Eine junge Frau streitet mit ihrem Vater. Die 13jährige Bauerntochter will für ihr Vaterland in den Krieg ziehen. Der einfache Hirte ist dagegen, doch sie setzt sich durch und wird zur heiligen Johanna, deren Legende heute noch erzählt wird.
Dieser Zwist ist eine der vielen beeindruckend gespielten Szenen aus Friedrichs Schillers romantischer Tragödie "Die Jungfrau von Orleans" in der Kirche St. Stephan in Bamberg. Es hätte ein Highlight zum Jubiläum der Kirche werden sollen, die im Jahr 2020 stolze 1000 Jahre alt wurde. Wegen der Corona Pandemie wurden alle Aufführungen auf den Herbst 2021 verschoben. Es hat nicht geschadet – trotz Verspätung waren alle Vorstellungen ausverkauft.
Johanna spielt ein Mann
Johanna wird von dem 26jährigen Jonathan Bamberg gespielt – das ist kein Künstlername. Der Schauspieler trägt tatsächlich den Namen der Stadt, in der er auftritt. Die Rolle ist für ihn ein Kontrapunkt "da ich als Mann eine Frau spiele, wir diese dennoch aber nicht als unbedingt weiblich verstehen, sondern mehr als androgyn", erklärt er. "Da gab es viele Überschneidungen, mit denen ich arbeiten konnte, das hat die Figur nicht so fremd gemacht, wie sie auf den ersten Blick auf mich wirkte."
Tatsächlich schlägt das Stück eine Brücke aus dem Mittelalter in unser 21. Jahrhundert. Am Ende werden Zitate von Menschen gesprochen, die Johanna heute für sich instrumentalisieren, zum Beispiel die rechtsradikale Politikerin Marine Le Pen. Jonathan Bamberg sieht in diesem Zusammenhang auch Greta Thumberg als ein Beispiel für religiös anmutenden Fanatismus an, unabhängig davon, ob die Ziele gut oder schlecht sein mögen.
"Die Thematik ist sehr aktuell", bestätigt auch Regisseurin Nina Lorenz:
"Es geht um eine Glaubenskriegerin, die damals wie heute losziehen könnte, um für ihren Glauben zu morden, zu töten, aber auch zu retten."
Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Musik: "Orgel und Chor versuchen einen Kontrapunkt zu dem zu setzen, was wir mit dem Spiel machen", erklärt sie, "also nicht ins Pathos zu gehen, nicht in die großen Emotionen, sondern die Musik nimmt diesen Part ein und lässt einen Dialog entstehen.
Auswahl der Musik war große Herausforderung
Die Auswahl der passenden Musik war für die Kantorin und Kirchenmusikdirektorin Ingrid Kasper eine große Herausforderung. Während das Theaterensemble in den Proben die Rollen entwickeln konnte, musste die Musik zu diesem Zeitpunkt bereits stehen. "Ich habe mir Puzzleteile überlegt", erklärt sie. "also aus Frankreich Musik aus der Zeit der Jeanne D’Arc ausgegraben, Musik, die auf den Feldern gesungen wurde, da gibt es so Ochsengespannsgesänge, die einfließen, dann habe ich mich mit Krönungsmusiken beschäftigt, die Französische Ouvertüre ist dabei, und dann bin ich damit in die Proben gegangen und habe versucht, welches Puzzleteil passt jetzt wo? Manche Stücke habe ich dann geteilt, damit alles passt."
Die 108 Sängerinnen und Sänger ihres Chores – alles Laien – waren mit Eifer dabei. Pro Aufführung kamen aber immer nur jeweils 20 zum Einsatz, so dass Ingrid Kasper 108 Terminkalender koordinieren musste, damit auch alle auftreten konnten.
"Ein großes Geschenk, hier spielen zu dürfen"
Das Stück von Friedrich Schiller neu in einer Kirche zu inszenieren, bedeutete für die ganze Truppe eine große Herausforderung an Kraft und Energie. "Man muss diesen riesigen Raum ständig mitdenken", sagt Regisseurin Nina Lorenz. "Man hat ja auch von drei Seiten das Publikum, das sind riesige Dimensionen, die man vielleicht in einem Opernhaus hat, aber auf kleineren Bühnen nicht." Trotzdem hat die Aufgabe großen Spaß gemacht, vor allem auch den Schauspielern. Zufrieden blickt sie auf die vergangenen Wochen zurück: "Es war ein großes Geschenk, hier spielen zu dürfen", betont sie.
Ob es eine Wiederaufführung geben wird, ist noch nicht abzusehen. Wünschen würden es alle, auch Stephan Bach, der Gründer des Theaters im Gärtnerviertel, der hier gleich drei Rollen verkörpert: Johannas Vater, einen königlichen Offizier und den intriganten Herzog von Burgund. "Wir haben lange daran gearbeitet, spezielle Charakteristika der einzelnen Personen hervorzuheben: Haltungen, Sprechweisen, natürlich auch vom Kostüm her, so dass dem Zuschauer doch klar wird, wer da wer ist." Von den drei Figuren spielt er den intriganten Herzog am liebsten: "Er kommt ein bisschen negativ weg, aber er ist sehr gewitzt, er ist ein Überlebenskünstler und er hat einen gewissen Charme."
Den Spielort Kirche hat er als Herausforderung erlebt:
"Der Raum selber ist ja schon ein Darsteller. Er ist kein gewöhnlicher Raum. Eine Kirche nimmt einen immer in ganz besonderer Weise mit, allein schon die akustischen Gegebenheiten, die man erst ergründen muss."
Trotzdem würde er eine mögliche Wiederaufführung statt im Theater lieber wieder in der Kirche spielen: "Weil dieses Stück in der Form wie wir es gemacht haben und wie es rundum konzipiert wurde, gehört hier rein."
Am deutlichsten wird das in der Schlussszene. Johannas letztes verzweifeltes Wort ist: "Jesus!" In diesem Augenblick erlischt das Licht in der Kirche. Es ist stockdunkel. Alle schweigen, auch das verblüffte Publikum, bis nach einer Weile dann donnernder Applaus einsetzt und das Licht alle erlöst.