Nicht ernannt, sondern gewählt: Dass ihre Bischöfe mittels geheimer und freier Abstimmung in ihr Amt kommen, ist ein Umstand, auf den die evangelische Kirche stolz ist. In Bayern war es der Theologe Friedrich Veit, der 1920 als erster von der Synode gewählter Vertreter ins neu geschaffene Amt des Kirchenpräsidenten rückte - damals noch auf Lebenszeit. Schon der Titel "Kirchenpräsident" sollte das demokratische Element betonen.

Mit der Demokratie war es dann jedoch bald vorbei: Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler, am 24. März 1933 übertrug das "Ermächtigungsgesetz" den neuen Herren alle politische Macht. Veits Amts-Ende folgte wenige Wochen später: Vor 90 Jahren, am 11. April 1933, drängten seine Kollegen im Landeskirchenrat den NS-kritischen Kirchenpräsidenten zum Rücktritt.

Friedrich Veit: Von Anfang kritisch gegen Nationalismus

Friedrich Veit (1861-1948) stand den völkischen Tönen von Anfang an skeptisch gegenüber. Schon im Herbst 1923 habe er im Landeskirchenrat "kritisch über den 'überhitzten Nationalismus' einiger Pfarrer nach dem Hitler-Putsch berichtet", erklärt Björn Mensing, Kirchenhistoriker und Pfarrer an der Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Immer wieder ermahnte er in den Folgejahren Pfarrer, die sich öffentlich für die NSDAP engagierten, zu parteipolitischer Zurückhaltung - ohne großen Erfolg.

Beirren ließ der Kirchenpräsident sich aber nicht: In einem Vortrag im Evangelischen Handwerkerverein München Anfang 1931 bezeichnete Veit die völkische Bewegung als "Gegenstand ernster Sorge". Die Nationalsozialisten wollten "aus den Tiefen der eigenen Seelen etwas wie eine neue Religion formen, die man noch Christentum nennt, die aber nicht mehr Christentum ist". Der fränkische Gauleiter Julius Streicher nutzte Veits Äußerungen als Steilvorlage, um ihn im NS-Kampfblatt "Stürmer" zu verunglimpfen.

"Florierende Beziehungen zwischen Nazis und Pfarrern"

Allerdings stand der damals 70-Jährige mit seiner Kritik auf verlorenem Posten: Immer mehr bayerische Pfarrer ließen sich von Hitlers Ideen begeistern. Axel Töllner, Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) für den christlich-jüdischen Dialog, nannte die Entwicklung in der Pfarrerschaft um 1930 in einem Aufsatz eine "florierende Beziehungen zwischen Nationalsozialisten und Pfarrern".

Noch am 4. Oktober 1932 verbot der Landeskirchenrat öffentliche parteipolitische Stellungnahmen von Pfarrern. Doch Unruhe und Unzufriedenheit wuchsen, als Kirchenpräsident Veit nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 von Glückwünschen und ähnlichen Verlautbarungen Abstand nahm. Veit wiederum sah sich einer Front von Pfarrern gegenüber, die - so schreibt der Historiker Mensing -

"beflügelt von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler alle bestehenden Verbote zum propagandistischen Missbrauch von Gottesdiensten ignorierten".

Überliefert sei der Ausruf Veits bei einer Runde im Münchner Predigerseminar: "Ich kann kein Braunhemd mehr sehen!" Am 4. April erneuerte der Kirchenpräsident seine Kritik: Die Kirche könne nicht stillschweigend hinnehmen, wenn ehemals jüdische Gemeindemitglieder "wegen ihrer Rasseabstammung gebrandmarkt werden", sagte er in einer Versammlung von Dekanen, dem Landessynodalausschuss (LSA) und dem Landeskirchenrat.

Mit Rückzugs-Bitte überrumpelt

Doch diese Gremien betrieben da längst seine Absetzung. Schon nach der LSA-Sitzung vom 21. März 1933 hatte der Vorsitzende Paul von Merkel notiert: "Einigkeit wegen der Neuwahl des Kirchenpräsidenten." Am 6. April forderte nach Mensings Recherchen der Reichsführer des Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbunds, Pfarrer Friedrich Klein, vor dem Pfarrerverein kirchliche Neuwahlen. Als Veit am 10. April nach einer Sitzung in Berlin nach München zurückkehrte, überrumpelten ihn seine Kollegen im Landeskirchenrat mit der nachdrücklichen "Bitte", seinen für Herbst 1933 ohnehin geplanten Rückzug unverzüglich umzusetzen.

Nach einer schlaflosen Nacht und tief getroffen kam der Kirchenpräsident der Forderung am 11. April nach. In seinen Erinnerungen schrieb er später:

"Jedes Jahr, wenn der 11. April wiederkehrt, ist er mir ein Tag stiller Trauer."

Schon am 12. April 1933 übernahm der Oberkirchenrat und spätere Landesbischof Hans Meiser kommissarisch Veits Amt. Bislang unterlassene "Lobeshymnen auf Hitler und sein Regime" habe die Kirchenleitung eiligst nachgeholt, schreibt Mensing.

Friedrich Veit zog sich aus der Öffentlichkeit zurück - auch deshalb behelligte ihn das Regime nicht weiter. In privaten Briefen aber äußerte er seine Kritik weiterhin. Im Juli 1934 beklagte er die Gleichschaltung der Kirche als Folge ihrer Anbiederung ans NS-Regime: "Als ich meine Bedenken anmeldete, blieb ich allein." Als "prophetisch" bezeichnet der Historiker Mensing Veits Gedanken vom Januar 1934: Wie die Meisen ein Lied zu singen, "wie's ihnen gefällt", würden die Menschen vielleicht wieder lernen, "wenn erst alles vollends zerstört ist und ein neues Geschlecht von vorne anfängt".

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden