Vor mehr als 2000 Jahren wurde das Instrument in Alexandria erfunden und gelangte über Byzanz nach Europa, wo es seit der Karolingischen Renaissance als Kulturgut bis in die Gegenwart weiterentwickelt wurde. Seit dem Mittelalter werden Orgeln vor allem aus Europa, wo mittlerweile die meisten Instrumente gebaut werden, weltweit in viele Länder exportiert.

50.000 Orgeln gibt es alleine in Deutschland. Zu den wichtigsten Ländern für die Weiterentwicklung des Orgelbaus und der Orgelmusik zählt Deutschland, weshalb die Unesco vor drei Jahren beides als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt hat.

Bedeutende Konzertsaalorgeln in Bayern befinden sich unter anderem in München (Herkulessaal, Philharmonie, Musikhochschule), Nürnberg (Meistersingerhalle), Bamberg (Konzerthaus) und Augsburg (Kongresszentrum).  

Landeskirchenmusikdirektor zuversichtlich

Die Orgel gehört in die Kirche – ausschließlich? Ulrich Knörr, Landeskirchenmusikdirektor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern meint, dass die Orgel ihre Bedeutung als Konzertinstrument schon vor Jahrhunderten eingebüßt hat, als sie mehr oder weniger an die Kirche gebunden wurde. Auch in Konzerthäusern, die über eine Orgel verfügen, sei sie oft nur Begleitinstrument bei oratorischen Aufführungen oder bei Orchesterkonzerten.

"Wenn ein Part für sie vom Komponisten vorgesehen ist", meint Knörr. Was keinesfalls selbstverständlich ist. Dass die Orgel zum immateriellen Kulturerbe durch die UNESCO ausgewählt wurde und von den Musikräten zum Instrument des Jahres 2021 gekürt wurde, sei eine außerkirchliche Anerkennung, die dem Instrument in einer Zeit zugutekomme, in der innerkirchlich ihre musikalische Bedeutung für Gottesdienst und Liturgie hinterfragt wird oder es auch offene Ablehnung erfährt.

Die Bedeutung der Orgel

Ulrich Knörr hebt den musikalischen Reichtum des Instruments hervor. Es gebe kein anderes Instrument, das von den tiefsten Bässen bis in akustisch kaum noch wahrnehmbare Höhen alle Stimmlagen in sich vereine und das mit den unterschiedlichsten Klangfarben und Registerkombinationen so viele verschiedene Emotionen ausdrücken kann. Diese Bandbreite der helfe dem Organisten, bei Gottesdiensten klanglich das zu vertiefen und dem Herzen nahe zu bringen, was Bibelwort und Predigt vermitteln wollen.

In den Gotteshäusern der evangelischen bayerischen Landeskirche befinde sich ein reicher Schatz an Orgeln. Dieser umfasse alle Größen: von ganz kleinen Truhenorgeln bis zu aus mehreren Teilorgeln bestehenden Orgelanlagen, und alle Epochen des Orgelbaus, von aus der Barockzeit erhaltenen Instrumenten bis zu Orgelneubauten, deren Einweihungen erst noch anstehen, umfasst.

"Die Kirchengemeinden müssen diese wertvollen Instrumente selber finanzieren und für Pflege und Wartung sorgen. Das ist oft eine schwierige und kostenintensive Verantwortung", sagt Knörr.

Die Orgelsachverständigen der Landeskirche beraten und unterstützen die Gemeinden.

Die Zeiten, in denen ein Organist sich fast sein Leben lang für eine Gemeinde mit allen Sonn – und Festtagsgottesdiensten sowie Kasualien zuständig fühlte, seien vorbei. Oft teilen sich Organistenteams den Dienst, anderswo müsse für jeden Gottesdienst nach einem Organisten gesucht werden. Ulrich Knörr hat aber keine Sorge um den Nachwuchs. "In allen Generationen lassen sich immer noch Menschen ansprechen, die Orgel lernen wollen und auch das Üben in im Winter oft sehr kalten Kirchenräumen gerne auf sich nehmen", sagt er.

Die Faszination des Instruments an sich, ein Lehrer, der sein Instrument virtuos beherrscht, als Vorbild und die Vorfreude darauf, die Orgel am Ende der Ausbildung in Gottesdiensten erklingen lassen zu können, beflügelten die Motivation.

Derzeit gebe es in der ELKB 104 hauptberufliche Stellen für Kirchenmusik, die von 126 Kantoren besetzt sind. "Bei einem Stellenwechsel oder einer Ruhestandsversetzung, können ganze Stellen gut besetzt werden", macht der Landeskirchenmusikdirektor dem Nachwuchs Mut. Etwa 2000 Organisten sind in evangelischen Kirchen in Bayern nebenberuflich tätig. 

Frische Impulse vom Ex-Wunderkind

Der Shootingstar der Orgelmusik ist sicherlich Ann-Helena Schlüter. Die deutsch-schwedische Konzertpianistin und -organistin, Komponistin und Autorin ist in Nürnberg geboren und in einer Pianisten-Solisten-Familie aufgewachsen. Die Tochter des Konzertpianisten Karl-Heinz Schlüter galt schon früh als Wunderkind, erhielt ab dem fünften Lebensjahr Stipendien und Preise und kam nach dem Start einer weltweiten Karriere am Piano auch noch an die Orgel. Seit einigen Jahren konzertiert sie auch regelmäßig an diesem Instrument und ist mit Videos auf YouTube und regelmäßigen Beiträgen in den sozialen Medien auf zahlreichen Kanälen aktiv.

"Ich liebe die Orgel, sie berührt mein Herz!", so die Musikerin begeistert. Klavier und Orgel brauche sie gleichermaßen für ihren Ausdruck als Komponistin. Da sie als Pianistin aus der Klavierwelt komme, sei sie ein schillernder Vogel, wie auch die Orgel selbst.

"Sie möchte aus dem Altmodischen befreit werden, möchte virtuos und sexy sein dürfen. Gott hat da sicher nichts dagegen", erklärt die in Würzburg lebende Künstlerin. Die Kirche sei für sie als gläubige Christin auch Zufluchtsort und Resonanzraum für die Seele. 

"Es ist mir besonders als Frau und Konzertorganistin wichtig, die Orgel als Konzertinstrument mit Charme, aber bewusst ohne Pop-Appeal präsent und lebendig zu machen."

Doch Ann-Helena Schlüter hat auch negative Erfahrungen mit der deutschen Kirchenmusikszene erlebt: Diese sei "leider ein sehr frauenfeindlicher und männerdominierter Verein", so Schlüter ehrlich und kritisch. Gegen die Männer-Klischees anzukämpfen sei schwerer als gedacht. Ihr Blog werde nun schon seit Monaten von Stalkern aus der Kirchenmusikszene gelesen, die lange Zeit täglich sexistische Kommentare geschrieben hätten. "Aber Frau lernt, damit umzugehen. Neid ist eine Form der Anerkennung. Viele Kirchenmusiker sind auch wundervolle Menschen und Freunde", erklärt sie. Sie sehe sich als "Konzertkirchenkünstlerin" in der Verantwortung, zu zeigen, dass die Orgel auch für weibliche Künstler gemacht ist.

Auf großen Anklang im Netz stoßen dabei nicht nur ihre coronabedingten Solo-Orgel-Touren durch ganz Deutschland, während denen sie beim Spielen gefilmt wird, sondern auch die eigenen Kompositionen, die sich häufig um die Pandemie drehen. "Das Virus drücke ich deswegen düster aus, weil ich die Angst in Farben ausdrücken möchte, in Klang. Das war meine Herausforderung." 

Größte Orgel Europas in Passau

Christian Müller ist Regionalkantor und Orgelsachverständiger sowie stellvertretender Diözesanmusikdirektor des Bistums Passau. Er hat die Orgel im Stephansdom in Passau "unter sich" – die größte Europas. Warum eigentlich so groß? "Der reich verzierte Innenaum des Doms, das viele Stuckwerk an den Decken und Pfeilern ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Orgel so groß dimensioniert ist. Bei harten glatten Oberflächen kann der Schall ohne große Intensitätsverluste wieder zurückgeben und kann so zwischen den Wänden hin- und herklingen", verrät Müller.

Die große Orgelanlage, die eigentlich aus fünf einzelnen Orgeln besteht (drei auf der Empore, eine als Fernorgel im Gewölbe des Langhauses und die Chororgel vorne im Altarbereich) soll dies kompensieren.

"Wenn man am riesigen fünfmanualigen Hauptspieltisch der Passauer Domorgel sitzt, ist man erstmal sprachlos", kommt Müller ins Schwärmen. 233 Register, also verschiedene Klangfarben, die man miteinander kombinieren kann, stehen zur Auswahl. Müller erinnert sich noch an seine erste Begegnung mit der Orgel an einem frühen Samstagabend, die zur Vorbereitung eines Sonntagsgottesdienst erst gegen Mitternacht endete.

"Um aber das Instrument mit all seinen klanglichen Möglichkeiten zu erfahren und abzuschätzen, wie die Musik im Raum klingt, braucht man einige Zeit, das ist ein längerer Prozess", sagt er.

Die Beherrschung eines solch großen Instruments wie der Passauer Domorgel sei das eine, das andere, die technischen Fähigkeiten zu erlernen oder Orgelmusik interpretieren oder das Spiel ohne Noten, also improvisieren zu können.

Müller ist zudem überzeugt, dass an der Orgel immer wieder neue Akzente des musikalischen Lebens gesetzt werden: Gerade in letzter Zeit boomten besondere Konzertformen wie Orgelimprovisationen zum Stummfilm oder interaktive Kinderorgelkonzerte. Workshops oder Klangexperimente mit zeitgenössischer Musik zeigten, dass sich Menschen von den vielen Facetten der Orgel, und der Orgelmusik ansprechen lassen, auch wenn Sie mit der Kirche "nicht viel am Hut haben". Müller ist denkt, dass gerade im Jahr 2021 viele Möglichkeiten entstehen, Menschen für die Orgel zu begeistern. "Die Klangerlebnisse und die Einsatzmöglichkeiten der Orgel sind vielschichtig, aber der breiten Masse wenig bekannt. Hier schlummert großes Potenzial, und so ist mir auch nicht bange um die Zukunft der Orgel", erklärt er.

Größte evangelische Orgel Deutschlands in Nürnberg

Ins selbe Horn stößt Matthias Ank, Kantor der Nürnberger Lorenzkirche. Die Orgelmusik entwickle sich immer weiter. Es gebe immer wieder Organisten und Komponisten, die für das Instrument sogar neue Register bauen. Denkbar seien beispielsweise Koppeln, nicht nur von Manualen oder mit dem Pedal, sondern mit einzelnen Intervallen anderer Register. Oder sogenannte Aliquoten, die zum Grundton ein Intervall wie eine None oder Septime dazu erklingen lassen und somit ganz neue Klangerfahrungen ermöglichen, die sich auch auf die Komposition der Musik auswirken.

Ank denkt an den 1990 verstorbenen, baden-württembergischen Kirchenmusiker Helmut Bornefeld, der solche Experimente wagte. Oder allen voran: Der Franzose Olivier Messiaen, der schon in den 1930er-Jahren mit dem Ondes Martenot und später mit dem Mixtur-Trautonium, Vorläufern des späteren Synthesizers, experimentierte. Messiaen integrierte elektronische Klänge in seinen Kompositionen für die Orgel. Moderne Orgeln erlaubten zudem, elektronische Klangerzeuger vom Spieltisch aus mit anzusteuern und somit den Klang zu modifizieren. Oder: Schlaginstrumente, die ebenfalls per Tastendruck aktiviert werden können.

Auch Matthias Ank, der im Januar sein 25-jähriges Dienstjubiläum an St. Lorenz gefeiert hat, sitzt an einer Orgel der Superlative: Mit 165 Registern ist seine aus drei Instrumenten bestehende Orgel die größte in einer evangelischen Kirche Deutschlands – und belegt nach Passau Platz 2 in der Republik überhaupt. In einem Vierteljahrhundert hat der Lorenzkantor sein Instrument natürlich von allen Seiten kennen gelernt, lässt aber keine Routine beim Registrieren einkehren. "Auch wenn man als Organist freilich seine Favoriten bei den Klängen hat, ich versuche immer wieder einen neuen Zugang zu den Stücken zu finden. Und da kann man bei einem solchen Instrument aus dem Vollen schöpfen", sagt Ank.

So sieht´s der Orgelbauer

Dominik Friedrich ist Chef der gleichnamigen, seit 1950 bestehenden Orgelbauwerkstatt aus Oberasbach. Er und sein Team betreuen in Nürnberg die Orgeln der großen Kirchen wie St. Lorenz und St. Sebald ebenso wie die in der Meistersingerhalle oder dem Opernhaus. Schon im zarten Alter von vier Jahren war er dabei, wenn sein Vater Benedikt in der Werkstatt arbeitete. Dort lernte Friedrich früh, was es heißt, Orgelbauer zu sein: Man muss man mit Holz und Metall ebenso umgehen können wie mit Elektronik.

Und nicht zuletzt zwar nicht meisterhaft spielen, aber immerhin gut hören können. Und flexibel sein, was die verschiedenen Instrumente und ihr technische Stand angeht.

"Meine Arbeit ist extrem vielseitig. Jede Orgel ist ein Einzelstück und höchst individuell in Klang, Bauart und Technik. Es macht mir große Freude, mich jedes Mal neu mit meinem Team auf die jeweiligen Instrumente einzulassen und das Beste aus ihnen heraus zu holen", meint Friedrich.

Der Einbau elektronischer Bauteile habe vor allem bei elektrischen Ton- und Registertrakturen in den letzten Jahren stetig zugenommen. Beispielsweise im Zuge der Aktualisierung bestehender elektrischer Komponenten, welche aus sicherheits- oder brandschutzgründen erneuert oder neu abgesichert werden müssen. Hier würden sich mit der Digitalisierung der elektrischen Eingangssignale durch den Einbau von Speicherprogrammierbaren-Steuerungen etliche Erweiterungsmöglichkeiten ergeben.

Darunter fallen Setzerfunktionen für die Register, zusätzliche programmierbare Koppeln, Midi-Schnittstellen für die Anspielung der Orgel mit Keyboard oder Wiedergabe von Midi-Files, eine Aufnahme und Wiedergabefunktion, selbst programmierbare dynamische Crescendi, Schwellersteuerung, Ansteuerung mit Fernbedienung oder Smartphone, und vieles mehr.

Die allgemeine Marktlage für Orgelbauer schätzt er als "gut bis befriedigend" ein. Der durchschnittliche Auftragsbestand habe in den vergangenen Jahren laut den Umfragen vom Bund deutscher Orgelbaumeister bei durchschnittlich 15 Monaten gelegen. Die Auswirkungen der Pandemie auf den Orgelbau seien derzeit allerdings noch nicht konkret absehbar. "Es kommt beispielsweise bei Ausschreibungen und Auftragsvergabe zu starken Verzögerungen. Dazu kommt, dass sich die Finanzierung von Projekten, auf Grund fehlender Einnahmen seitens der Gemeinden, ebenso unsicherer gestaltet", erklärt Friedrich.

Nicht zuletzt ist sein Beruf ein krisensicherer: Nur rund 50 Personen pro Jahr schlossen in den vergangenen Jahren deutschlandweit die Ausbildung im Orgelbauer ab. "Grundsätzlich ist es im Orgelbau jedoch eher schwierig, gut ausgebildete und erfahrene Leute zu finden", meint der Orgelbauer.

Und was macht der Nachwuchs?

Ulrich Knörr verweist auf die Initiative Mach Kirchenmusik, die gemeinsam von der Landeskirche, der Förderstiftung der Hochschule für Kirchenmusik in Bayreuth, der Hochschule für Kirchenmusik sowie vom Verband Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker getragen wird: Sie habe sowohl die Anfängerausbildung vom Klavier zur Orgel als auch den möglichen Übergang vom Abitur über die Aufnahmeprüfung zum Kirchenmusikstudium im Blick. Seit letztem März ist coronabedingt die Entwicklung ins Stocken geraten. Knörr hofft, dass das "Jahr der Orgel" 2021 mit Orgelkonzerten auch per mit Videoübertrag, Seminaren und Kursen auch neue Kreise an Orgelinteressierten Menschen erschließt.

Dazu gehört mit Sicherheit Jürgen Zeitler aus Langenzenn. Der 65-Jährige spielt von Kindesbeinen an Klavier und hat in jüngeren Jahren an der Hammond-Orgel auch Rock- und Pop-Musik gespielt. Vor einigen Jahren hat es Zeitler noch einmal gepackt – er begann eine Ausbildung zum Kirchenorganisten: "Ich hatte da noch etwa zehn Jahre zu arbeiten und wollte mein Hobby bereits erlernen, um dann schon richtig spielen zu können, wenn es soweit ist", sagt der Ruheständler. Bei der Fürther Dekanatskantorin Sirka Schwartz-Upperndieck begann Zeitler seinen Unterricht, absolvierte 2014 die D-Prüfung, 2019 die C-Prüfung. Mittlerweile spielt er regelmäßig Gottesdienste und hat sich eine dreimanualige Heimorgel für Zuhause besorgt.

Noch nicht ganz so weit ist Gabriele Krämer aus Nürnberg. Die Ruheständlerin hatte vor einigen Jahren wieder das in der Jugend begonnene Klavierspiel begonnen und ließ sich überreden, hin und wieder in Altenheim-Gottesdiensten auf der Orgel zu spielen. "Ich hatte es dann auch mit dem Pedal versucht. Das erste Mal war gut, das zweite Mal schrecklich. Dann hatte ich mir überlegt, es entweder richtig zu lernen oder ganz bleiben zu lassen", erinnert sich die Nürnbergerin. Sie entschied sich für Variante 2. Heute spielt Gabriele Krämer regelmäßig Gottesdienste in Nürnberger und Fürther Kirchen.

Die größte Orgel Deutschlands: die Passauer Domorgel.