Die Baumwollplane flattert sanft im Wind. Grillen zirpen. Die Luft riecht süßlich-schwer nach Sommer. Während Töchterchen Juniper barfuß durchs hohe Gras flitzt, spülen Miriam und Zoltán vor der Jurte in einem Blechzuber Geschirr. Links und rechts von ihrem kleinen Nomadenzelt gibt es nur Wiesen und Wald, und im Hintergrund die Berge.

Und dann macht Miriam Wolf die Augen auf. Ihr Blick fällt auf Mehrfamilienhäuserfassaden, unüberhörbar das Rauschen einer Hauptstraße. Doch diese Realität wird nicht mehr lange die der jungen Münchner Familie sein: Bald soll ihr Idyll vom einfachen Leben wahrwerden. "In eine Jurte kommst du rein und dir geht das Herz auf", schwärmt die 37-Jährige. Denn in so einem Nomadenzelt herrsche eine besondere Atmosphäre: warm, gemütlich, konzentriert aufs Wesentliche.

Schon länger ist für das Paar klar: Es will aufs Land. Schluss mit Miete, endlich Eigenheim - ein Wunsch vieler junger Familien. Doch Miriam Wolf und Zoltán Benkö mussten nicht lange rechnen, um zu wissen, dass der klassische Weg für sie nicht in Frage kommt. "Wir sind nicht so die Bausparvertrag-Typen", grinst Miriam Wolf. Und auch das Lebenskonzept der beiden Selbstständigen sieht nicht vor, viel Geld zu scheffeln, um einen riesigen Kredit abzubezahlen. Aktuell arbeiten beide Teilzeit - und genießen die zusätzlichen Stunden mit ihrer Tochter.

Zum glücklichen Leben braucht es nicht viel Platz oder viel Materielles, wissen Miriam Wolf und Zoltan Benkö. Gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter planen sie deshalb den Umzug in ein Nomadenzelt.
Zum glücklichen Leben braucht es nicht viel Platz oder viel Materielles, wissen Miriam Wolf und Zoltan Benkö. Gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter planen sie deshalb den Umzug in ein Nomadenzelt.

So war schnell deutlich: Für den umgebauten Hof am Rand der Alpen wird's nicht reichen. "Aber eine Wohnung im Dorf ist auch nicht, was wir uns vorstellen, wir wollen nah ran an die Natur", sagt der 46-Jährige. Er sitzt auf dem Boden in seinem Wohnzimmer: Dort, wo bei anderen ein großes Sofa steht, hat das Pärchen eine gemütliche Kuschel- und Spielecke aus Kissen. Miriam schaut sich um: "Wir versuchen, uns ständig von Dingen zu befreien." Fast jede Woche miste sie aus, behalte nur wertige Dinge und solche, zu denen sie eine Verbindung habe. "Wir brauchen nicht viel Platz", bestätigt auch der Osteopath und grinst - immerhin ist er 1,91 Meter.

So kam die Jurte ins Spiel. "Yurt" ist türkisch und bedeutet "Heim" und "Heimat". Seit Jahrtausenden sind diese traditionellen Zelte das Zuhause asiatischer Nomaden. Besonders verbreitet sind sie in der Mongolei, Kirgisistan und Kasachstan. Eine Standardjurte hat etwa 30 Quadratmeter. Die Außenwände aus flexiblen Scherengittern sind 1,60 Meter, dann wird sie zur Mitte höher. Umspannt ist die Jurte von weißer Leinenplane.

Ihr Herz ist der Holzofen: Er spendet Licht und Wärme, trocknet Kleidung und bereitet das Essen - selbst angebaut in eigenen Beeten, versteht sich. "Der größte Unterschied zu einem Haus ist wohl, dass es keine Fenster gibt", erklärt Zoltán Benkö. Das bedeutet, man kann nicht nach draußen sehen - aber dafür umso intensiver hören. Auf diese Erfahrung freut sich Miriam besonders: "Wir wollen alle Jahreszeiten erleben: Wie Winter schmeckt und Frühling klingt, wie der Sommer riecht und sich der Herbst anfühlt."

Jurte im Wald - aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben" (Knesebeck).
Jurte im Wald - aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben" (Knesebeck).
Im Inneren einer Jurte ist es warm und gemütlich: Foto aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben", Knesebeck-Verlag.
Im Inneren einer Jurte ist es warm und gemütlich: Foto aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben", Knesebeck-Verlag.
Eine einsame Jurte in der Natur. Das wünschen sich Miriam und Zoltan als Kontrast zu ihrem jetzigen Leben in einer Münchner Wohnung. Foto aus: Foto aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben", Knesebeck-Verlag.
Eine einsame Jurte in der Natur. Das wünschen sich Miriam und Zoltan als Kontrast zu ihrem jetzigen Leben in einer Münchner Wohnung. Foto aus: Foto aus Stefan Rosenboom/Nadja Schotthöfer/David Schuster: "Die fliegende Jurte - Vom Glück einfach zu leben", Knesebeck-Verlag.

Wie lange die Familie tatsächlich in der Jurte leben will, ist offen: "Wir planen erstmal mit einem Jahr, aber wenn uns das taugt - warum nicht auch länger?", sagt die Organisationsentwicklerin. Ihre Wohnung werden sie zunächst untervermieten - und sich ein Zuflucht-Zimmerchen behalten. "Aber ich glaube, das ist eher für unser Sicherheitsgefühl und weniger, weil wir vorhaben, dort oft zu sein."

Die größte Herausforderung bei diesem Abenteuer? Da die Familie mehrere Zelturlaube hinter sich hat, sieht sie keine großen Hindernisse. Vielleicht das Leben ohne fließend Wasser, überlegen die beiden. Denn Strom wird es in der Jurte geben, aber kein normales Klo oder eine Dusche. "Aber der Trend geht eh zum Waschlappen", grinst Miriam Wolf. Außerdem will sie sich dann im nächsten Sportverein anmelden und dort duschen.

Angst, dass es in dem Einraum-Zelt, das zugleich Küche und Bad, Schlaf-, Kinder- und Wohnzimmer ist, zu eng wird, haben die beiden nicht. "Selbst wenn wir uns zoffen, müssen wir nur einen Schritt machen und stehen in der Natur", sagt die 37-Jährige. Und die bringe einen schnell runter. Ihre Berufe wollen sie weiterführen. "Aber wir werden nicht Vollzeit arbeiten", sagt Zoltán Benkö. Das sei durch das Leben in der Jurte auch nicht nötig: Bereits durch die wegfallende Miete spart das Paar jeden Monat 1300 Euro.

Eine Jurte ist die traditionelle Behausung asiatischer Nomaden. Diese hier steht im Landkreis Weilheim-Schongau.
Eine Jurte ist die traditionelle Behausung asiatischer Nomaden. Diese hier steht im Landkreis Weilheim-Schongau.

Inspiriert wurde das Pärchen von zwei weiteren Aussteigern: Nadja Schotthöfer und David Schuster leben seit Jahren in einem Nomadenzelt. Ihre Erfahrungen haben sie im Buch "Die fliegende Jurte" (Knesebeck) aufgeschrieben. Zunächst stand ihr Zelt allein, mittlerweile sind sie in eine Jurtengemeinschaft im Landkreis Weilheim-Schongau umgezogen. "Wir genießen es, die Herausforderungen zu teilen und von Menschen besucht zu werden, die die Verantwortung für ihre Behausung oder ihre Nahrung kreativ selbst in die Hand nehmen", sagt Nadja Schotthöfer: "Und zwar Hand in Hand mit der Natur."

Dass Miriam und Zoltán einen ähnlichen Weg gehen wollen, findet sie super: "Ich rate ihnen, bei ihrem Traum zu bleiben und sich nicht verunsichern zu lassen", bestärkt sie das Pärchen: "Es lohnt sich!" Vor allem von der Standortsuche sollen sie sich nicht kleinkriegen lassen: "Das ist gewöhnlich die größte Herausforderung: einen freien und geeigneten Ort zu finden, an dem auch die Nachbarn offen sind für dieses ungewöhnliche Bauwerk."

Wo ihre Jurte stehen soll, wissen Miriam Wolf und Zoltán Benkö nämlich noch nicht. "Irgendwo zwischen München und den Bergen", hofft die junge Mutter. Am liebsten auf einem Fleckchen Obstwiese eines Bauern, der sich nicht um Formalitäten schere. Denn, so weiß die 37-Jährige: "Ob und wie und wo man eine Jurte aufstellen und dort leben darf, ist rechtlich ganz schön verzwackt - und es gibt sogar von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedliche Vorgaben." Doch die Familie ist überzeugt: Wo ein Wille, da ein Weg - und zwar der zur eigenen Jurte.

Wer teilt sein Glück?

Miriam Wolf und Zoltán Benkö sind aktuell auf der Suche nach einem passenden Fleckchen Natur für ihre Jurte. Am liebsten wäre ihnen irgendwo zwischen München und den Bergen auf einem Fleckchen Obstwiese eines Bauern, der sich nicht um Formalitäten schert. Wer Tipps geben kann, darf sich gerne bei per Mail melden.