Die reiche Handelsrepublik Venedig hatte über Jahrhunderte eine Scharnierfunktion zwischen Orient und Okzident. Nur hier gab es eine "Karawanserei der Deutschen". Denn "Funduq" ist das arabische Wort für Karawanserei; in Venedig mutierte es zum "Fontego" (oder italienisch "Fondaco"), von dem es ab 1621 auch einen für die Kaufleute aus dem Osmanischen Reich gab ("Fondaco dei Turchi"). Die Bezeichnung arabischer Herkunft verweist darauf, dass Venedig Drehscheibe des Handels zwischen Ost und West war. Und zu den "Tedeschi", der "Nazione Alemana" ("deutschen Nation"), gehörten immer auch die Österreicher, deutschsprachigen Schweizer, die Niederländer sowie die bayerischsprachigen Gemeinden unter venezianischer Herrschaft (z. B. die "Sieben Gemeinden" auf der Hochebene von Asiago).
Der Münchner Großkaufmann Bernardus Teutonicus (Bernhard, der Deutsche, gestorben 1215) hatte einst bei der Gründung der transalpinen Handelsbasis die Hand im Spiel. Von Anfang an war der "Fondaco" eine städtische Einrichtung – und nach heutigen Maßstäben schnell ein Milliardengeschäft. Der Doge Francesco Foscari (1373-1457) bezeichnete die Handelsniederlassung nicht ohne Grund als "goldene Truhe des Senats". Nur hier durften die deutschen Händler leben. Der Handel fand unter strikter Aufsicht und ergiebiger Besteuerung statt.
1505 – in Stotternheim bei Erfurt wurde in diesem Jahr der Student Martin Luther fast vom Blitz erschlagen und ging ins Kloster – brannte der "Fondaco" der Deutschen ab; die Republik ließ ihn sofort auf eigene Kosten und prächtiger denn je wieder aufbauen. Damals erhielt er seine heutige Form. Künstler wie Tizian oder Giorgione sorgten für die Ausgestaltung.
Exterritoriales Gebiet in Selbstverwaltung
Der "Fontego" war praktisch exterritoriales Gebiet in Selbstverwaltung. Von hier aus kamen die Gedanken und auch die Schriften der Reformation nach Venedig. Hier fanden die ersten lutherischen Gottesdienste in Italien statt – jahrzehntelang in den Räumen 81 und 82 im dritten Stock. Unter strikter Geheimhaltung, denn auch im weltoffenen Venedig, wo die Gedanken der Reformation schnell Fuß gefasst hatten, lebten Ketzer gefährlich.
Es war daher nicht so einfach, in Venedig einen evangelischen Gottesdienst zu besuchen. Wie schwierig es war, kann man bei Goethe nachlesen. Nicht beim berühmten Dichter, sondern bei dessen Vater Johann Caspar (1710-1782), denn auch der reiste nach Italien. In seinem – italienisch verfassten! – Reisebericht "Viaggio per l’Italia" hält Goethe senior über seinen Venedigaufenthalt 1740 fest: "Die Anhänger des lutherischen Glaubens feiern dort [im Fondaco] ihren Gottesdienst, den ihnen die Republik stillschweigend zugesteht. Man bedient sich aber der Klugheit und Vorsicht, keinen Fremden zuzulassen, und sogar der Pfarrer und die übrigen Kleriker tragen weltliche Kleidung." Nicht einmal Goethe selbst ließ man teilnehmen.
Die evangelischen Gottesdienste im Fondaco gab es, bis Napoleon der venezianischen Republik 1797 ein Ende bereitete. Und bald darauf auch den deutschen Händlern im "Fondaco": Seinen mit der Münchner Wittelsbacher-Prinzessin Auguste Amalia verheirateten Stiefsohn Eugène de Beauharnais machte Napoleon zum Fürsten von Venedig. Und der schickte Anfang Juli 1806 den Räumungsbescheid: Eine neue Zollbehörde sollte im Fondaco untergebracht werden. Gleichzeitig wurden alle alten Privilegien aufgehoben.
Mit den Protestanten in der Lagunenstadt ging es dennoch weiter – dank der Hilfe einer venezianischen Kaufmannsfamilie, die aus dem bayerischen Schwaben stammte: Im April 1814 (nach anderen Quellen bereits 1813) kaufte Sebastian Wilhelm von Heinzelmann das leerstehende Gebäude der ehemaligen katholischen Bruderschaft "Zum Heiligen Schutzengel" ganz in der Nähe der Rialtobrücke im Stadtteil Cannaregio und schenkte es der Gemeinde.
Heinzelmann war gebürtiger Venezianer, sein Vater Johann Ludwig (1697-1765) stammte aus Kaufbeuren. Seine Mutter Sibylla Regina von Neubronner zu Eisenburg (1714-1796) stammte aus Memmingen. Der 1759 geborene Sebastian war ihr elftes und jüngstes Kind. Er starb 1816 in Venedig.
Schikanierende Auflagen
Ganz unproblematisch war die von Heinzelmann ermöglichte Verwandlung der "Scuola dell’ Angelo Custode" zur protestantischen Kirche nicht. Bald war es mit Napoleon vorbei. Venedig fiel an Österreich. Und die evangelische Gemeinde erhielt schikanierende Auflagen: Sie darf ihre eigene Kirche nicht durch den Haupteingang betreten. Gepredigt werden muss auf Deutsch, Gebühren für Kasualien ("Stolgebühren") sind an die katholische Kirche abzuführen. Erst mit der Unabhängigkeit Italiens 1866 fallen die Einschränkungen.
Die "Scuola dell’ Angelo Custode" ist heute keine "Auslandsgemeinde" mehr, sondern Teil der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI). Deutsch gesprochen wird hier aber noch immer – auch im Gottesdienst.
Und der "Fontego"? Ab 1870 war der ehemals prachtvolle Handelshof Sitz der italienischen Post und verkam. In den letzten Jahren war er lange geschlossen. Nach aufwendiger Restaurierung ist der Fondaco dei Tedeschi zum Edelboutiquen-Komplex mutiert und seit 2016 wieder für Besucher zugänglich.