Wer sammelt denn heute noch Briefmarken? Längst ist die stille Philatelie ein Nischenprogramm. Heute träumen sich Jugendliche beim Betrachten von Auslandsbriefmarken auch nicht mehr in ferne Länder, heute packen sie den Rucksack und machen sich selbst nach Australien oder Amerika auf.
Und trotzdem: Es gibt Ausnahmen, wie den 36-jährigen Jugendreferenten David Scherger vom Evanglischen Jugendwerk der württembergischen Landeskirche (ejw) in Ravensburg. Er folgte als kleiner Junge beim Kinderferienprogramm in Hannover einer Einladung des Briefmarkenclubs, und von da an war sein Interesse geweckt. Mit den Jahren hat sich daraus eine ernsthafte Passion entwickelt, und seine Sammlung wuchs ständig an.
Vor vier Jahren, als die Lutherdekade langsam auf die Zielgerade einbog, legte Scherger dann seinen Sammel-Schwerpunkt auf Martin Luther und die Reformation, und so konnte er für den Kirchenbezirk Ravensburg diese Ausstellung anbieten, die Leben und Werk des Reformators nachzeichnet.
Schatz aus dem Jahr 1730
Aber auch Luthers Ehefrau Katharina von Bora, seine Weggefährten und seine Wirkungsorte spiegeln sich in den zahlreichen Briefmarken und Blöcken, historischen Ansichtskarten und Privat-Ganzsachen, Ersttagsbriefen und Erinnerungsblättern wider. Als seinen größten Schatz bezeichnet Scherger einen Schaubrief zur 200-jährigen Feier der Confessio Augustana von 1730. Insgesamt umfasst David Schergers Ausstellung 480 Exponate.
Der intellektuelle Gewinn beim Briefmarkensammeln ist für Scherger unbestritten. Wer Konzentration und Wissensdurst mitbringt, kann auch heute noch seine Kenntnisse in den unterschiedlichsten Bereichen erweitern. Sei es Geografie oder Biologie, Heimatkunde, Kirchenhistorie oder Forschung.
Untergang einer Kultur
Wer allerdings Briefmarken aus monetären Gründen sammelt, wird wohl enttäuscht werden. "Der Markt ist fast eingebrochen. Briefmarken sind keine Wertanlage mehr", sagt Scherger.
Mehr noch: Länder wie die Niederlande, die teilweise keine Ortsstempel und Sonderbriefmarken mehr anbieten, könnten Vorboten dafür sein, dass die Briefmarkenkultur keine Chance mehr hat – eine Kultur, die mit Postwertzeichen das transportieren kann, was einem Land wichtig ist: Geschichte und Kunst, Natur und sogar Humor.
So dichtete einst Joachim Ringelnatz: Ein männlicher Briefmark erlebte / was Schönes, bevor er klebte. / Er war von einer Prinzessin beleckt / Da war die Liebe in ihm erweckt. Er wollte sie wiederküssen / Doch hat er verreisen müssen / So liebte er sie vergebens / Das ist die Tragik des Lebens.