Stecker gezogen: Am Samstag wurde TikTok in den USA abgeschaltet, kurz bevor das landesweite Verbot der Kurzvideo-Plattform in Kraft trat. Kurze Zeit später wurde die App wieder angeschaltet. In der Zwischenzeit fegte ein Sturm durch die sozialen Medien, in denen sich Influencer*innen und User*innen ebenso wie Medienleute oder Politiker*innen zu Wort meldeten. Der Werbeslogan von TikTok "Make your day" hat gegriffen... Rückblickend war die Aktion vor allem eines: Ein riesiger Werbecoup für TikTok und Trump.
Fast die Hälfte der US-Amerikaner nutzt TikTok - insofern hat die App eine große Reichweite. Als die App abgeschaltet wurde, sahen die User für viele Stunden nur noch die Mitteilung, dass Tiktok "gerade jetzt" nicht mehr erreichbar ist. "Wir sind hoffnungsvoll, dass Präsident Trump mit uns eine Lösung erarbeiten wird, sobald er sein Amt angetreten hat", heißt es weiter auf der App.
Worauf der Konzern hofft: Dass Trump am Montag ein Moratorium von 90 Tagen erlässt. Innerhalb dieses Zeitraums könnte versucht werden, den Konzernanteil in den USA zu verkaufen - und somit das Geschäft fortzusetzen."Die 90-tägige Fristverlängerung wird höchstwahrscheinlich gewährt, weil sie angemessen ist", hatte Trump dem Sender NBC erklärt, und fügte hinzu: "Falls ich mich dazu entschließe, werde ich es wahrscheinlich am Montag bekannt geben." Donald Trump wird heute in Washington als 47. US-Präsident vereidigt.
Spionageverdacht bei TikTok
Nicht nur in den USA stehen TikTok und die Konzernmutter ByteDance wegen ihrer Nähe zur chinesischen Regierung unter Spionageverdacht. Daher verabschiedete der US-Kongress 2024 mit großer überparteilicher Mehrheit ein Gesetz, das ByteDance dazu verpflichtet, sein US-Geschäft bis zum 19. Januar zu verkaufen.
Für viele US-Amerikaner ist das Abstellen ein Problem: Sie nutzen den Dienst für ihre Community und kaufen Waren darüber. Für viele Influencer*innen ist zudem plötzlich ihr gesamtes Verkaufsmodell zusammengebrochen.
Gleichwohl ist das Problem mit TikTok allseits bekannt: Die Plattform zieht die Daten der Nutzer und sammelt diese mehr als jede andere Socialmedia-Plattform. Und die Inhalte werden kaum oder nicht moderiert, weshalb Desinformation und Misinformation sowie politische Einflussnahme sich breit machen können.
Kampf um die Macht der Algorithmen
Allerdings müssen sich die Nutzer und auch die Regierungen nichts vormachen: TikTok zu schließen, wird die Menschen nicht vor den tieferen Problemen der sozialen Medien und der Macht der Algorithmen bewahren. Zwar können sich nun kurzzeitig Gesetzgeber und TikTok-Kritiker bestätigt fühlen.
Doch müsste eine ganz andere Diskussion geführt werden - nämlich ob die großen Plattformbetreiber nicht auch für die von ihnen transportierten Inhalte haftbar gemacht werden müssten. Und diese Diskussion wird leider kaum geführt.
Was wir wirklich in Frage stellen müssen, ist das aktuelle System des digitalen Kapitalismus, bei der große Konzerne die Daten von Privatpersonen abgreifen und verkaufen - und zwar egal, an welche Kunden.
Wirtschaftsstreit zwischen USA und China
Der Streit um TikTok zeigt aber auch noch etwas anderes: Nämlich den Anspruch der USA, weiterhin globale Macht über Technologien zu haben. Auf einer Veranstaltung am Vorabend seiner Vereidigung in einer Sportarena in Washington äußerte sich der Politiker laut ZDF-Bericht erneut zu TikTok und erklärte, er würde es begrüßen, wenn die Vereinigten Staaten eine 50-prozentige Beteiligung an einem Joint Venture bekämen. "Wir müssen es retten. Eine Menge Arbeitsplätze. Wir wollen unser Geschäft nicht nach China verlagern". In anderen Worten: Wenn die USA einen Teil des Profits abbekommt, ist Trump zu jedem Zugeständnis bereit.
Es geht um den Wettlauf um die Vorherrschaft von KI zwischen China und den USA, die Frage, wer die Mikrochips baut oder die Cloudindustrie voranbringt. Auch deshalb ist es relevant, diesen Streit zu verfolgen - sich aber von den eigentlichen Fragen nicht ablenken zu lassen. Denn in einer globalen Welt sollte eben auch gemeinsam überlegt werden, wie mit neuen Technologien und ihren Mechanismen umgegangen werden soll.
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