»Ich bin gegen die Amtsenthebung unserer Präsidentin Dilma Rousseff«, schreit Maria de Silva und entlädt damit auf der Demonstration im August 2016 ihren Frust gegen die Amtsenthebung ihrer Präsidentin. »Sie hat es ermöglicht, dass mein Kind studieren konnte und jetzt drehen sie das Rad zurück«, betont Maria. Die Arbeiterpartei PT förderte unter der Präsidentin vor allem die ausgrenzten Personengruppen der Schwarzen, Armen und Indigenen.
Mit dieser Politik konnte Rousseff in der brasilianischen Mittel- und Oberschicht nicht ankommen und deshalb wurde sie aus dem Amt gedrängt. Seit der Wende in September 2016 wird in der brasilianischen Politik das Rad zurückgedreht.
Pfingstkirchen und Evangelikale stellen die größte Fraktion
Im Bundesparlament stellen inzwischen die Pfingstkirchen und konservativen evangelikalen Politiker die größte parteiübergreifende Fraktion. Inzwischen bestimmt die BBB-Koalition – Biblia, Boi e Bala, zu Deutsch Bibel, Großgrundbesitzer und Waffenlobby die Geschicke des Landes. »Es ist der reaktionärste Kongress seit Ende der Militärdiktatur 1985, der eben vor gut einem Jahr die Mitte-Links-Präsidentin Dilma Rouseff wegen angeblicher Haushaltstricks aus dem Amt vertrieb und jetzt dem konservativen Michel Temer die Stange hält«, betont Nestor Friedrich, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche lutherischen Bekenntnisses in Brasilien.
Korruptionsverfahren wurde gestoppt
Um ein Korruptionsverfahren gegen den neuen Machthaber zu stoppen, verhinderte eine große Mehrheit der zumeist korruptionsverdächtigten Abgeordneten die Aufhebung der seiner Immunität. Der jüngste Coup der Volksvertreter richtet sich gegen Kritik im Internet. Im Oktober wurde ein Gesetz verabschiedet, das Politiker ohne Einschaltung der Justiz ermächtigt, die Löschung kritischer Kommentare in sozialen Netzwerken zu verlangen.
Inzwischen wurden zum großen Teil schon soziale Vergünstigungen und Programme für die Unterschicht gestrichen, wie zum Beispiel der Zugang zum Universitätsstudium. Fabio Castro, Analyst der wirtschaftlichen Situation betont: »Auf fünf Prozent der Oberschicht konzentrieren sich 50 % des brasilianischen Einkommens«. »Auf der anderen Seite schafften es beispielsweise durch das Programm Bolsa Familie (Familienunterstützung) 15 Millionen Menschen aus der extremen Armut herauszukommen«, fährt Castro fort, der den Einsatz für die arme Bevölkerungsschicht, der drei Regierungsperioden von Lula und Rousseff hervorhebt.
Pfingstkirchen unterstützen neoliberale Politik der Konservativen
Die neoliberale Politik der konservativen Kreise wird von den Pfingstkirchen unterstützt. Sie bekämpfen alles was nicht in ihr biblizistisches Weltbild passt. So erklärt Bürgermeister Marcelo Crivelle, der vor seiner Wahl Bischof der Pfingstkirche Igreja Universal war, dass die Mehrheit der Menschen in Rio de Janeiro die Kunstausstellung mit 270 Bildern und Plastiken von 90 brasilianischen Künstlern, am Rande des Olympia-Boulevards im Hafenviertel, die demnächst gezeigt werden sollte nicht will. Seiner Meinung verstoße die die Ausstellung gegen die öffentliche Moral, da religiöse Symbole und die Darstellung nackter Körperteile die Kunstschaffenden verwendeten.
Bischof Nestor Friedrich: »Wir treiben schutzlos in einer Strömung«
Friedrich fasst die momentane Situation in Brasilien zusammen, wenn er sagt: »Es ist, als ob wir schutzlos in einer Strömung treiben! Die Stille auf den Straßen ist bezeichnend. Wir fragen uns: Was haben wir falsch gemacht, wenn wir erfahren, was wir heute erleben?«
Ein Gastbeitrag von HANS ZELLER, Lateinamerika-Referent des Partnerschaftszentrums Mission EineWelt der bayerischen evangelischen Landeskirche.
Reportage-Serie aus Brasilien
Lesen Sie hierzu auch unsere Artikelserie mit Reportagen aus Brasilien. Sie entstanden im Rahmen des Stipendienprogramms "Journalismus & Religion" des Evangelischen Presseverbands für Bayern e.V.
2016 führte die Stipendienreise "Journalismus & Religion" des EPV in den Süden von Brasilien. Hier geht es zum Multimedia-Special, das in Kooperation mit Mission EineWelt entstanden ist.
Abschied von Hans Zeller
Der langjährige Lateinamerika-Referent des Partnerschaftszentrums Mission EineWelt der bayerischen evangelischen Landeskirche, Hans Zeller, wird am 9. Dezember 2017 mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet. Die Amtszeit des 65-jährigen Theologen, Agraringenieurs und Sozialarbeiters endet diesen Dezember. Der Gottesdienst ab 17 Uhr findet in der Neuendettelsauer St. Nikolaikirche statt. Zellers Aufgaben übernimmt ab 2018 Friederike Deeg, derzeit tätig im Referat für Mittel- und Südamerika der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Zeller begann 1982 ein Theologiestudium, am 6. Dezember 1987 wurde er als Pfarrer ordiniert. Nach einigen Jahren Pfarrdienst in bayerischen Kirchengemeinden arbeitete er zwischen 1991 und 1998 als Pfarrer in Brasilien. Danach begleitete er brasilianische Vikare, Stipendiaten und Religionspädagogen als Mentor, ehe er 2009 Lateinamerika-Referent bei Mission EineWelt wurde.
»Hans Zeller hat mit seiner Offenheit und seiner Bereitschaft, immer wieder aufzubrechen und über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszublicken, die Partnerschaftsarbeit mit Lateinamerika unglaublich bereichert und vorangebracht«, sagte Mission EineWelt-Direktorin Gabriele Hoerschelmann.