Kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine und vor dem Hintergrund weiterer aktueller Konflikte ist die Neuinszenierung der Chronik des Dreißigjährigen Krieges umso eindringlicher gelungen. Und wirft auch bis heute aktuelle religionskritische Fragen auf.
Anna Fierling, wegen ihres unerschrockenen Behauptens in einer männerdominierten Welt mit dem Beiname "Courage" gekrönt, ist eine moderne Frau. Die Marketenderin hat ihr eigenes Geschäft und Einkommen, ist stolze alleinerziehende Mutter dreier Kinder, die sie selbstbewusst von drei verschiedenen Männern empfangen hat. Und mit denen geht sie niemals zimperlich um: Ob es die Soldaten sind, die ihre beiden Söhne für den Kriegsdienst gewinnen wollen, ob es der sie umwerbende Koch ist, auf dessen Charme sie sich nicht so schnell einlässt oder der Feldprediger, den sie sich zum Wagenziehen und Holzhacken "hält" – keiner kann sich gegen die emanzipierte Frau behaupten.
Abhängig vom verhassten Krieg
Ihre Schwächen liegen woanders: Einerseits in der Fürsorge ihren Kindern gegenüber, die unter ihrem Schutz nie richtig erwachsen werden können. Andererseits in der Abhängigkeit vom eigentlich so verhassten Krieg, der ihr wiederum Geschäfte und Einnahmen garantiert, wenngleich er ihren drei Kindern letztlich das Leben kostet. Ute Fiedler in der Hauptrolle nimmt man dieses unbeugsame und dabei doch so empathische Teufelsweib jedenfalls sofort ab – die langjährige Stammschauspielerin des Augsburger Ensembles liefert eine beeindruckende Darstellung ab.
Dieses Spannungsfeld wählte der in Augsburg geborenen Dramatiker Bertolt Brecht (1898 bis 1956) bewusst bei seinem 1941 in Zürich erstmals aufgeführten Drama, um nicht nur die Grausamkeit des Krieges, sondern auch die dadurch entstehenden menschlichen Abgründe zu zeigen, in denen die Masken fallen. Eindrucksvoll an der Hauptfigur selbst abzulesen, die vom Krieg profitiert, dabei aber übersieht, dass dieser sie und ihre Liebsten auffrisst.
Aber sehr gut auch an der Figur des Feldpredigers. Ähnlich den Soldatenuniformen in modernem Camouflage-Gewand unterwegs, zeigt sich dieser als stolzer Wortakrobat, der Massen mobilisieren mag, aufgrund seiner geistlichen Berufung sich aber außerstande sieht, gewöhnliche Arbeiten zu verrichten. Dies treibt ihn nicht einmal die Courage endgültig aus. Wohl aber lässt sich der Gottesmann dazu hinreißen, ihr seine männlichen Qualitäten auf amourösem Gebiet nahe zu legen.
Evangelische oder katholische Flagge
Die aber lässt sich nicht beeindrucken. Für die Mutter sind Männer nur nützliche Werkzeuge, ebenso wie die wahlweise evangelische oder katholische Flagge, die sie an ihrem Wagen hisst, je nachdem, ob sie gerade mit den kaiserlichen Truppen Tillys oder denen von Schwedenführer Gustav Adolf Geschäfte machen will.
Religion wird in "Mutter Courage" zum Selbstzweck, Konfessionen sind austauschbar. Vielleicht hat der in der evangelischen Barfüßerkirche in Augsburg getaufte Brecht dies selbst an seinen gemischt-konfessionellen Eltern erlebt. In seinem Drama spielt der schonungslos offene Umgang mit religiöser Doppelmoral jedenfalls mindestens eine ebenso wichtige Rolle wie das Kriegsgeschehen an sich.
Und in der eindrucksvollen Inszenierung von David Ortmann, die noch fünf Mal bis Mitte Juni in der Ausweichspielstätte des Augsburger Staatstheaters im martini-Park gezeigt wird, bedeutet das einen dreistündigen Parforceritt der Gefühle. Die dräuenden, mal jazzig-verspielt, mal klassisch-konzertanten Klänge, die von einer Abordnung der Augsburger Philharmoniker aus dem kleinen Orchestergraben kommen, sind passgenau eingesetzt, wenn die Akteurinnen und Akteure ihre Balladen und Lieder singen oder wenn das Geschehen auf der Bühne einfach nur akustisch unterstützt wird. Ein ausgeklügeltes Lichtspiel sowie die Texteinblendungen auf dem runden, drehbaren Bühnenelement im Hintergrund lassen das Gesagte besser verstehen.
Gebärdensprache mit integriert
Im Falle der "Stummen Kattrin", die Anne Zander meisterhaft mit ausdrucksstarker Mimik und einem ausgefuchsten Lautspiel auf die Bühne bringt, ist das umso wichtiger. Im Originaltext bleibt Kattrin stumm. In der Augsburger Inszenierung unterhält sich ihre Mutter mit ihr lautspracheunterstützenden Gebärden (LUG), während Bruder "Schweizerkas" sogar die Deutsche Gebärdensprache (DGS) beherrscht. Ein toller Einfall der Augsburger, die nicht zuletzt durch ihre digitalen Theaterprojekte sich schon seit vielen Jahren als Vorreiter der Inklusion im Kulturgenuss verschrieben haben.
Als der Bruder stirbt, ihr damit eine Kommunikationsmöglichkeit fehlt, und der Krieg kein Ende zu nehmen scheint, verstummt Kattrin noch mehr und wird dadurch selbstmörderisch. Zu viel hat die junge Frau schon erlebt, zu viele Striche für jeden Toten haben zum Ende des Stückes hin die Soldaten mit Kreide an die schwarzen Wände gemalt. Kattrin ist tot, der Krieg geht weiter – und auch Mutter Courage macht weiter ihre Geschäfte damit, weil sie sich mittlerweile keine andere Lebensrealität mehr vorstellen kann. Ein bitteres Ende des Dramas – noch bitterer zwei Jahre nach Beginn des Krieges auf europäischem Boden, bei dem augenscheinlich keiner der kontrahierenden Blöcke mehr eine Idee für ein schnelles Ende hat.
"No Future" und der "Kraftklub"
Das Augsburger Brechtfestival steht dieses Mal unter dem Motto "No Future" und geht noch bis zum 3. März. An verschiedenen Spielstätten in der Stadt werden internationale Theateraufführungen, experimentelle Kunstformate, Gespräche, Lesungen, Performances, Konzerte, Filme und Clubnächte gezeigt. Hervorzuheben ist dabei der "Kraftklub", der unter der Ägide des Augsburger Kulturamtes in einer ehemaligen Textilfabrik gegenüber des Plärrergeländes entstanden ist. Täglich finden dort auf einem Parcour mit Boxring oder Sandsäcken Mitmachtrainings für den Körper statt, während der Geist bei Shows, Lesungen, Performances, Workshop und einer Live-Radio-Show angeregt werden soll.
"In Brechts Kraftklub wird gegen die drohende Zukunftslosigkeit trainiert: Hier werden Körper geformt und Haltungen einverleibt – auf der physischen Ebene genauso wie auf der des Geistes und der Ästhetik. Brechts Kraftklub ist ein Ort für Leibesübungen und Diskussionen, für Muskelaufbau und Kontroversen",
beschreiben die Veranstalter die temporäre Einrichtung.
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