Die Hilfe im Alter, ein Tochterunternehmen der Inneren Mission München, betreibt in und um München zehn Pflegeheime. Geschäftsführer Dirk Spohd rennt derzeit von einer Krisensitzung in die nächste. Notfallpläne, Schutzausrüstung, Isolierstationen: Ein Haufen logistischer Fragen muss geklärt werden.

"Unsere Schutzkleidung reicht im Ernstfall fünf bis sechs Tage", sagt Spohd im Gespräch mit dem Sonntagsblatt - wenn sich die Einrichtungen gegenseitig mit Material aushelfen, wohlgemerkt.

Weil auch die Mitarbeitenden nicht vor Covid-19 gefeit sind, werden Pflegeteams so aufgeteilt, dass möglichst immer eins einsatzfähig bleibt. Und schon jetzt diskutieren die Häuser, wie sie Bereiche so umorganisieren, dass im Infektionsfall eine Isolierstation definiert werden kann und der restliche Betrieb normal weiterläuft.

Den ersten positiv getesteten Bewohner meldete die Hilfe im Alter am letzten Freitag:

Ein 81-jähriger Bewohner des Friedrich-Meinzolt-Hauses in Dachau habe sich mit dem Virus infiziert, sei aber bislang ohne Symptome. Der Befund von 20 weiteren vorsorglich getesteten Bewohner der gleichen Station sei negativ.

Einen Fall wie in Würzburg, wo bereits zwölf Bewohner eines Altenheims nach einer Corona-Infektion verstorben seien, wünsche sich niemand. "Aber ich glaube auch nicht, dass das der letzte Fall gewesen sein wird", bemerkt Spohd.

Wie belastend die Situation für die Pflegekräfte ist, weiß Pfarrerin Dorothea Bergmann.

"Ihre Hauptangst ist, dass sie etwas einschleppen könnten, wodurch dann Bewohner zu Tode kommen", sagt die Theologin, die in der "Hilfe im Alter" die Fachstelle "Spiritualität - Palliative Care - Ethik - Seelsorge" leitet.

Zentrale Aufgabe sei momentan, die Hygienebedingungen in den Heimen so zu gestalten, "dass sich alle einigermaßen sicher fühlen können".

Die Personaldecke im Pflegebereich sei schon zu normalen Zeiten dünn. "Alle arbeiten, bis sie nicht mehr können", sagt Bergmann. Noch sei die Lage nicht kritisch. Dass sie das wird, wenn Mitarbeitende in Quarantäne müssten, schwingt in ihren Worten mit. Und wie ergeht es den Bewohnern, zwischen Kontaktverbot und Infektionsgefahr?

"Normalerweise gilt: Sozialkontakte sind für Menschen im Pflegeheim wichtiger als gesundheitliche Unversehrtheit", sagt Dorothea Bergmann.

Viele der Heimbewohner lebten nur noch fürs Essen und für die Besuche. "Wenn sie keinen Besuch mehr bekommen, nicht mehr zum Spaziergang raus können, trifft sie das hart, denn die Selbstbestimmung wird im Alter ohnehin immer weniger", so die Pfarrerin.

Noch schlimmer treffe das Kontaktverbot aber die Angehörigen.

Sie wüssten häufig nicht, ob und in welchem Zustand sie ihre Lieben wiedersehen würden. Auch die Abschiedskultur leide unter der Vorschrift: "Bei Sterbenden haben wir sonst oft ganze Familien zu Besuch - jetzt darf nur einer kommen", berichtet Bergmann. Im Sinne einer guten "end of life care" sei das nicht.

Ähnliches erlebt Pfarrerin Edith Öxler, die für das Dekanat München die Altenheimseelsorge koordiniert. Ihre 32 ehrenamtlichen Seelsorgebegleiter, die jetzt nicht mehr in die Heime dürfen, versuchten durch Telefonate und handgeschriebene Briefe den Kontakt zu den Bewohnern zu halten.

"Manche leiden extrem darunter, dass die Angehörigen nicht mehr kommen können", sagt die Pfarrerin.

Menschen mit Demenz wiederum seien die Zusammenhänge kaum zu vermitteln. "Die merken vielleicht nicht, dass die Tochter drei Wochen nicht da war - aber sie vermissen, dass sie jemand in den Arm nimmt", beschreibt Öxler.

Das bestätigt Dorothea Bergmann: "Manche, die den sozialen Kontakt brauchen, um nicht zu sehr in die Demenz abzudriften, leben jetzt ganz in ihrer Welt."  Aber nicht allen gehe es mit dem Kontaktverbot schlecht: "Manche genießen es sogar, dass jetzt statt Gruppenangeboten mehr Einzelbetreuung gemacht wird."

Wieder andere, die Kriegs- und Nachkriegserfahrungen hätten, trügen die Situation mit Fassung.

Ohnehin verortet die Expertin das eigentliche ethische Dilemma nicht an der Schnittstelle von Selbst- und Fremdbestimmung durch das Kontaktverbot, sondern an der gesamtgesellschaftlichen Frage.

"Je mehr Externe in den Häusern aus- und eingehen, desto mehr Menschen können sich infizieren", sagt Bergmann.

Doch je weniger Menschen intensivmedizinische Betreuung benötigten, desto länger bleibe das Gesundheitssystem arbeitsfähig. Deshalb sei die höchste Priorität der Schutz der Bewohner vor Infektion.

"Das System zu entlasten, ist eine gesellschaftliche Aufgabe - und dazu müssen, selbst wenn es hart ist, auch unsere alten Menschen ihren Beitrag leisten", findet Bergmann.