Vor allem nachts quält sie der Gedanke an das, was ihr widerfahren ist: Im August 2020 wurde Gudrun Stifter vergewaltigt. Die meisten Frauen würden sich scheuen, darüber zu sprechen. Doch die 28-Jährige will reden. Denn sie ist schockiert, wie mit Opfern sexueller Gewalt umgegangen wird. So musste Stifter etwa die Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten sowie die "Pille danach" selbst bezahlen, schildert sie in einer Petition an den Bayerischen Landtag.

Dass Behörden oder ähnliche Einrichtungen kein Pardon kennen, hat Gudrun Stifter schon öfter erlebt. Seit Jahren lebt die Münchnerin prekär, immer wieder musste sie sich gegen Jobcenter-Bescheide wehren. Diesmal entschied die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) auf eine Weise, die Stifter fassungslos machte. Für verschiedene Untersuchungen, Behandlungen sowie der Zuzahlung zum Klinikaufenthalt nach der Vergewaltigung musste die Hartz-IV-Empfängerin rund 500 Euro berappen.

Die Beratungskosten wurden ihr zurückerstattet 

Selbst für Frauen, bei denen Geld keine Rolle spielt, sei dies ein Schlag ins Gesicht, meint Stifter: "Das sind massive Missstände, und ich möchte, dass das bekannt wird und dass sich etwas ändert." Sie selbst schaffte es nach langen Kämpfen und mit Hilfe der Unabhängigen Patientenberatung, dass ihr sämtliche Auslagen zurückerstattet wurden. Zwischenzeitlich hatte ihr der Weiße Ringe das Geld vorgestreckt. "Dennoch kann ich nicht akzeptieren, dass es so etwas gibt", meint die junge Frau.

Stifter wurde nicht nur brutal aus ihrer gewohnten Ordnung herausgerissen. Ihr Weltbild steht seit der Vergewaltigung auf dem Kopf. Weil sie noch immer unter der Gewalttat sowie den darauf folgenden Erlebnissen leidet, ist sie im Moment berufsunfähig. Die einzige vorbehaltlose Unterstützung habe sie vom Weißen Ring bekommen. "Allerdings ist es natürlich schon auch so, dass man sich selbst dort quasi nackt ausziehen muss." Sie verstehe das, trotzdem sei die ganze Situation "entwürdigend".

Unterstützung aus dem Landtag 

Sie will erst erst einen Schlussstrich unter die Sache ziehen, wenn sie mit ihrer Petition Erfolg hat, sagt Stifter. An ihrer Seite weiß sie die Grünen-Landtagsabgeordnete Kerstin Celina aus Würzburg. Ihr zufolge wurde die Petition an die Staatsregierung weitergeleitet und der Gesundheitsausschuss des Landtags hat sie an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) weitergeleitet. Der G-BA bestimmt nämlich in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Es sei absolut wichtig, dass das Thema endlich aufs Tapet gebracht wird, sagt Maike Bublitz, die Geschäftsführerin des Frauennotrufs München. Das, was Gudrun Stifter passiert ist, sei ihr zwar in dieser krassen Form noch nicht untergekommen. Doch es gebe "eklatante Versorgungslücken" in Bayern für Frauen nach einer Vergewaltigung. Und Grünen-Abgeordnete Celina ergänzt: Eine Frau, die vergewaltigt wurde, dürfe "nicht auch noch einen zusätzlichen finanziellen Schaden erleiden".

Klare Forderungen an die Krankenkassen 

Für Stifter verstößt das, was sie erlebt hat, gegen die Menschenwürde und gegen Menschenrechte. Das sieht Bublitz ähnlich. Zusammen mit anderen Organisationen fordert der Frauennotruf München seit längerem, dass die medizinische und psychosoziale Versorgung von vergewaltigten Frauen in ganz Deutschland einheitlich geregelt wird. Ein entsprechendes Papier vom Mai 2021 fordert genau das, was in Stifters Petition steht - einschließlich der kostenfreien Abgabe einer "Pille danach".

Es sei ungeheuerlich, dass die "Pille danach" für Gewaltopfer auf Basis der aktuellen Rechtslage nur bis zum 22. Lebensjahr finanziert wird, findet auch Sabine Böhm von der Frauenberatung Nürnberg. Auch die CSU-Fraktion im Landtag findet die derzeitige Regelung unzumutbar. Kürzlich forderte sie die Staatsregierung auf, sich im Bund für eine verbesserte Versorgung von Vergewaltigungsopfern einzusetzen. Vor allem sollten die Krankenkassen die Kosten für die "Pille danach" übernehmen.

Gudrun Stifter jedenfalls will keine Zeit mehr zu vergeuden - jeden Tag komme es alleine in Bayern zu drei sexuellen Gewalttaten. Neben ihrer Petition gründet sie gerade mit Hilfe eines Stipendiums "eine Opferschutz-Initiative von Gewaltopfern für Gewaltopfer". Ein Ziel sei es, "Mehrfach-Viktimisierungen" durch Prävention zu vermeiden. "Gewaltopfer haben ein hohes Risiko, erneut Opfer einer Gewalttat zu werden", sagt die junge Frau. Auch bei ihr war die Vergewaltigung nicht die erste Gewalttat.