Über Straßennamen und Ehrenbürgerwürden wird derzeit häufiger diskutiert. Seit dem Münchner Missbrauchsgutachten fragen sich viele bayerische Kommunen, ob Alt-Papst Benedikt XVI Ehrenbürger ihrer Gemeinde bleiben soll. Und Berlin überprüft aktuell antisemitische Bezüge bei 290 Straßennamen. Die erste bayernweite Debatte um einen Straßennamen liegt aber schon 15 Jahre zurück: Ab 2006 standen in zehn bayerischen Kommunen von Bayreuth bis München die nach dem früheren evangelischen Landesbischof Hans Meiser benannten Straßen in der Kritik. Der Vorwurf: Meiser habe sich während der NS-Zeit mehrfach antisemitisch geäußert und nichts gegen Judenverfolgung und Euthanasie getan.

Der Anfang der Debatte war 2006 in Nürnberg

Ihren Anfang nahm die Debatte in Nürnberg, wo Hans Meiser 1881 geboren und 1956 begraben wurde. Für das Jahr 2006 plante die bayerische Landeskirche ein Gedenken zum 125. Geburtstag und 50. Todestags ihres früheren Bischofs, der von 1933 bis 1955 das Amt innehatte. "Skandal, Kirche feiert Nazi-Bischof" titelte daraufhin die Abendzeitung Nürnberg im April 2006.

Besonders hart kritisierte Arno Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, den Bischof. Meiser habe sich des gleichen Jargons bedient, wie der berüchtigte Nazi-Gauleiter und Judenhetzer Julius Streicher, kritisiert Hamburger in einem Brief an den 2006 amtierenden Landesbischof Johannes Friedrich. Gemäßigtere Töne schlug Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) an: "Wir sitzen nicht zu Gericht über Hans Meiser. Aber ihn aus seiner Zeit heraus zu verstehen, heißt nicht, ihn zu entschuldigen."

Nur die CSU-Mehrheitsfraktion im Stadtrat hielt lange an der Meiser-Straße fest - doch mangels eindeutiger Unterstützung seitens der evangelischen Landeskirche strich sie die Segel. "Wenn es eine dokumentierten Umbenennung gibt, wird die evangelische Kirche das akzeptieren", gab der Nürnberger Regionalbischof Ark Nitsche am Ende einer Fachtagung grünes Licht. Eine sehr emotionale Debatte endete am 24. Januar 2007 mit dem Beschluss, die Bischof-Meiser-Straße aus dem Stadtplan zu streichen - der Abschnitt heißt seither Spitalgasse.

Debatte entflammte 2007 auch in München

Im Kielwasser der Nürnberger Entscheidung gewann die Diskussion auch in München wieder an Fahrt. Im März 2007 sagte Charlotte Knobloch, damals Präsidentin des Zentralrats der Juden, am Rande einer Veranstaltung, dass "der Name dieses Mannes nicht an einer so wichtigen Straße in München" stehen bleiben solle.

Die Debatte nahm in der Folge chaotische Züge an: SPD und Grüne machten sich für die Umbenennung stark, der Ältestenrat fand zu keinem Entschluss, der zuständige Bezirksausschuss plädierte für die Beibehaltung des Namens, verknüpft mit Projekten zur Erinnerungsarbeit. Die Landeskirche, mit ihrem Verwaltungssitz Anrainerin der Meiserstraße, sprach sich deutlich gegen eine Umbenennung aus und führte die historische Bedeutung des Orts ins Feld. 1934 war Bischof Meiser von den Nationalsozialisten im Landeskirchenamt für drei Wochen unter Hausarrest gestellt worden. Mit Sonderzügen seien daraufhin hunderte fränkischer Protestanten nach München gekommen, um vor dem Amt ihre Solidarität mit Meiser zu demonstrieren.

Landesbischof Johannes Friedrich drohte der Stadt gar mit einer Klage, weil sie im Falle der Umbenennung ihre eigenen Kriterien außer Acht lasse: Nur Personen, die sich der Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben, dürften demnach von Straßenschildern getilgt werden. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hielt dagegen, München als "Hauptstadt der Bewegung" könne "keine großzügigeren Maßstäbe" anlegen, als Nürnberg. Am 18. Juli 2007 beschloss der Stadtrat die Umbenennung der Münchner Meiserstraße - nun heißt sie nach Martin Luthers Ehefrau Katharina von Bora.

Auch in kleineren bayerischen Gemeinden werden Änderungen vorgenommen

50 Kilometer nördlich lehnte die oberbayerische Gemeinde Pfaffenhofen an der Ilm die Umbenennung ihrer Bischof-Meiser-Straße im November 2007 mit deutlicher Mehrheit im Gemeinderat ab. Die Stadt Weiden in der Oberpfalz gründete nach heftigen Diskussion 2008 einen Arbeitskreis, der über die dortige Meiser-Straße entscheiden sollte. Am Ende blieb der Straßenname, ergänzt um eine Tafel mit dem Wortlaut:

"In der heutigen historischen Begutachtung wird Herr Meiser in seinem Handeln während der NS-Zeit eher als eine ambivalente Person betrachtet."

Auch im oberfränkischen Kulmbach hat man an der Hans-Meiser-Straße festgehalten.

Im mittelfränkischen Ansbach war die Bischof-Meiser-Straße zuletzt 2013 ein Thema. Damals hatte ein Stadtrat der Fraktion "Offene Linke Ansbach" eine Umbenennung gefordert - ohne Erfolg. Das Gremium verwies auf das Jahr 2006, als man schon einmal eine Umbenennung abgelehnt hatte. Die Gegner argumentierten 2013, dass es zur Person Meisers "keine neuen Erkenntnisse" sondern "nur neue Bewertungen" gebe. Im benachbarten Schwabach beschloss der Stadtrat 2009, dass vor einer Entscheidung zunächst "eine intensive historische Prüfung aller in Frage kommender Personen und Straßenbenennungen erfolgen sollte", so ein Sprecher. Aktuell diskutiere der Stadtrat erneut über Straßenumbenennungen - dabei werde wohl auch die Hans-Meiser-Straße nochmal auf die Tagesordnung kommen.

Im oberfränkischen Bayreuth flammte die Diskussion nach dem Beschluss von 2010, an der Hans-Meiser-Straße festzuhalten, durch Berichte in der Lokalpresse 2019 wieder auf. Die evangelische Regionalbischöfin Dorothea Greiner gründete daraufhin eine Arbeitsgruppe, die sich mit Hans Meiser beschäftigen sollte. Noch sei unklar, wie es weitergehe. Klar ist wiederum der Wunsch der Theologin: Sie favorisiert "eine echte erinnerungskulturelle Bewegung, in der die Interpretation von Straßennamen gewiss ein Teil ist, aber sich darin nicht erschöpft".