"Uahuau" und "Luumaah", die Tonleiter rauf und runter – fast eine halbe Stunde lang stimmt Chorleiterin Bekki Deckart ihren Chor ein, bis die Kehlen warm sind. Und dann geht’s plötzlich auf Kommando los: "Ride on, King Jesus" – die zwei Dutzend Sänger schmettern das Traditional aus den Südstaaten der USA gerade so raus, dass man vom Fahrtwind der Noten schier umgeblasen wird. Und das mit einer Dynamik, die einem Gänsehaut macht. Hat sich gelohnt, das Einsingen.

"Das war damals eines der wenigen Angebote für uns jung Konfirmierte", erinnert sich Volkmar Fichte an das Jahr 1974, als der gebürtige Nürnberger zum Chor gekommen ist, der aus dem 1968 von Gerhard Albrecht gegründeten "Spiritual-Kreis Langwasser" hervorging. Ein reines Männerquartett aus Gleichgesinnten, die ihrer Leidenschaft für Gospels frönen wollten. Doch mit den bald hinzu gekommenen Frauenstimmen klang es noch besser.

Nürnberger Gospelchor: Exot unter den Kirchenchören

Chorsätze für Gospels gab es damals keine – Albrecht arrangierte selbst Songs, direkt vom Tonträger aufs Notenpapier. "Es gab ja nur normale Kirchenchöre, da waren wir etwas Besonderes. So eine Aufbruchsstimmung haben wir dann nur noch einmal erlebt, als wir nach der Wende in die neuen Bundesländer fuhren und dort die Menschen begeistern konnten", sagt Fichte.

Zu Spitzenzeiten bestand der Chor aus 45 Mitgliedern, dazu kam eine feste Band mit Piano, Bass und Schlagzeug. Gottesdienste und Konzerte wurden absolviert, Konzertreisen nach Frankreich, Polen und Tschechien und zu Kirchentagen in Frankfurt, Dortmund, Berlin, München und Leipzig unternommen.

Fünf Jahrzehnte, prall gefüllt mit Höhen und Tiefen und Erlebnissen für die Ewigkeit. Wie das Konzert mit dem bekannten Gospel-Dirigenten Michael Mc Kay auf der früheren Fürther US-Militärbasis. "Wir sangen in einem riesigen Chor mit den Schwarzen. Eine Frau war so ergriffen, dass sie in Ekstase fiel, steif wie ein Brett wurde und weggetragen werden musste", schildert Heinz-Georg Hübner (seit 1978 dabei) ein filmreifes Ereignis.

Chor ohne Nachwuchssorgen

Doch mit den Klischees von Gospel-Chören, wie man sie beispielsweise aus der US-Komödie "Sister Act" kennt, hat der Nürnberger Chor wenig zu tun. "Die Musik und die Chöre haben sich im Lauf der Jahre in allen Facetten entwickelt. Chorleiter schreiben ihre eigenen Stücke, es werden Pop-Songs aus dem Radio arrangiert – wer sagt, er möge keine Gospel-Musik, der hat einfach nicht richtig zugehört", erklärt Bekki Deckart.

Um die richtige Balance zu halten, werde immer wieder einmal ein Stück von früher aus dem Archiv gekramt, aber auch regelmäßig an neue musikalische Ufer geschwommen. "Es ist ganz schwierig, Dinge, die der alte Chorleiter mal so hat durchgehen lassen, die aber nicht in den Noten stehen, wieder aus den Köpfen der Sänger rauszukriegen", lacht die Trägerin des Musikpädagogischen Preis der Hochschule für Musik Nürnberg, die seit zweieinhalb Jahren den Frauen und Männern Töne beibringt.

Nachwuchssorgen? Davon ist beim Nürnberger Gospelchor kaum eine Spur. Interessierte sind aber immer willkommen. "Das Programm ist teils drei, teils vierstimmig und daher auch etwas anspruchsvoll, was viele abschreckt", meint Deckart. Ein bisschen Chorerfahrung sollte man also schon mitbringen. Gesucht werden in der Regel – wie überall – Männerstimmen, auch wenn die Nürnberger glücklicherweise über einen Stamm an Herren verfügen, der bisher noch nicht wie anderorts mit Frauenstimmen "aufgefüllt" werden muss.

Ältester Gospelchor Deutschlands?

Zwischen vier und sechs Konzerte pro Jahr stehen auf dem Programm. Dazu kommt im Jubiläumsjahr ein Auftritt beim Nürnberger Christkindlesmarkt eine Premiere der besonderen Art: Der Chor gehört für diese Saison zum Ensemble der Kammerspiele des Staatstheaters Nürnberg in "Eine gefälschte Predigt über das Sterben" von Boris Nikitin. Zusammen mit einem befreundeten Chor aus Veitsbronn werden 14 Vorstellungen absolviert.

Bleibt noch die Frage: Gibt es doch noch ältere Gospelchöre in Deutschland? Mitsängerin und Sprecherin Carmen Kettner hat jedenfalls in den über 20 Jahren, seit sie dabei ist, von keinem älteren gehört. Der Deutschen Chorverband in Berlin erklärt auf Nachfrage, Gospelchöre würden ihm seine 21 Mitgliedsverbände nicht separat melden. Und auch die Betreiber des Portals Gospelnetzwerk.de kennen keinen älteren.            

Nürnberger Gospelchor live

Der Nürnberger Gospelchor singt derzeit am Staatstheater Nürnberg in dem Stück "Aufführungen einer gefälschten Predigt über das Sterben". Am 4. November geben die Sängerinnen und Sänger außerdem in der Passionskirche Nürnberg-Langwasser ein Jubiläumskonzert zum 50-jährigen Bestehen. Nähere Informationen finden Sie hier.