Spielt die Frage, was nach dem Tod kommt, bei Ihren täglichen Begegnungen in der Hospizarbeit eine Rolle?
Rizzi: Seltener, als man denkt. Manche gehen vertrauensvoll in etwas hinein, für manche ist die Frage angstbesetzt, für manche ist sie offen. Es ist nicht vorhersehbar, wie sich diese Frage für den Einzelnen auf der Schwelle zum Tod darstellt. Nicht automatisch sind gläubige Menschen im Sterben vertrauensvoll – manchmal haben gerade streng religiöse Menschen Angst, dass sie nicht gut genug gelebt haben und nach dem Tod deshalb bestraft werden. Da ist der Glaube dann nicht gerade hilfreich beim Sterben. Oft werden wir Hospizbegleiter gefragt: "Was glauben Sie, was nach dem Tod kommt?" Die Menschen suchen ein Gegenüber, das offen ist, um über diese Frage zu sprechen.
In der Stadtakademie bieten Sie ein Seminar an mit dem Titel "Einüben ins Endlichsein". Worum geht es?
Rizzi: Es liegt in der Natur der Dinge, dass alles vergänglich ist. Es gibt wirklich nichts, was beständig ist, was bleibt. Damit kommen wir zurecht, wenn es sich um unangenehme Dinge handelt. Es ist schrecklich bei Dingen, die für uns angenehm sind, denn die wollen wir unbedingt behalten. Aber dadurch entsteht Leid: Es ist vergeblich, an Dingen festhalten zu wollen, die nun mal vergänglich sind – damit sollten wir uns vertraut machen.
Aber kann man denn alles loslassen, was man liebt?
Rizzi: Es geht nicht um Gleichgültigkeit! Einen geliebten Menschen, eine Hoffnung oder Perspektive zu verlieren, tut immer weh. Aber wir müssen akzeptieren, dass es kein leidfreies Leben gibt. Das ist die erste Erkenntnis im Buddhismus. Auch der gekreuzigte Jesus ist ein Symbol dafür, dass unser Leben leidvoll ist. Das hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun, und es heißt auch nicht, dass wir destruktive Strukturen akzeptieren sollen. Es heißt aber, dass es Situationen gibt, die wir nicht in der Hand haben, und in denen uns nur Hingabe hilft.
"Es ist schwer für Sterbende, wenn sie im Unfrieden gehen"
Eine Frage in dem Seminar lautet: Wie kann ich Ungelöstes in meinem Lebens klären?
Rizzi: Wir stellen immer wieder fest, wie schwer es für Sterbende und für Angehörige ist, wenn sie im Unfrieden bleiben. Natürlich können wir nicht konfliktfrei leben. Aber wenn ich um meine Vergänglichkeit weiß, werde ich nach einem Streit nicht tagelang verstummen. Als mein Sohn in der fünften Klasse war, kam er nach einem Streit am Morgen noch einmal zu mir zurück und sagte: "Mama, das war jetzt wirklich gemein. Aber falls wir uns nicht mehr wiedersehen, vergiss nicht: Ich liebe dich!" Wir wissen nicht, wann wir sterben. Aber wenn es soweit ist, kann es zu spät sein, um Ungelöstes noch zu klären.
Eine weitere Frage lautet: Wie gehe ich mit leidvollen Erfahrungen um? Was erleben Sie da?
Rizzi: Menschen gehen unterschiedlich mit Leid um, die einen zerstreuen sich, die anderen ziehen sich zurück oder geben anderen die Schuld. Beim Sterben hilft das alles nicht. Was hilft, ist, ein innerliches Ja für das zu finden, was man nicht ändern kann. Dafür gibt es viele Übungen im Alltag: Wenn ich am Wochenende einen Ausflug geplant habe, aber dann ist das Wetter schlecht – dann kann ich üben, dazu Ja zu sagen. Das ist wie ein seelischer Muskel. Wenn ich den nicht im Leben trainiere, wird er mich im Sterben nicht halten können.
Welchen Sinn hat für Sie der Ewigkeitssonntag?
Rizzi: Wir können uns im Totengedenken daran erinnern, dass wir alle vergänglich sind, und dass wir gerade in diesem Werden und Vergehen aufgehoben sein können. Trauern hat ja etwas mit Liebe zu tun. Selbst wenn ich einen Umgang mit der Endlichkeit gefunden habe, tut es trotzdem weh, liebe Menschen zu verlieren. Aber wir können uns vielleicht mit dem Gedanken trösten, dass sie uns nur vorausgegangen sind – egal, welche Jenseitsvorstellungen wir selber haben.