In der "Zwangspause" durch die Coronavirus-Pandemie liegen nach Ansicht der evangelischen Vikarin Natalie Schreiber große Chancen und Herausforderungen.
"Die jetzige Situation ist für Familien ambivalent. In meiner persönlichen Wahrnehmung - und in der vieler Freunde - nimmt die aktuelle Situation einerseits Druck von manchen Familien, unsere eingeschlossen", sagte die 33-jährige angehende Pfarrerin dem Sonntagsblatt: "Das klingt zwar irgendwie absurd - aber so fühlt es sich an."
Man müsse nicht mehr in vorgegebenen Zeitfenstern leben und arbeiten, sondern "alles ist im Fluss":
"Wir essen, arbeiten, schlafen und spielen, wann es dran ist."
Der normale Alltag vieler Familien mit Kindern und zwei berufstätigen Elternteilen sehe doch so aus: früh aufstehen, Kinder wegorganisieren und anschließend schnell bis zum Schul- und Kindergartenschluss alles abarbeiten, was anliegt, erläutert Schreiber: "Dann noch Einkaufen, das Kinderturnen nicht vergessen, den Kindergeburtstag vorbereiten und noch ein Geschenk für die Nachbarin besorgen."
Viele fühlten sich in ihrem Alltag überlastet, neudeutsch "Mental Load".
"In dem Bereich fallen gerade 95 Prozent weg - in meinem Kopf ist es so still wie seit vielen Jahren nicht mehr", sagt Schreiber: "Das fühlt sich gut an."
Andererseits fülle sich die Ruhe im Kopf mit neuen Sorgen, sagte sie: "Für mich erscheinen die aktuellen Einschränkungen sinnvoll und sehr wichtig.
Und es macht mir Angst, dass viele Familien und auch wir ausgerechnet durch diese Entschleunigung, die gut tut, jetzt vor einer finanziell ungewissen Zukunft stehen." Sie denke auch an die Familien von Pflegekräften und anderen systemrelevanten Berufsgruppen, die vor einer Zerreißprobe stehen.
Sie hoffe dennoch, dass die Arbeitgeber - und dazu zählt sie auch die bayerische Landeskirche - durch die Zwangsmaßnahmen auch einen Lernprozess erleben:
"Wir können jetzt mal anschauen, wie unser Leben organisiert ist und ob unser Arbeitsleben nicht zugunsten von Familie und Freizeit effizienter gestaltet werden kann."
Berufstätigkeit beider Elternteile habe immer bedeutet, dass man seine Kinder "wegorganisieren" müsse: "Jetzt geht das nicht mehr und wir sind dazu gezwungen, Vereinbarkeit neu zu denken."
Wenn man durch die aktuelle Lage lerne, heutige technische Möglichkeiten besser zu nutzen, wäre dies für alle von Vorteil, ist Schreiber überzeugt.
Auch für die Kirche sei all dies herausfordernd:
"Wir müssen die Frage beantworten: Wie können wir Kirche leben, ohne uns zu sehen." Hier sei besonders der technikaffine Nachwuchs gefragt, sagte die Theologin.
Natalie Schreiber ist die erste Teilzeit-Vikarin der Landeskirche. Sie macht die eigentlich zweijährige Praxisausbildung nach dem Studium der Theologie in der doppelten Zeit.
In diesem Frühjahr stehen ihre Abschlussprüfungen an, kommendes Jahr um diese Zeit beginnt ihre Probezeit als "Pfarrerin in Anstellung". Sie ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder und lebt in Oberfranken.