Als wir das letzte Mal gesprochen haben, standen die Olympischen Spiele in Tokyo an. Diese fanden wegen der Corona-Pandemie unter erschwerten Bedingungen statt.
Thomas Weber: Ja, meine katholische Kollegin und ich, wir sind damals nicht mit nach Japan gefahren, wir waren digital aus der Ferne von Deutschland aus dabei. Aber wir haben beispielsweise über Zoom Gottesdienste angeboten.
"Wir waren noch vor der Eröffnungsfeier beim 7er-Rugby"
Das ist dieses Jahr wieder ganz anders, oder?
Genau, wir waren noch vor der Eröffnungsfeier beim 7er-Rugby, um ein bisschen olympische Luft zu schnuppern, und das war großartig. 80.000 Menschen im Stade de France, eine tolle Atmosphäre. Und bei den kurzen Spielen, zweimal sieben Minuten, sieht man alle zwölf Mannschaften in zwei Runden. Wir haben also jede Mannschaft zweimal gesehen, von halb vier Uhr nachmittags bis 21.30 Uhr abends. Das war wirklich gut.
Einige Pariser sollen auch genervt von den Spielen sein, bekommen Sie davon auch etwas mit?
Am vergangenen Sonntag waren wir im Gottesdienst und anschließend zu Gesprächen in der deutschen evangelischen Kirche. Wir haben mit Gemeindemitgliedern und Gottesdienstbesuchern gesprochen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Olympischen Spiele natürlich eine große Herausforderung sind. In Paris gibt es immer wieder besondere Ereignisse, wie zum Beispiel den Marathon, der die Stadt für ein oder zwei Tage komplett lahmlegt. Diesmal wird es bis Anfang September dauern, bis wieder Normalität einkehrt und die Wettkampfstätten abgebaut sind. Das bedeutet natürlich eine erhebliche Belastung für die Wohngebiete.
Auf der anderen Seite betonten einige Anwohner auch die Vorteile der Olympischen Spiele. Sie fragten sich, ob bestimmte Projekte in Paris ohne Olympia überhaupt realisiert worden wären. Es gibt also immer zwei Seiten einer Medaille. Manch einer ist vielleicht in den Urlaub gefahren - aber vielleicht haben ihn die schönen Bilder aus der Heimat dazu gebracht, sich doch noch etwas anzuschauen oder vielleicht bei den Paralympics dabei zu sein. So war es auch in London: Am Anfang sind viele Einheimische weggefahren, weil sie mit Olympia nichts zu tun haben wollten. Aber je länger die schönen Bilder über die Bildschirme flimmerten, desto mehr kamen auch die Einheimischen. Ich glaube, in Paris wird es ähnlich sein.
Haben Sie denn auch Zeit, sich Wettkämpfe anzusehen?
Ja, das ergibt sich. Ich schaue gerne Sport, auch Randsportarten, die ich sonst selten sehe. Ich habe große Sympathien für alle Olympioniken, weil ich ahne, wie viel Zeit, Energie und Kraft in die Vorbereitung investiert wird. Ich wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass sie ihre Ziele erreichen und ihre besten Leistungen zeigen können.
Viele sprechen von einem besonderen Geist, der den Olympischen Spielen innewohne. Können Sie das bestätigen?
Ich glaube, das stimmt. Alle sagen, dass sie das ganze Jahr mit ihrem Sport unterwegs sind, um die Welt fliegen und ihre Konkurrenten, die anderen Nationen und die Trainer gut kennen. Aber bei Olympia trifft man eben auch auf andere Sportarten und lernt andere Sportlerinnen und Sportler kennen. Das macht ja den Reiz eines Multisportfestes aus. Für manche ist es aber auch eine große Herausforderung. Sie geben ehrlich zu: Wenn sie sonst mit ihrer Sportart unterwegs sind, ist alles für sie vorbereitet – Hotel, Wettkampfstätte, Transfer. Bei den Olympischen Spielen müssen sie sich selbst organisieren. Sie müssen schauen, wann und was sie essen, zum Beispiel in der olympischen Dining Hall. Olympia bedeutet also viel Selbstorganisation und die Fähigkeit, sich nicht ablenken zu lassen. Deshalb glaube ich, dass Olympia etwas ganz Besonderes ist, auch im Vergleich zu Weltmeisterschaften.
"Die deutsche Olympiamannschaft ist auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft"
Spielt Religiosität unter Sportlern eine große Rolle?
Die deutsche Olympiamannschaft ist auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, und viele Athletinnen und Athleten bekennen sich offen zu ihrem Glauben. Andere halten sich zurück. Aber mir ist gestern Abend auch aufgefallen, wie viele Athleten sich nach einem erfolgreichen Versuch bekreuzigt und die Hände zum Himmel erhoben haben. Das war vor dem Nachthimmel besonders eindrucksvoll.
Würden Sie soweit gehen, den Spielen eine spirituelle Atmosphäre zu attestieren?
Die Frage ist immer, was man unter Spiritualität versteht. Das ist ein weiter Begriff. Ich denke, es ist ein großes Sportfest, bei dem natürlich auch die Gemeinschaft gepflegt wird. Aber die antiken Wurzeln sehe ich nicht direkt so, dass ich sagen könnte, Olympia hat auch etwas mit Spiritualität zu tun.
Sind die Spiele für Sie wie Urlaub oder brauchen Sie danach Urlaub?
Die Olympiatage sind schon anstrengend. Man hat immer das Handy in der Hand, ständig kommen Anfragen oder es gibt etwas zu erledigen. Die Wege in Paris sind zwar kurz, aber trotzdem fährt man 45 Minuten hin und 45 Minuten zurück, wie gestern. Das macht eineinhalb Stunden. Die Nächte sind kurz, das Interesse ist groß. Es ist kein Urlaub. Olympia ist etwas anderes als der Gemeindealltag, das ist klar, aber es ist schon anstrengend.
"Anders als bei Fußballturnieren müssen hier keine rivalisierenden Gruppen auseinandergehalten werden"
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Das Besondere ist, wenn man sich abends trifft. Hier in Paris sitzt man oft draußen im Warmen, trinkt etwas zusammen und jeder erzählt, was er an diesem Tag erlebt hat, wen er getroffen hat, was er erlebt hat. Das sind für mich die kleinen olympischen Highlights am Rande. Es ist immer wieder spannend zu hören, wie andere Olympia erleben und im Moment ist die Atmosphäre mit den Fangruppen auch sehr entspannt: Anders als bei Fußballturnieren müssen hier keine rivalisierenden Gruppen auseinandergehalten werden. Alles ist friedlich.
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