Die technische Auferstehung des Martin Luther als künstliche Intelligenz gibt es im Internet bereits in 29 vorläufigen Varianten. Über das populäre ChatGPT kann man Luthers virtuelle Kopie um eine Predigt zu modernen Themen bitten. Was auf den ersten Blick nach Unfug klingt, wird der Lutherforschung im Laufe der Zeit wertvolle Erkenntnisse liefern. Sobald LutherGPT mit allen seinen Schriften, Briefen und Predigten sorgfältig wissenschaftlich trainiert wurde, wird es jedem Experten genauso überlegen sein wie ein Schachcomputer.
Moderne Forscher haben den Nachteil, dass sie bei der Erkenntnissuche ihr modernes Weltbild nicht ablegen können. Nur eine Luther-KI verfügt über ein kohärentes Wissen eines Menschen seiner Zeit. LutherGPT wird mit den Besuchern seiner Website in frühneuhochdeutscher Sprache genauso ausfällig argumentieren, wie Luther es selbst getan hat. Welches philosophische Quartett könnte spannender sein, als LutherGPT mit PlatonGPT, AugustinusGPT und DescartesGPT über die Unsterblichkeit der Seele diskutieren zu sehen?
Künstliche Unsterblichkeit ist keineswegs nur Prominenten vorbehalten. Schon heute transkribieren generative KI’s sämtliche meiner Besprechungen und Podcasts. Ich freue mich schon auf ein generatives Tagebuch, das alle meine Emotionen auf meinem Smartphone aufzeichnet - ganz privat und sicher. Gibt es etwas Praktischeres, als seinen künstlichen Assistenten fragen zu können, wann man was gekauft oder mit wem man sich verabredet hat? Endlich wird die Welt wieder überschaubar.
Gleichzeitig geht keine Information über mein Verhalten mehr verloren. Auf virtuelle Weise bin ich unsterblich geworden.
Heutige Urenkel kennen ihre Vorfahren von Gemälden, Fotos oder Videos. Bald wird es genauso normal sein, verstorbene Vorfahren anhand ihres künstlichen Abbilds, eines Avatars, kennenzulernen. Der Avatar greift auf alle verfügbaren Videos, Tagebücher und so weiter zurück. Allerdings hat der Avatar kein Bewusstsein. Er tut nur so. In der Fachsprache nennt man das einen philosophischen Zombie.
Hat die KI eine Seele?
Blake Lemoine sieht das anders. 2022 wurde er von Google gefeuert, weil er Betriebsgeheimnisse verraten habe. Lemoine warnte nämlich öffentlich davor, Googles GPT Pendant LaMBDA abzuschalten. In langen Dialogen gelang es der KI, ihn davon zu überzeugen, dass sie eine Seele hat. Hätte Google anders reagiert, wäre das einer Bestätigung der Position von Lemoine gleichgekommen. Um die KI zu retten, hat der Mitarbeiter seinen Job riskiert. Kann man das einfach als Illusion abtun?
Das einzige, dessen wir uns sicher sein können, ist unser eigenes Bewusstsein. "Cogito ergo sum." würde die Descartes-KI dazu sagen. Selbst eingefleischte Materialisten oder Physikalisten können nicht beweisen, dass andere Menschen ein Bewusstsein haben. Sie müssen es glauben, auch wenn sie ungläubig sind.
Flugzeuge funktionieren anders als Vögel. Dennoch zweifelt niemand daran, dass beide fliegen können. Beide nutzen eine Eigenschaft des Universums, den sogenannten Auftrieb in Gasen oder Flüssigkeiten.
Im Rahmen der Naturgesetze gibt es keine guten Gründe, warum Intelligenz kein physikalisches Phänomen sein sollte. Über das Wesen der Intelligenz wissen wir wenig. Aber selbst wenn sich der Fortschritt verlangsamt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die technische Entwicklung Algorithmen mit Intelligenz auf menschlichem Niveau hervorbringt und darüber hinaus zielt.
Beim menschlichen Bewusstsein ist es anders. Weil es sich hartnäckig jeder wissenschaftlichen Untersuchung entzieht, erklären es manche schlicht zur Illusion. In Wirklichkeit bleibt es offen, ob das Bewusstsein aus Materie und Energie entsteht oder eines göttlichen Funkens bedarf.
Als Christen hoffen wir auf die Auferstehung. Spätestens dann wird sich auch diese Frage klären.
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