Thomas Weber ist evangelischer Olympia-Pfarrer. Seit 15 Jahren begleitet er die deutschen Olympia-Teams zu den Wettkämpfen. Doch dieses Jahr ist alles anders, denn aufgrund der Corona-Pandemie wird Weber nicht nach Tokyo reisen, sondern die Sportlerinnen und Sportler von Zuhause nur digital betreuen. Im Interview spricht der Siegerländer über Glaube und Sport, abergläubische Athlet*innen und darüber, worauf er sich bei den olympischen Spielen trotz der widrigen Umstände freut.
Wie kann man sich das vorstellen: Sie sind mit dem Olympioniken vor Ort, und wenn jemand das Bedürfnis hat, mit Ihnen zu sprechen, dann sind Sie da?
Weber: Genau, eigentlich schon. Den Begriff Seelsorger finde ich in dem Zusammenhang super: Es gibt auch Menschen, die sich um die Seele kümmern. Bei Olympia gibt es ja für alle verschiedenen Richtungen Fachleute, für die mentale Stärke, für Regeneration, für Heilung, zum Auskurieren. Dieses Jahr sind wir leider in Tokyo nicht vor Ort. Die Mannschaften sollen im kleinsten Kreis anreisen, es wird auch kein deutsches Haus im Umfeld der olympischen Spiele geben. Es wird dieses Jahr alles anders. Wir werden digital aus der Ferne zur Verfügung stehen.
Das ist sicher ein großer Einschnitt für Ihre Arbeit.
Weber: Ja. Die japanischen Gastgeber wollen eben nur Leute dabeihaben, die wirklich essenziell sind – wobei sich immer auch die Frage stellt, was den essenziell ist? Auf der anderen Seite habe ich auch Verständnis dafür, dass die Japaner möglichst wenig Leute einreisen lassen wollen. Mir tun nur die Athleten leid, denn sonst war eine Teilnahme an Olympia ein Höhepunkt für die Familien, die Eltern, die Freunde. Alle waren immer vor Ort, haben auf der Tribüne gesessen. Das ist dieses Jahr alles nicht möglich. Wir als Kirche haben in der Corona-Zeit viele Erfahrungen mit digitalen Angeboten gemacht, so dass wir uns entschlossen haben, das in dieser Form anzubieten – wie es angenommen wird, können wir noch nicht abschätzen.
Mit welchen Themen kommen Sportlerinnen und Sportler denn zu Ihnen?
Weber: Grundsätzlich muss man sagen: Eine Olympia-Mannschaft ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Alles, was wir auf dem Herzen haben, beschäftigt uns - so ist es auch bei den Olympioniken. Bei Olympia dreht sich alles um Sieg oder Niederlage und um Platzierungen, man hat aber die Themen, die einen zuhause beschäftigt haben, immer noch im Gepäck.
Was meinen Sie damit?
Weber: Alles, was man auf dem Herzen hat, ob es Glück und Freude sind, ob es die Familie ist, an die man denkt, ob es eine Beziehung ist, die gerade zu Ende geht. Sorgen um die Kinder – oder dass man bald Eltern wird. Also alles, was einen sonst auch bewegt – mit dem Unterschied: Mit wem sollte man sonst bei Olympia darüber sprechen? Alle sind voll auf ihre Wettkämpfe konzentriert.
Pfarrer Thomas Weber
Thomas Weber ist Olympia-Pfarrer der evangelischen Kirche. Bereits seit 2006 begleitet der gebürtige Siegerländer das deutsche Team zu den Olympischen Spielen. Wenn er das gerade nicht tut, ist er Gemeindepfarrer im westfälischen Gevelsberg. Gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Jürgen Hünten hätte er auch nach Tokyo fahren sollen – doch wegen Corona wird das ökumenische Seelsorger-Team nun nur virtuell zur Verfügung stehen.
Kommen nur evangelische Sportler*innen zu Ihnen?
Weber: Nein, das ist ganz bunt gemischt. Manche waren früher in der Kirche und sind ausgetreten, manche sind es noch, manche erzählen mir vom Konfirmandenunterricht und wie schwer es damals war, jeden Sonntag zum Gottesdienst zu gehen. Sie können sich das so vorstellen: Ich lerne die Mutter einer Athletin kennen, zufällig auf der Tribüne. Dann stelle ich mich vor als der Seelsorger – und 30 Sekunden später erzählt sie mir, dass letztes Jahr ihr Mann an Krebs gestorben ist, der auch der Trainer ihrer Tochter war.
Als Seelsorger hat man immer einen Vertrauensvorschuss, oder?
Weber: Ja, die Leute trauen einem zu, dass man sich auskennt mit Scheitern und Tod, aber auch mit Glück und Erfolg.
Wie wichtig ist Seelsorge denn für den Leistungssport?
Weber: So wie ich den Sport erlebt habe, ist das Umfeld sehr wichtig, um eine gute Leistung zu erbringen. Dass es zuhause läuft, dass man positiv eingestellt ist, dass man auch eine Perspektive nach dem Sport hat, ein anderes Standbein. Das Gesamtpaket muss stimmen, und da kommt auch der Glaube zum Zuge. Das höre ich auch immer wieder, dass viele sagen, der Glaube helfe ihnen beim Sport, lasse sie ruhiger sein.
Wie hängen für Sie Glaube und Sport zusammen?
Weber: Der Glauben betrifft alle Bereiche unseres Lebens. Und für die Olympioniken ist der Sport ja der Bereich ihres Lebens. Das ist ihr Beruf und man muss sich mal vor Augen halten, wieviel Zeit und Aufwand die jungen Leute in ihrem Leben schon investiert haben, um das Ziel Olympia zu erreichen. Wir haben nicht nur einen Körper, sondern sind eine Person mit Körper, Geist und Seele, mit allem, was dazugehört. Deswegen finde ich Bewegung auch so wichtig. Beim Sport merke ich, da kann ich abschalten und mir selbst auch was Gutes tun. Da kann ich zur Ruhe kommen, kann mich aber auch auspowern.
Viele Sportler*innen sind abergläubisch, betreten das Feld etwa immer mit dem gleichen Fuß. Wie stehen Sie dazu?
Weber: In den Medien ist ja auch gerade wieder die Rede von irgendwelchen Fußballgöttern, von Unsterblichkeit und Titeln für die Ewigkeit – ich hoffe, unser himmlischer Vater hat Humor, wenn er uns Menschen so etwas reden hört. Denn gerade im Sport ist der Ruhm total vergänglich.
Freuen Sie sich trotz der ungewöhnlichen Umstände auf Olympia?
Weber: Tokyo wird ganz anders sein als die vergangenen sieben Olympischen Spiele, die ich miterlebt habe. Ich freue mich für die Athletinnen und Athleten, dass Tokyo stattfindet. All die Jahre der Vorbereitung – auch wenn es keine Zuschauer gibt, können sie sich zeigen, können Medaillen gewinnen, das finde ich gut.
Finden Sie es denn richtig, dass Olympia in Corona-Zeiten stattfindet?
Weber: Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich hoffe, dass alle gesund wiederkommen. Und ich hoffe auch, dass die japanischen Gastgeber von einer Corona-Welle durch Olympia verschont bleiben.
Wie wird man eigentlich Olympia-Pfarrer?
Weber: Ich bin Gemeindepfarrer der westfälischen Landeskirche. Alles, was mit Kirche und Sport zu tun hat, mache ich also nebenamtlich. Vor vielen Jahren habe ich angefangen, beim Arbeitskreis Kirche und Sport mitzuarbeiten, vor einigen Jahren wurde ich dann in den Vorstand gewählt. Und vor diesem Hintergrund bin ich 2006 das erste Mal von der EKD berufen worden, die Olympia-Team zu den Winterspielen in Turin zu begleiten.
Sie sind aber auch selbst ein sportlicher Typ, oder?
Weber: Genau, ich bin ein sehr sportlicher Typ, habe allerdings nie Hochleistungssport betrieben. Ich mag viele Sportarten, gerade jetzt im Sommer Tennis. In der westfälischen Pfarrerfußballmannschaft stand ich im Tor. Dann Radfahren, im Winter Ski – das sind so meine Hobbys. Ich finde Bewegung wirklich wichtig, nicht nur für mein Leben, auch für unsere Gemeindearbeit. Wir erleben es jetzt gerade bei einer Freizeit in Dänemark, wie wichtig es für die Kinder ist, sich miteinander messen zu können, aber auch gemeinsam etwas zu machen, im Geiste von Fair Play.