Susanna Endres ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg). Sie hat über medienethische Bildung im digitalen Zeitalter promoviert und Online-Seminare zu den Themen "Medienethik", "Ethik der Digitalisierung" sowie "Ethisches Argumentieren" entwickelt.  Im Podcast "Ethik Digital" spricht sie mit den Hosts Christine Ulrich und Rieke C. Harmsen über die Methode, die sie entworfen hat, um medienethische Kompetenzen zu fördern.

 

Woher kommt das Interesse für digitale Ethik?

Endres: Das Thema digitale Ethik begegnet uns andauernd im Alltag. Ich habe ursprünglich Lehramt mit den Fächern Deutsch und Kunst studiert und bin anschließend ins Referendariat gegangen. In der Schule wurde ich konfrontiert mit Jugendlichen, die viel mit dem Smartphone unterwegs waren, die Computerspiele spielten und lange Zeit am Rechner verbrachten. Und dann kam es immer wieder zu Gesprächen – auch mit den Eltern. Da ging es um Fragen wie: Wie viel Zeit verbringe ich am Rechner? Ab wann dürfen Kinder das Handy nutzen? Es ging also um ganz praktische Fragen. Und dann habe ich mich eingelesen – und meine Begeisterung für die Medien weiter entwickelt.

Dieses Reflektieren: Was machen Medien eigentlich mit mir? Das ist immer noch der Blick, der meine spezielle Perspektive auf die Medienethik mit bedingt. Und dann habe ich schnell festgestellt, dass Medien immer auch mit Bildungsprozessen zusammenhängen und mit ethischen Fragestellungen. Und so kam ich zur Frage, was medienethische Kompetenz denn eigentlich ist.

Über die schwierige Definition von medienethischer Kompetenz

Und was ist medienethische Kompetenz?

Endres: In der Ethik-Didaktik haben wir unterschiedliche Vorstellung davon, wie ethische Urteilsbildung funktioniert, und das ist auch der Kernbereich, um den es gehen muss, wenn wir danach fragen, was medienethische Kompetenz ist. Es geht darum, selbst festzulegen, was ein guter Umgang mit Medien ist, wie ich damit umgehe, wie ich darin produziere, wie ich sie gestalte.

Und dann geht es darum zu hinterfragen, was für eine Bedeutung Medien für unser soziales Gesamtgefüge haben, für unsere Gesellschaft. Wie kann ich meine Rolle als Bürgerin im Digitalen wahrnehmen und überlegen, wie ich mich einbringen kann, welche Messenger-Dienste ich zum Beispiel nutze oder welche sozialen Plattformen?

Viele Menschen fühlen sich überfordert, denn Medien bestimmen umfassend unser Leben. Können Sie nachvollziehen, dass viele sagen, ich traue mir diese Kompetenz gar nicht mehr zu?

Endres: Jede und jeder von uns fühlt sich manchmal überfordert, weil die ganze Entwicklung so rasant vorangeht. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mal gesagt: Das Internet ist für uns alle Neuland. Tatsächlich tut sich im digitalen Raum so viel, dass jeden Tag aufs Neue die digitale Welt für uns Neuland ist. Gerade deshalb müssen wir überlegen, wie wir die digitale Medienrealität mitgestalten wollen.

 

 

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Der Podcast Ethik Digital erscheint einmal monatlich und wird von Rieke C. Harmsen und Christine Ulrich gehostet. Der Podcast erscheint als Audio, Video und Text. Alle Folgen des Podcasts Ethik Digital gibt es unter diesem Link. Fragen und Anregungen mailen Sie bitte an: rharmsen@epv.de

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Die fünf Schritte für mehr medienethische Kompetenz


Susanna Endres hat eine Methode entwickelt, mit der wir unsere medienethische Kompetenz verbessern können. Die Schritte konzentrieren sich auf folgende Punkte:

  1. Wahrnehmung der Situation
  2. Urteil treffen
  3. Handeln

 

Wie können wir denn digitale Kompetenzen erlernen? Worauf kommt es an?

Endres: In meiner Doktorarbeit habe ich eine Methode entwickelt, mit der wir sehen können, wie ethische Urteilsbildung im digitalen Raum funktioniert. Das ist der erste große Schritt, der erst mal selbstverständlich klingt, aber gar nicht so einfach ist: die Wahrnehmung. Ich muss also erst mal schauen: Worauf lasse ich mich da ein? Um welches Phänomen geht es, was ist die ethische Herausforderung, das ethische Problem, mit dem ich es zu tun habe? Hier muss ich die unterschiedlichen Facetten sehen. Das ist gar nicht so leicht, weil da ziemlich viel dazugehört – und hier knüpfen wir an die Medienkompetenz an.

Beim zweiten Punkt geht es um die Urteilsfindung. Ich muss auf der Basis von dem, was ich wahrgenommen habe, was ich sehe, ein Urteil bilden können. Dabei ist es hilfreich, erstmal zu überlegen: Was für unterschiedliche Werte gibt es denn überhaupt, zum Beispiel in der Gesellschaft, die für den Fall relevant sind? Also wenn es um den Wert der Gerechtigkeit geht, die Frage, wie ich handeln soll. Vielleicht gibt es hier Werte, die dem Wert der Gerechtigkeit widersprechen, wie der Wert der Wahrheit. Und hier gilt es, sensibel zu sein.

Dann gibt es unterschiedliche ethische Theorien, die ich anwenden kann. Aber wie gesagt, es gibt unterschiedliche Argumentationsmuster und Perspektiven. Geht es mir um die Handlungsmuster oder um allgemeine Prinzipien? Welche Zielgruppe habe ich vor Augen?

Beim dritten Punkt geht es um das Handeln. Das klingt auch erst mal selbstverständlich, ist es aber nicht. Denn nur weil ich ein ethisches Urteil gefunden habe, heißt das nicht automatisch, dass ich auch entsprechend handle. Das kennen wir aus unserem eigenen Verhalten sehr gut: Dass man im Kopf weiß, okay, eigentlich sollte ich jetzt dies und das tun, und dann tue ich das aus bestimmten Gründen aber nicht. Und es ist auch eine Kompetenz, zu sagen, ich überwinde mich dazu, auch wirklich etwas zu tun. Und dann geht es noch um Gestaltung, also um die Frage, wie ich die digitalen Medienrealitäten auch selbst beeinflussen kann.

Und diese Schritte laufen also ab, wenn ich zum Beispiel eine Nachricht erhalte über einen Messenger-Dienst?

Endres: Genau – wenn ich die Nachricht über Whatsapp erhalte, kann ich überlegen, ob die Nachricht stimmt. Leite ich das weiter oder überprüfe ich den Inhalt mit einer eigenen Recherche? Hier geht es darum, die Information zu hinterfragen. Vieles läuft auch automatisch – dieses Bauchgefühl etwa ist auch schon eine gewisse Form der ethischen Kompetenz und ethischen Entscheidung. Journalisten wissen, dass es wichtig ist, eine objektive und neutrale Perspektive einzunehmen. Ich kann also prüfen, ob dieses Posting, auf das sich meine Freundin vielleicht bezieht, wirklich existiert. Und dafür brauche ich Kompetenzen, ich muss wissen, wie ich das überhaupt verifizieren kann.

Und dann komme ich zum Handeln – also ich habe festgestellt, diese Info ist nicht ganz sauber. Ich kann das jetzt meiner Freundin mitteilen. Fühlt sie sich dann vielleicht unwohl, weil sie das einfach weitergeleitet hat? Und ich kann die Info weiterleiten und sagen, dass es nicht stimmt. Das erfordert auch Mut, ich trete damit in die Öffentlichkeit. Urteilen und Handeln gehen hier eng Hand in Hand – und haben wiederum Auswirkungen darauf, wie ich weiter wahrgenommen werde.

Wie gehen wir damit um, wenn immer mehr Informationen von KI produziert werden?

Endres: Das ist natürlich eine Herausforderung. Deshalb ist der Bereich der Wahrnehmung so relevant. Ich muss einschätzen, welche Auswirkungen die Entwicklung auf mich hat. Je mehr diese Welten miteinander verquickt sind, umso schwieriger wird die Einschätzung.

Schwierig wird es beim Thema Meinungsfreiheit, oder?

Endres: Wir müssen uns fragen: Was müssen wir tolerieren in einer demokratischen Gesellschaft, und wo ist die Grenze? Wann wird die Grenze überschritten? Man muss sich darüber klar sein, dass die eigene Freiheit auch dazu führen kann, dass die Freiheit anderer beeinträchtigt wird. Hier gilt es, eine Balance zu finden. Deshalb reicht eine bloße Werteerziehung oder ein Handlungsmuster wie ein Kochbuch nicht aus. Vielmehr brauchen wir Methoden, die uns dabei helfen, situationsabhängig zu entscheiden, was verantwortliches Handeln im jeweiligen Fall bedeutet. Und das ist nicht einfach.

Was brauchen wir denn als Gesellschaft? Welche Forderungen haben Sie?

Endres: Es geht schon darum, Verantwortung und Kompetenzen auf den Einzelnen zu übertragen. Aber dafür müssen wir natürlich auch die Unternehmen in die Verantwortung nehmen. Und dann ist die Regierung in der Verantwortung, Strukturen zu schaffen, an die sich Unternehmen halten. In der Medienethik benötigen wir Bildung in mehreren Feldern: in der ethischen Bildung und bei der medienethischen Kompetenz.

Letztendlich sind wir angewiesen auf digitale Medien. Sie machen unser Leben einfacher. Ganz ehrlich: Wer würde auf sein Smartphone verzichten wollen? Es geht nicht mehr ohne.

 

Dieser Text ist eine stark gekürzte Version des Podcasts "Ethik Digital" mit Susanna Endres.

Medienethische Bildung im digitalen Zeitalter.

Medienethische Bildung im digitalen Zeitalter. Impulse zur Förderung medienethischer Kompetenzen im Rahmen offener Online-Kurse

ISBN 978-3-658-42186-1

Verlag Springer VS

 

Teaser zum OPEN vhb-Kurs "Anstand im Netz. Digitale Kommunikation ethisch betrachtet"

Was können wir in diesem Kurs lernen?

In diesem Kurs geht es um medienethische Fach- und Methodenkompetenzen, die für eine ethisch-verantwortungsvolle aktive Teilhabe am digitalen (Kommunikations-)Raum notwendig sind.

Was bedeutet das konkret? Nach Abschluss des Kurses ...

  • ... nehmen wir ethische Herausforderungen im digitalen Raum wahr (Wahrnehmungskompetenz).
  • ... wägen wir mögliche Perspektiven auf ausgewählte ethische Herausforderungen der digitalen Kommunikation ab und bilden sich ein eigenes, begründetes Urteil (Urteilskompetenz).
  • ... richten wir unser Handeln entsprechend ethisch getroffener Entscheidungen aus und können Ihre Handlungsweisen und Urteile gegenüber anderen begründen (Handlungskompetenz und Argumentationskompetenz).
  • ... können wir skizzieren, wie technologische und mediale Strukturen und Funktionen ausgewählte ethische Herausforderungen der digitalen Kommunikation bedingen und verstärken.
  • ... sind wir dazu in der Lage, die Veränderungen durch digitale Technologien auf gesellschaftliche und kulturelle Prozesse zu analysieren, aus ethischer Perspektive heraus zu reflektieren und zu bewerten.

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