Herr Maffay, im vergangenen Jahr gab es noch einige weitere 75-Jährige, die Bildbände anlässlich ihres Geburtstags veröffentlicht haben: Ozzy Osbourne, Alice Cooper und Bruce Springsteen. Sie reihen sich also in eine illustre Truppe ein. Können Sie mit den drei Herren was anfangen?

Peter Maffay: Das ist doch eine tolle Gesellschaft! Ich kann mit allen dreien etwas anfangen, am meisten vielleicht mit Bruce Springsteen. Über so viele Jahrzehnte kenne ich deren Musik und habe mitverfolgt, was die machen. Sind die drei auch alle 75? Scheint ja so eine Schallmauer zu sein.

Vor 15 Jahren erschien Ihre Biographie "Auf dem Weg zu mir", vor vier Jahren Ihre Essay-Sammlung "Hier und Jetzt", jetzt ein Bildband - und dann gibt’s da noch die Anouk-Kinderbücher. Wie wichtig sind Ihnen solche Buchprojekte neben der Musik?

Ich glaube, dass ein Konsument diese Frage fast besser beantworten kann. Aus meiner subjektiven Sicht sind diese Bücher Ergänzungen zu dem, was bei uns auf dem Sektor Musik stattfindet, was man nicht in ein Album reinpacken kann, sondern besser in Texte und Bilder und auch Dinge, die in einem Konzert keinen oder nicht ausreichend Platz haben, Statements zum Beispiel. Mein neuer Bildband ist eine visuelle Form der Bündelung von Zeit, und die erklärt manchmal mehr als Worte. Meine Priorität liegt natürlich weiter auf der Musik. Bücher helfen mir aber dabei, mich zu positionieren und anderen, uns einzuordnen.

Auch wenn, oder gerade weil "Kein Weg zu weit" ein Bildband ist, sind die wenigen Texte umso wichtiger. Gleich im ersten streifen Sie kurz die Kindheit und Jugend in Rumänien. Wären Ihre Eltern Anfang der 60er-Jahre nicht mit Ihnen ausgereist, wie wäre Ihr Leben dort wohl verlaufen?

Es ist ein Thema, aber kein sehr ergiebiges. Jetzt darüber zu spekulieren, wie das Leben verlaufen wäre, wenn ich in Rumänien geblieben wäre, macht wenig Sinn. Zur persönlichen Entwicklung von Menschen tragen viele unvorhersehbare Faktoren bei, die aber entscheidend für die Entwicklung sind. Insofern glaube ich, es ist sinnvoller zurückzublicken und sich zu fragen, was war das für ein Trip und wie geht der Trip weiter?

Sie beschreiben Ihre Schlagerzeit als Ihre "Wanderjahre", die Sie nicht bereuen. Waren diese Jahre im Nachhinein doch eher Segen als Fluch, haben Sie dadurch doch schnell Bekanntheit erreicht?

Ich bezeichne wenige Umstände in meinem Leben als Fluch. Es gibt weniger schöne Momente, aber "Fluch" ist eine zu radikale Positionierung. Wenn ich in die Nähe eines solchen Wortes gekommen bin, dann im Zusammenhang mit meinem früheren Alkohol- und Zigarettenkonsum. Aber alles andere würde ich als Erfahrung bezeichnen. Auch da: gute und weniger gute. Ich glaube, dass das zum Leben gehört. Meine kurvenreiche Strecke in Sachen Musik, inklusive der Wanderjahre, ist einfach so passiert, unvorhersehbar. Ich habe mich in frühen Jahren auf diese eher seichten Texte eingelassen und bin dadurch in eine Schublade geraten, aus der herauszukommen ein bisschen schwierig war. Aber es hat mir auch viele Türen geöffnet. Das bereue ich nicht. Andere haben diese Strecke ohne solche Kurven zurückgelegt. Bei mir war das nun mal anders. Es hat aber letztlich zu dem Ergebnis geführt, welches ich mir gewünscht habe. Ich habe auf dieser Strecke auf jeden Fall viel lernen können, hatte formende Begegnungen mit Menschen, die mir im Leben weitergeholfen haben.

Was bei Künstlern, die mit ihrem Namen auf dem Plakat unterwegs sind, manchmal untergeht, ist die Band dahinter. Sie würdigen Ihre Musiker in einem der Textbeiträge aber ausdrücklich. Wie wichtig ist dieses Team für Sie?

Ich hatte im Laufe meiner Karriere eigentlich nur einen Menschen an meiner Seite, den ich als Manager bezeichnen würde. Das war Michael Conradt. Er hat mir bei dieser Metamorphose vom Schlager hin zum Rock sehr geholfen. Wir haben uns dann 1982 freundschaftlich voneinander getrennt. Ich wollte mit einem Team zusammenarbeiten und mich selbst verwalten. Das führte dann zur Gründung meiner Firma Red Rooster. Das ist meine Werkstatt, wenn man so will, in der wir plötzlich autark arbeiten und neues kreieren konnten. Mir war von Anfang an völlig klar, dass diese ganzen Prozesse nicht alleine zu bewältigen sind und man auf ein Team zurückgreifen muss, welches dann hoffentlich lange zusammensteht.

Dieses Team ist demnach Ihre Band?

Die Band sollte eine wichtige Zelle eines solchen Gefüges sein und als Kraftgeber fungieren. Das war für mich von vornherein klar. Deswegen habe ich mich immer bemüht, auch mit anderen zusammen an dieser Kraftzelle zu arbeiten und Leute ins Boot zu holen, von denen ich etwas lernen konnte, die einen motiviert und ergänzt haben. So ist eine Band entstanden, die im Grunde genommen in den Grundzügen bis heute existiert und – wenn es nach meinen Wünschen geht  –  auch noch lange existieren wird. Und diese "Burg" muss man pflegen, denn  wenn man das nicht tut, dann brechen Steine raus. Mir ist es daher immer wichtig, dass wir über unsere Perspektive reden und nicht nur ich über meine eigene. Die Jungs sind in einer gewissen Form abhängig von dem, was ich tue und umgekehrt. Diese Verantwortung muss man wechselseitig akzeptieren und danach handeln. Bei uns im Gefüge hat es auch oft genug gekracht, aber nie so stark, dass wir dieses Konzept der Gemeinschaft verworfen hätten.

Peter Maffay live am 28. Juni 2024 in München
Peter Maffay live am 28. Juni 2024 in München. Die Galerie der BRAVO-Cover zeigt den Künstler im Wandel der Jahre.

Wenn man Sie auf frühen Fotografien als jungen Mann sieht und daneben Ihren heute genauso alten Sohn Yaris, dann ist die Ähnlichkeit verblüffend. Er begleitet Sie auch seit Jahren bei Konzerten. Wie stark unterstützen Sie ihn in seiner Karriere und seinem Leben allgemein?

Letzteres haben Sie eben schön formuliert. Ich unterstütze Yaris in seiner Entwicklung und versuche ihn so sinnvoll wie möglich durch sein Leben zu begleiten. Dass das auch mit seinem Werdegang als Musiker zu tun hat, ergibt sich automatisch. Ich versuche ganz einfach, ihm zur Seite zu stehen, wenn er mich braucht und meine Unterstützung will. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das zu keiner übermäßigen Protektion führt, die sich letztlich negativ auf seine Entwicklung auswirkt. Sohn von jemandem Bekannten zu sein und sich darauf auszuruhen, ist nicht seine Absicht. Und das akzeptiere ich sehr gerne. Er muss seinen eigenen Weg finden in diesem Labyrinth. Mein Vater hat mir nie Steine in den Weg gelegt, eher welche aus dem Weg geräumt. Aber er hat mich auch machen lassen und mir immer zu verstehen gegeben, dass ich bei der Gestaltung meines Schicksals eigenverantwortlich bin.

Und dann fällt ein Foto auf, auf dem Ihnen Ihre Tochter Anouk ein Krönchen aufgesetzt hat. Hatten Sie diese Gelassenheit und den Humor zum Albern Sein schon immer, oder kam das erst mit den Jahren?

Früher habe ich mir für solche Albernheiten weniger Zeit genommen. Hinzu kommt, dass eine kleine Tochter eine andere Wirkung auf einen Papa erzeugt, als das ein Sohn tut. Ich glaube, dass Mädchen einfach noch mehr sensibilisieren und man auf sie anders eingeht. Aber sicher hat meine Haltung heute auch etwas mit meinem Alter zu tun. Positionen, die mir früher wichtiger schienen, sind abgehakt. Das schafft Freiräume, auch für Albernheiten. Das Spielerische, Leichte fand vor Anouk einfach bei mir in der Form nicht statt. Da waren früher Stress, Ehrgeiz oder Ego stärker im Vordergrund. Aber vielleicht gab es in der Vergangenheit einfach auch niemanden, der solche Momente festgehalten hat. Schließlich hatte man in den 70ern oder 80ern noch keine Foto-Handys.

Das letzte Foto im neuen Bildband zeigt Sie im Gebet in einer Kirche in Halle. Was hat es mit diesem Ort auf sich?

Das ist die Klosterkirche auf dem Petersberg, die von der Communität Christusbruderschaft Selbitz gepflegt wird. Ein magischer Ort, ein ganz besonderer Platz. Meine Frau Hendrikje und ich fahren da immer wieder mal hin, weil der Ort solch eine Ruhe ausstrahlt und die Kirche so beeindruckend ist in ihrer Schlichtheit. Ich suche wie viele andere Menschen solche Orte für spirituelle Momente. Die kann man vielleicht nicht immer mit derselben Stille oder Innigkeit erleben, und man muss dazu auch nicht unbedingt in eine Kirche gehen. Ich muss aber zugeben, dass mir eine Atmosphäre wie die auf dem Petersberg noch mehr Energie schenkt als ein flüchtiger Augenblick irgendwo.

Wie wichtig ist Ihnen Spiritualität?

Im Dialog mit einer übergeordneten Instanz bin ich über den ganzen Tag hinweg. Manchmal mehrfach, in Fragmenten vielleicht, nicht immer ausführlich. Aber dieser Dialog findet sehr oft statt in Situationen, die geprägt sind von Sorge, Angst, aber auch von Dankbarkeit und Demut. Machbar sind solche Momente für mich überall. Das ist ja nur ein Zeichen der eigenen – nicht negativ gemeint – Unzulänglichkeit, genauso wie wir endlich sind. Dann beginnt ein Dialog, mit einem ein Ziel. Eine Bitte zu äußern, ein Resümee zu ziehen, sich zu bedanken. Das sind die Gründe meiner Zuwendung zu dieser Instanz, die ich auch als Gott bezeichne. Ich stelle mir Gott nicht als älteren, bärtigen und weißhaarigen Mann vor – aber eben als eine Instanz. Das klingt jetzt alles irgendwie sehr gewichtig. Wenn man aber ehrlich ist, dann ist es genau das. Ich brauche das. Mir gibt es Hoffnung. Und Hoffnung ist die wichtigste Kraft, die uns Menschen trägt.

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