Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan vor gut einer Woche bringen westliche Länder ihre Staatsangehörigen und weitere schutzbedürftige Menschen über den Flughafen Kabul außer Landes. Doch das Zeitfenster für die Evakuierungen schließt sich. Am 31. August ist Schluss, das hat US-Präsident Joe Biden nun endgültig verkündet. 

Es bleiben also noch sieben Tage, um Menschen vor den als grausam bekannten Extremist*innen zu retten. Auch die Bundesregierung wird dann niemand mehr aus Kabul nach Deutschland holen können. Flüchtlingshelfer Stephan Theo Reichel, Vorsitzender des Vereins "matteo – Kirche und Asyl" kritisiert das in einem Rundschreiben an die Presse mit scharfen Worten.

Flüchtlingshelfer: Rettung der Menschen gescheitert

Die Beendigung der Evakuierung von sogenannten Ortskräften und akut bedrohten Afghan*innen bedeute vor allem eines, so Reichel, der früher Kirchenasyl-Koordinator bei der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) war: "Damit wäre die Rettung der Menschen, die Deutschland verbunden waren, weitgehend gescheitert." Die Afghan*innen, die der Bundeswehr beigestanden oder in zivilen Projekten gearbeitet haben, aber auch die von Seehofer und Innenminister*innen abgeschobenen Flüchtlinge würden so im Stich gelassen

"Bis heute haben wir keinen der von uns an das Außenministerium gemeldeten  Notfälle rausbekommen", erklärt Reichel weiter. Ein junger Mann aus Kempten, im Februar völlig unbescholten abgeschoben, sei weiter in Gefahr. Ein anderer aus Straubing könne trotz Ausbildungsvisum nicht ausreisen. "Ihm wurde am Flughafen von Deutschen die Mitnahme verweigert." Und ein Dritter aus Regensburg, der noch im Juli vor der Hochzeit mit seiner deutschen Freundin abgeschoben worden sei, habe der Evakuierung nicht vertraut und sich nach Pakistan durchschlagen können. 

Reichel: Asylpolitik hat viele Afghan*innen ins Unglück gestürzt

Reichel kritisiert die Asylpolitik Deutschlands: "Über fünf Jahre hat die Bundesregierung die bei uns Schutz suchenden Afghanen bedrängt mit falschen Asylbescheiden, Integrations-, Arbeits- und Ausbildungsduldungsverboten, mit angedrohten und vollzogenen Abschiebebescheiden." Das Risiko der Verfolgung durch die Taliban sei beschönigt oder ganz bestritten worden. Über Jahre und bis  vor gut einer Woche hätte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) mit geschönten und erkennbar falschen Lageberichten die Abschiebungen unterstützt. Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz 
(SPD) verteidigten sie immer noch. "Das hat viele Afghanen ins Unglück gestürzt."

Reichels bitteres Fazit: 

"Statt sich zu ihrer Schuld zu bekennen und eine ernsthafte Evakuierung zu betreiben, machen sich diese Politiker Sorgen, dass zu viele Flüchtlinge kommen würden, oder sie im September nicht gewählt werden würden."

Minister Gerd Müller: Evakuierungsmaßnahmen verlängern

Auch Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) macht sich Sorgen um die Menschen, die noch in Afghanistan sind. Er hat vor einer hohen Gefahr für afghanische Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen unter der Herrschaft der Taliban gewarnt.

Er traue den Zusicherungen der Aufständischen nicht, "es wird bereits jetzt verfolgt und gemordet", sagte Müller der "Augsburger Allgemeinen". Er habe große Sorge um die afghanischen Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und anderer Nichtregierungsorganisationen. Die Bundesregierung arbeite "auf vielen Ebenen und auch an weiteren Möglichkeiten, das Land verlassen zu können jenseits der Luftevakuierung".

Müller: Die, die derzeit keine Chance haben, nicht alleine zurücklassen

Der Minister drang auf eine Verlängerung der Evakuierungsmaßnahmen. Er unterstütze den britischen Vorstoß, "zusammen mit den Amerikanern alles zu tun, um eine Verlängerung zu erreichen und dennoch dürfen wir diejenigen, die derzeit keine Chance haben, evakuiert zu werden, nicht alleine zurücklassen", sagte er. Diese Menschen hätten in den vergangenen Jahren wichtige Projekte umgesetzt und viel geleistet.

Einige Organisationen hätten trotz der dramatischen Lage erklärt, weiter vor Ort zu bleiben und ihre Arbeit soweit wie möglich fortzuführen, sagte Müller weiter. Dabei habe die Sicherheit für afghanische Mitarbeiter absolute Priorität. Parallel hätten alle gefährdeten afghanischen Ortskräfte das Angebot auf Evakuierung erhalten. Bisher hätten aber leider nur sehr wenige ausgeflogen werden können, sagte er.

(mit Material von epd)