Lange Zeit wurde Ökologie als rein naturwissenschaftliche Disziplin verstanden, als das systematische Studium der Interdependenz der Lebensformen in einem gegebenen Lebensraum. Seit den 1960er Jahren macht sich ein neuer, holistischer Ansatz bemerkbar, der als spirituelle Ökologie bezeichnet wird – und einen Zusammenhang zwischen Spiritualität, Religionen und Umwelt deutlich machen möchte.

Spirituelle Ökologie, so formuliert es der Wissenschaftler Peter Erlewein, ist die Disziplin, die "uns den innigsten Zusammenhang von Geist, Natur und Mensch erkennen lässt – egal ob wir Christen, Atheisten, oder auch Kapitalgläubige sind."

Entstanden ist dieser Ansatz aus der Erkenntnis, dass der rein objektive, gewinnorientierte Verstand, der spätestens seit der Renaissance als Hauptquelle der Erkenntnis in den Mittelpunkt rückte, nicht alleiniger Teil der Lösung der bestehenden Umweltkrise sein kann. Die vernunftbetonte, naturwissenschaftliche Weltanschauung, die uns materiellen Vorteil verschafft hat, ist gleichzeitig die Ursache einer scheinbar unüberbrückbaren Kluft zwischen dem "Selbst" und einer Welt, die nur noch als tote Materie, als unerschöpfliche Reserve materieller Ressourcen gesehen wird.

"Heiligkeit" der Natur

Hier setzt die spirituelle Ökologie an: Sie versucht, die Dimension des "Heiligen" in das Verständnis von Natur zu integrieren. Die Erkenntnis der "Sakralität" der Natur soll die notwendige Verbundenheit zu unserer Umgebung schaffen, die uns dabei hilft, die ökologische Krise zu überwinden. Aus dieser Sicht ist Naturschutz unzertrennlich mit der geistig-seelischen Selbstverwirklichung des Menschen verbunden. Die ökologische Krise ist in ihren tiefsten Wurzeln als spirituelle Krise zu betrachten.

Auch wenn die spirituelle Ökologie mit Konzepten wie der Weltseele "anima mundi", von Interdependenz und Selbstverwirklichung beladen wird, sollte sie nicht in die Schublade der westlichen Esoterik angesiedelt werden. Vielmehr versteht sich spirituelle Ökologie als ökumenisch, interspirituell und post-traditionell. Vor allem ist sie Teil einer wissenschaftlichen Diskursanalyse über die Rolle der Religionen in der modernen Umweltproblematik.

Für den südafrikanischen Geistlichen und ehemaligen Erzbischof von Kapstadt, Desmond Tutu, etwa liegt die Lösung der ökologischen Krise unseres Planeten längst nicht mehr nur in den Händen von Naturwissenschaftlern. Wir müssen vielmehr, so Tutu, die Kräfte kennenlernen, die zur Krise geführt haben, und uns mit den Ressourcen vertraut machen, die uns aus der Krise weiterhelfen - und in unseren religiösen Traditionen verwurzelt sind. Eine dieser Ressourcen ist unser biblisches Erbe.

Bibel und Umweltschutz

Die Positionen der Wissenschaftler sind spannend – und durchaus kontrovers: Der amerikanische Wissenschaftshistoriker Lynn White kommt in seinen Forschung zum Schluss, dass der Anthropozentrismus der jüdisch-christlichen Tradition die Haupt-Ursache ist für den Raubbau der Natur. Der Theologe James Barr hingegen betont in seinen Schriften eher den positiven Beitrag der Bibel, im speziellen der Genesis, weil sie dem Menschen die Rolle des Hüters der Schöpfung zuweist. Manfred Gerstenfeld, jüdischer Publizist, warnt seinerseits vor der Tendenz der spirituellen Ökologie, aus der Natur einen Kult zu schaffen. Gerstenfeld betont vor allem die negative Beziehung zwischen spiritueller Umweltbewegung, Heidentum und im extremen Fall "brauner Esoterik".

Die wissenschaftliche Diskussion um "Spirituelle Ökologie" hat in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen. Sie stellt sich dar als ein breites Wissensgebiet mit vielen Facetten, zu der positive Potentiale gehören ebenso wie Schwächen und Gefahren. Die Ernsthaftigkeit des aktuellen Klimawandels, so sind sich die Forscher immerhin einig, gebietet es, alle gesellschaftlichen Ressourcen zu mobilisieren, die zur Überwindung der Krise verhelfen könnten. Dazu gehören sicherlich auch die Religionen und im weitesten Sinne ein spiritueller Ansatz.


Buchtipps zum Weiterlesen:
Erlenwein, Peter: Überlegungen zu einer spirituellen Ökologie.
Derbidge, Renatus: Was ist spirituelle Ökologie.
Gerstenfeld, Manfred (1998): Judaism, Environmentalism and the Environment: Mapping and Analysis. Jerusalem: The Jerusalem Institute for Israel Studies.
 

Studienfach Spiritualität und Ökologie

Unsere Autorin Tanja Mancinelli hat Biologie und Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert und sich in ihrem Masterstudium spezialisiert auf das Fach "Ecology and Spirituality" am Schumacher College und der Trinity St. David University in Großbritannien. Dieser Masterstudiengang, der noch in den Anfängen steht, möchte eine holistische Antwort auf die bestehende Umweltkrise finden. Hier werden Naturwissenschaft, Philosophie, Spiritualität und Religion als untrennbar gesehen. Bei der Lösung globaler Probleme sollten sie  - so dieser neue Ansatz - gleichermaßen und interdisziplinär herangezogen werden.