Lange Menschenschlangen am Freitagnachmittag vor der Lorenzkirche, in der man Kinderstimmpädagogin und Kirchenmusikerin Friedhilde Trüün mit ihrem gesamten Temperament erleben konnte. Vor ihr rund 250 Viert- und Fünftklässler aus Nürnberger Schulen, die bereits wochenlang für das Projekt "SingBeethoven" geprobt hatten und nun die Gäste mit Beethovens "Ode an die Freude – Freude schöner Götterfunken" erfreuten. Das versprach schon alleine angesichts des Megachors eine gut gefüllte Kirche, und das wurde dann auch so. Ein niederschwelliger Zugang zur Klassik – nicht nur für den Nachwuchs, sondern mit Sicherheit an diesem Nachmittag auch für einige Zuhörenden, denen der Chor mit einem vierköpfigen Jazz-Ensemble neue Texte zu bekannten Beethoven-Melodien servierten.

Studierende der Alten Musik und Chorleitung der Hochschule für Musik in Nürnberg
Studierende der Alten Musik und Chorleitung der Hochschule für Musik in Nürnberg traten bei der ION-Nacht in St. Egidien auf.

Da herrschten in Nürnberg noch rund 30 Grad Außentemperatur, während derer St. Lorenz eine willkommene Abkühlung bot. Das sollte sich bald ändern: Dunkle Gewitterwolken machten sich am späten Nachmittag breit, bald blitzte es und der Himmel öffnete seine Schleusen. Gottseidank einerseits, hatte es doch seit Wochen nicht mehr geregnet. Andererseits – ausgerechnet zur anstehenden ION-Nacht, deren Höhepunkt ein Riesenchor aus spontan zusammenkommenden Sängerinnen und Sängern auf dem Sebalder Platz werden sollte. Einige hat der Regen dann doch wohl abgeschreckt. Trotzdem: Die Menge, die dann gegen 23 Uhr "Dona nobis pacem" oder das bekannte niederdeutsche Volkslied "Dat du min Leevsten büst" angeführt von erfahrenen Chorleitern anstimmte, war zahlenmäßig beeindruckend und klang auch so. Und zu regnen hatte es dann auch allmählich aufgehört.

Schwelgerische Romantik von César Franck
Schwelgerische Romantik von César Franck brachten in der Frauenkirche Nürnberg Organist Frank Dillmann mit Markus Simon (auch Kirchenmusiker der Trinitatiskirche in Langenzenn), Nanami Chiba und Sergei Nikolaev zu Gehör.

Moritz Puschke, Intendant der ION, war am Abend jedenfalls glücklich. Noch am frühen Abend hatte er sich mitten ins Getümmel gestürzt, holte interessierte Sängerinnen und Sänger in den Sebalder Pfarrhof zusammen, wo das "Warm up" stattfand. Liedzettel wurden ausgeteilt, wer auch zufällig am Abend in der Stadt unterwegs war, herein gebeten. Jan Schumacher, Ester Petri, Martin Palmeri und Friedhilde Trüün brachten den Menschen die richtigen Töne bei, sodass es dann ein beeindruckendes Gemeinschaftserlebnis wurde. Und irgendwo auch ein Zeichen für Zusammenhalt und Frieden, gerade in diesen unruhigen Zeiten und gemäß des Festival-Mottos "All you need".

Kirchenhopping mit viel Musik

Doch bis dahin? Da war "Kirchenhopping" angesagt. Musikfans hatten manchmal die Qual der Wahl zwischen den Konzerten, aber immerhin freien Eintritt. Jeweils zweimal wurden zwischen 19 und 23 Uhr Konzertprogramme aufgeführt: Motetten und Concerti in St. Egidien, Romantik von César Franck in der Frauenkirche, Akkordeonklänge in St. Jakob, Romantisches in St. Elisabeth sowie geistliche Tangomusik in St. Lorenz. Dort wurde dann noch ein digitales Projekt akustischer Kunst von Bachchor und Vokalensemble St. Lorenz in Zusammenarbeit mit dem Tonstudio der Hochschule für Musik in Nürnberg präsentiert. Als audio-visuelle Installation war dieses als Reaktion auf die Corona-Pandemie entwickelt worden. Die "Minimal Music" brachte einen experimentellen Charakter in diesen Abend.

Während auf dem Sebalder Platz die Sängerinnen und Sänger zusammen kamen, wurde es dann zum Auftakt der neuen ION-Reihe "Nightflight" in der Marthakirche noch einmal sphärisch. Die polnische Tastenkünstlerin und Sängerin Hania Rani hatte geladen, die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die zahlreichen auch von weitem angereisten Fans erlebten Klanglandschaften, die mit einer beeindruckenden Lichtshow das spartanisch eingerichtete Gemäuer der Kirche erfüllten. Eine Art organische "Ur-Musik", die an diesem Ort bisher unerhört war, aber sich perfekt in das Ensemble einfügte. Hania Ranim spielte am Konzertflügel wie am Moog-Synthesizer, dem sie flirrende Klänge entlockte und mit dem sie sehnsüchtig stimmende Tonteppiche knüpfte. Unterstützt wurde sie dabei von Ziemowit Klimek (Bass) und Wojtek Warmijak (Schlagzeug), die dazu mal groovten wie eine Jazz-Fusion-Band oder sich zusammen mit der "Chefin" soweit zurücknehmen konnten, dass man die berühmte Stecknadel hätte hören können.

Als das Publikum nach dieser atemberaubenden Klangfahrt dann in die immer noch warme Nacht entlassen wurde, hatte es zu regnen aufgehört. Der Himmel über Nürnberg war immer noch erfüllt vom Sound diese Nacht, an dem so viele Menschen ihren Anteil hatten.

Hania Rani
Hania Rani erschuf mit ihrem Trio in St. Martha Klanglandschaften.