Pfarrer Thomas Zeitler sitzt an einem Tisch seines Stammcafés neben der Nürnberger Egidienkirche. "Als ich das erste Mal Kontakt zu Extinction Rebellion hatte, gab es sofort eine Warnung vom Beauftragten für Weltanschauungsfragen", erzählt der evangelische Theologe.

Zeitler gehört zu den streitbaren Pfarrern der bayerischen Landeskirche. Für seine Sache tritt er energisch ein – selbst wenn er dafür Widerspruch erntet.

"Wir Christen sollten der Sauerteig in der Umweltbewegung sein", findet Zeitler.

Religion biete eine spirituelle Haltung zu Aktivismus und Widerstand, die anderen Organisationen fremd sei. Zeitler meint das ganz wörtlich: Vor der Demonstration gegen die Einweihung der Europäischen Zentralbank 2015 in Frankfurt feierte er mit anderen Christen erst mal Abendmahl.

Es sei wichtig, den heiligen Zorn Gottes zu spüren und dieses Gefühl auch auf einer Demonstration zu artikulieren. Anhand solcher Erlebnisse könne man als Person "wachsen und sich weiterentwickeln", so Zeitler.

Aktive Vergangenheit

Dass Kirche politisch wach sein kann, erlebte Zeitler schon als Konfirmand: Der damalige Pfarrer machte sich für "Anti-Atomkraft, Frieden und Umwelt stark", schildert Zeitler. Den Mauerfall erlebte er als 17-Jähriger – und diskutierte den dritten Weg in der Vereinigung zwischen Ost und West.

Als Student engagierte er sich im Allgemeinen Studierendenausschuss (AstA) und kämpfte  gegen das Hochschulrahmengesetz und die Bologna-Reform.

Von der Psychologie wechselte er zur Theologie. An der Leipziger Universität lernte er die kritische Kirchenarbeit von Pfarrer Christian Führer an der Nikolaikirche kennen und sprach mit Angestellten vom Lehrstuhl, die sich aktiv an der Friedlichen Revolution beteiligt hatten.

In Berlin setzte er sich mit der Befreiungstheologie auseinander. "Ich fragte mich, was befreiendes Handeln in der europäischen Wohlstandgesellschaft bedeutet", so Zeitler.

Das Vikariat absolvierte er 2004 beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda). Er erlebte die AEG-Schließung in Nürnberg und bekam mit, was Hartz IV bedeutet: "Die Sanktionen der Grundsicherung widersprachen der christlichen Menschenwürde", fasst Zeitler seine Erlebnisse zusammen. Als Studienleiter im Evangelischen Studienwerk Villigst setzte er sich mit "Evangelischen Eliten" auseinander.

Pfarrer Zeitler ist Ladenpfarrer im Lorenzer Laden

Seit 2013 ist Zeitler nun "Ladenpfarrer" im Lorenzer Laden in Nürnberg. Der Laden ist eine Art alternatives Gemeindehaus der ökumenischen Basisgemeinde. Neben dem Weltladen befindet sich im Pfarrhof ein Begegnungscafé. Dieses ist Anlaufstelle für Menschen mit wenig Geld und gebrochenen Biografien.

"Das Leben auf der Straße ist hier immer präsent", sagt Zeitler mit Blick auf die Großstadt Nürnberg.

Über den Laden werden Aktivitäten gegen die Klimakrise organisiert. Beim Klimapilgern besucht Zeitler etwa nachhaltige Projekte in der Region wie die "solidarische Landwirtschaft" des Bio-Bauernhofs Dollinger.

Zeitler bietet auch Exerzitien an, bei denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihrem ökologischen Fußabdruck beschäftigen sollen. "Viele fragen sich, wie sie ein verträgliches Leben führen können", schildert Zeitler die Motive der jungen Menschen.

Besonders der Wunsch, mit dem eigenen Lebensstil global-ökologisch nicht schuldig zu werden, treibe sie an. Dieses Bedürfnis nach Selbstbeschränkung und Verzicht äußere sich oft in einer minimalistischen Lebensweise. Es biete jedoch auch einen Ansatzpunkt für grundsätzliche Fragestellungen: Wo kann ich das System verändern? Ab wann muss ich politisch werden?

Zeitler ist Kunstpfarrer an der Egidienkirche

Seit 2018 ist Zeitler neben seiner Arbeit als Hochschulpfarrer auch für das Kunst- und Kulturprofil der Egidienkirche zuständig. "Mit Kultur können wir unsere Lebensform gestalten", findet der Pfarrer.

Versage die kapitalistische und selbstzerstörerische Lebensform, sei es an der Zeit, Alternativen aufzuzeigen. "Ich halte es mit Joseph Beuys und seiner Frage: ‚Wie werden wir zu sozialen Plastiken?‘", skizziert Zeitler seine Tätigkeit.

Tanz etwa sei "gelebte Seelsorge", Singen ein starkes Gemeinschaftsprojekt. Dies schaffe Spielraum, sich von systemischen Zwängen zu befreien und Platz für Selbstentfaltung zu geben.

"Hier kann jeder Kirche aktiv mitgestalten und zukunftsfähig machen", erläutert er den Vorteil der Kulturprojekte.

Sorge bereitet Zeitler allerdings die Sparmaßnahmen infolge der Corona-Krise: So stehe zu befürchten, dass die künstlerische Vielfalt dem Spardiktat der bayerischen Landeskirche zum Opfer falle.

Für Zeitler ist es wichtig, gesellschaftspolitisches Engagement zu zeigen. "Die Institution Kirche zieht vielen Themen oft nur langsam nach. Aber sie schafft Chancen für gesellschaftliche Veränderung", bilanziert Zeitler.

 

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars mit dem Titel: "Online-Journalismus in der Praxis: Wie Religionen in Zeiten von Corona den digitalen Raum nutzen & innovative Ideen entwickeln" im Rahmen des Masterstudiengangs "Medien - Ethik - Religion" an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.