Proben für die Weihnachtskonzerte

In der Luft liegt angespanntes Knistern, ein paar Notenblätter rascheln. Ludwig Böhme stellt sich auf die Zehenspitzen und hebt beide Arme. Mit Kraft und gleichzeitiger Leichtigkeit erfüllt der Klang des Windsbacher Knabenchors den großen Saal am Campus in Windsbach.

Es ist Freitagabend, die Proben für die Weihnachtskonzerte laufen, der letzte Durchlauf für heute. Als die Probe endet, lässt auch die Spannung nach. Die Jungs unterhalten sich, manche kichern, sie wirken gelöst. Das war in Windsbach nicht immer so.

Vorbei, die dunkle Chor-Vergangenheit 

Es ist etwas mehr als zehn Jahre her, als die Vorwürfe gegen den Chorgründer Hans Thamm (1921-2007) aufkamen. In den 1950er- und 1960er-Jahren waren Ohrfeigen und Schläge gängige Erziehungsmethoden in Windsbach, ergibt ein Gutachten - wie in den meisten Elternhäusern auch.

Zu Beginn der 2000er-Jahre stand der damalige Chorleiter Karl-Friedrich Beringer in der Kritik - wegen verbaler Ausfälle und psychischen Drucks. Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen ein, sie fand nichts strafrechtlich Relevantes.

Proben des Windsbacher Knabenchors
Seit etwas mehr als eineinviertel Jahren ist Ludwig Böhme Leiter des Windsbacher Knabenchors. Seither hat sich dort einiges geändert. Vor allem atmosphärisch und pädagogisch, sagen Windsbach-Kenner. Ein Probenbesuch vor Weihnachten bestätigt das.

Seither haben sich die Windsbacher viel Mühe gegeben, ein neues Image aufzubauen: das eines modernen Knabenchors. Man singt weiterhin die Werke alter Meister, aber strukturell und vor allem pädagogisch wollte man in der Neuzeit ankommen.

Unter dem dritten Windsbacher Chorleiter Martin Lehmann gab es erste Fort-, aber auch Rückschritte. Einige Männerstimmen sollen ihre "Macht" als Große gegenüber Jüngeren ausgenutzt und sie dabei schikaniert haben. Manche Sänger und Eltern fanden auch den Leistungsdruck zu hoch.

"Böhme will Spitzenleistung, aber nicht um jeden Preis"

Jetzt hält Ludwig Böhme das musikalische Ruder in der Hand. Und hat als zentrale Figur in Windsbach damit auch entscheidenden Einfluss auf alles, was über das rein Musikalische hinausgeht.

"Ich bin hier angetreten als einer, der positiv motivieren möchte", sagt er.

Interims-Direktor Klaus-Ulrich Feiler, früher selbst einmal Windsbacher, ergänzt: "Auch Ludwig Böhme will Spitzenleistung, aber nicht um jeden Preis." Oder, wie Böhme es formuliert:

"Ich habe kein absolutes Ziel. Ich will, dass die Jungs über sich selbst hinauswachsen."

Auch Außenstehende bemerken Veränderungen am und im Chor, seit Böhme im September vor einem Jahr in Windsbach begonnen hat. Er sei "pädagogisch ganz weit vorn", sagt einer, der seit Jahren nah dran ist am Knabenchor.

Obwohl Böhme ein herausragender Musiker mit hohen Ansprüchen sei, vergesse er nie, dass er es mit Kindern und Jugendlichen zu tun habe. Seinen Namen will der Chorkenner trotzdem nicht nennen, denn es schwingt auch Kritik an früher mit. Da habe das Wohl der Sänger nicht immer im Zentrum gestanden.

Zugewandt, wertschätzend, ehrlich

Böhmes Art kommt bei den Jungs an, das merkt man beim Probenbesuch schnell. Auch, wenn er mal nicht nur Lob äußert - selbst Kritik vermittelt er wertschätzend und sachlich.

"Ich würde nicht schlafen können, wenn Jungs unter meiner Leitung Angst hätten", sagt er: "Das würde ich nie wollen."

Allerdings, auch das gehöre zur Wahrheit, sei eine Institution wie der Knabenchor mit seinem Internatsleben "nicht passend für jedes Kind", erläutert Interims-Direktor Feiler: "Daran können auch die besten Pädagogen der Welt nichts ändern."

Satirischer Einzelfall an buntem Abend

Der "christlich-abendländische Geist", der in Windsbach das Miteinander prägen soll, weht aber nicht immer. Zuletzt herrschte kurz vor den Sommerferien ein ziemlich rüder Umgangston. Bei einem schulinternen bunten Abend mit satirischen Beiträgen schossen mehrere Männerstimmen offenbar übers Ziel hinaus - und massiv gegen den inzwischen ehemaligen Internatsleiter und Direktor Bernd Töpfer. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die dort gefallenen, teils persönlichen Beleidigungen auch ein Grund für seinen Weggang waren.

Auch Böhme war an besagtem Abend dabei. "Viele Beiträge waren gut und lustig", sagt er. Als der Beitrag zu Töpfer kam, musste er schlucken. Aber die Tragweite des Ganzen wurde ihm erst bewusst, "als ich eine Nacht darüber geschlafen hatte". Es folgten moderierte Gespräche mit den beteiligten Sängern, sie entschuldigten sich bei Töpfer und dessen Frau.

"Ich würde vehement widersprechen, dass so etwas regelmäßig vorkommt oder sogar systemisch wäre. Das war ein übergriffiger Einzelfall", betont der Chorleiter.

Herausforderung: Nachwuchsgewinnung und Geld

Neben dem Umgang mit solchen Einzelfällen liegen die größten Herausforderungen für die Windsbacher im Moment allerdings bei der Nachwuchsgewinnung für den Chor und der Finanzierung des Ganzen. Der Etat für ein Jahr umfasst fünf Millionen Euro, die Landeskirche schießt davon 1,5 Millionen Euro zu.

Den Rest muss der Chor über Einnahmen, Internatsbeiträge, öffentliche Zuschüsse und Sponsoren abdecken. Gut möglich, dass demnächst die Elternbeiträge für Internat und Tagesheim steigen, sagt Interims-Direktor Feiler.

Seit Corona kämpft der Chor. "Wir wirtschaften nicht schlecht", erläutert Feiler. Doch zehn Prozent Inflation bedeuteten bei fünf Millionen Euro Jahresetat 500.000 Euro Mehrkosten: "Das kann man nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln." Chorleiter Böhme pflichtet ihm bei:

"Die anderen großen evangelischen Knabenchöre in Leipzig und Dresden sind städtische Einrichtungen - da landen solche Mehrkosten einfach bei den Städten."

In Windsbach musste man schon immer auch selbst Geld erwirtschaften; das gelte es weiter auszubauen.

Chor ist Bildungsarbeit

Und dann sagt Böhme noch etwas, das ihm wichtig ist:

"Wir brauchen Zuschüsse, keine Frage. Aber nicht für einen 'Elite-Chor', sondern für Bildungsarbeit."

Werke von alten Meistern wie Johannes Sebastian Bach könne man nur authentisch mit einem guten Knabenchor aufführen, weil die Werke ursprünglich für Knabenchöre komponiert wurden.

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