheit sei, dass so trotz technischer Hilfe die eigene Orgel erklinge, so Holzapfel. Eine Organola kostet je nach Bauart der vorhandenen Orgel zwischen 3.000 und 9.000 Euro.
Sie besteht aus einem Aufsatz, der auf die Orgeltasten gesetzt wird. Anstelle von Menschenfingern drücken dann kleine Flizstößel diese auf Anweisung eines Steuergeräts nach unten. Varianten bietet Holzapfel für elektronische Orgeln an. Eingespielt werden können die Lieder entweder vom Organisten oder als gekauftes Datenpaket. Wann die Orgel loslegen soll, bestimmt der Pfarrer mittels Fernbedienung.
Zahl der Organisten sinkt jedes Jahr
Dass immer mehr telefoniert werden muss, um Orgelspieler aufzutreiben, weiß auch der Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Ulrich Knörr. "Die Zeiten eines Organisten, der über Jahrzehnte den Orgeldienst bei allen Gottesdiensten und Kasualien übernimmt, sind weitgehend vorüber", sagt er. Und die Zahl der Organisten sinke jedes Jahr. Den Orgelautomaten aus Schwaben kennt er: "Natürlich wurde der Einsatz schon diskutiert". Denn gewiss sei es eine Entlastung, nicht für jeden Gottesdienst einen Organisten suchen zu müssen. Dennoch ist Knörr skeptisch: Die Maschine könne nicht auf das Singverhalten der Gemeinde reagieren, bestätigt er Winklers Beobachtungen.
Ähnlich sieht das der Präsident des Verbands Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Bayern, Kirchenmusikdirektor Klaus Wedel. "Ob ein solches Gerät wirklich eine Entlastung für eine Gemeinde ist, wage ich zu bezweifeln", meint er. Natürlich würden die Gemeinden damit Personalkosten einsparen. "Aber mit einem solchem Gerät wird es wohl so sein wie mit einer elektronischen Orgel", vermutet er: "Da fehlt der Mensch, der mitatmet."
Außerdem mache Not erfinderisch, so Knörr: Das gelte auch für den Organistenmangel. Manche gestalteten die Gottesdienste alternativ mit Posaunen- oder Vokalchor, Piano, Gitarre oder Solo-Instrumenten. "Das Gotteslob der Gemeinde wird dabei durch Menschen angeleitet, nicht durch ein Gerät", sagt er. Schließlich sei auch nur schwer vorstellbar, dass der Pfarrermangel Predigten vom Tonband zur Folge haben könnte.
Kommt auch der Pfarrer-Automat?
Dieses Argument hört Holzapfel häufiger. Doch er erinnert daran, dass es auch bei der Automatisierung der Kirchenglocken zunächst große Widerstände gegeben habe. Außerdem gehe es ihm nicht darum, den Gottesdienst zu automatisieren oder gar die Pfarrer zu ersetzen. "Ich möchte lediglich den Gemeinden helfen, die immer wieder ohne Orgel singen müssen", betont er.
Auch die evangelische Pfarrerin Renate Schauer-Roth kennt das Problem, für ihre kleinen Krankenhaus-Gottesdienste im Internistischen Zentrum in Erlangen einen Organisten auftreiben zu müssen. So entstand der Gedanke, die rare Orgelmusik ohne Personalsuche einsetzen zu können. Seit fünf Jahren hat sie nun ein Gerät von Klaus Holzapfel - doch genutzt wird es kaum. Aktuell scheitert es am Umgang mit der Technik. Nach einem PC-Wechsel müsste sie erstmal die Software auf ihrem neuen Rechner installieren, sagt Schauer-Roth. Und dann dieses Lieder am PC raussuchen, anordnen, auf dem Stick speichern, einstecken ... In der Praxis sei sie einfach geübter darin, den CD-Player anzuwerfen oder ein Stück mit der Gitarre zu begleiten, gesteht sie. Dabei findet sie den Automaten eine gute Sache: "Uns fehlt nur die Routine."
Aktuell hat die evangelische Landeskirche 104 hauptberufliche Kirchenmusikstellen, die mit 126 Kantoren besetzt sind. Dazu sind 2300 nebenberufliche Organisten tätig. Doch auch wenn das viel klingt - es gibt viel mehr zu tun: In den Gemeinden fallen neben den sonntäglichen Gottesdiensten, Taufen, Trauungen, Beerdigungen sowie Wochengottesdienste an. Längst arbeiten die Organisten in gemeindeübergreifenden Teams zusammen. Und in der evangelischen Diaspora geht es nicht mehr ohne die katholischen Kollegen, erzählt Knörr. Ob auch in zehn Jahren noch alle Orgelbänke besetzt werden können, kann auch sein Kollege Wedel nicht nicht garantieren: Denn die Altersstruktur der Orgelspieler sei hoch und die Zahl der Schüler sinke jährlich.
Hoher Stellenwert der Musik für Protestanten
Vielleicht die Chance für Holzapfels Erfindung. Denn bisher ist der Automat zumindest bei den bayerischen Protestanten noch nicht richtig angekommen. Von den etwa 40 evangelischen Kunden in Deutschland sind nur die beiden Erlanger Krankenhauskapellen bayerische Abnehmer, sagt Holzapfel. Sicher hänge das damit zusammen, dass Orgelmusik bei den Protestanten einen besonders hohen Stellenwert habe, mutmaßt Wedel. Und auch Knörr betont die Rolle der Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche: "Martin Luther räumt ihr nach der Theologie den höchsten Stellenwert ein. Sie singt und spielt das Evangelium mit der Sprache der Musik in die Herzen der Menschen".