Die aktuelle Migrationsdiskussion dreht sich nach Ansicht von Wissenschaftlern viel zu stark um einen nur kleinen Teil des Migrationsgeschehens. Es sei gefährlich, dass es in der Diskussion im Wesentlichen um irreguläre Migration und Asyl gehe, schreibt eine Wissenschaftsinitiative der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in einem Forschungsbericht.
Der Fokus auf diesen kleinen Bereich "verdeckt den Blick auf die größeren Zusammenhänge und die zukünftigen globalen Herausforderungen", die mit Klimawandel, Globalisierung und demographischem Wandel einhergingen, heißt es. In dem Papier "Wir haben das geschafft - und uns verändert" bilanzieren die Forscher den "langen Sommer der Migration 2015" und leiten aus den Erkenntnissen mehrere Empfehlungen an die Politik ab, wie die MPG am Donnerstag mitteilte.
Forderungen der Wissenschaftler
Die Wissenschaftler fordern, Erkenntnisse aus unterschiedlichen Disziplinen mit Daten und Fakten über Migration zu bündeln und dies zur Basis eines lösungsorientierten politischen Handelns zu machen.
"So ließe sich Politik gestalten, statt sie im Krisenmodus kleinteilig zu verwalten und zu fragmentieren", schreiben unter anderem der Migrationsrechtler Constantin Hruschka aus München und die Anthropologin Marie-Claire Foblets aus Halle. Für Deutschland empfehlen sie, Strukturen zu stärken, die auf Bundesebene den Austausch von Politik und Zivilgesellschaft befördern.
Für essentiell halten es die Forscher zudem, "den zersplitterten nationalen Rechtsrahmen in Deutschland umfassend neu zu sortieren, zu gestalten und zu vereinfachen". Die praktischen Fragen der Migration ließen sich am besten auf lokaler Ebene lösen, heißt es. Entscheidungen müssten in Abstimmung mit Akteuren vor Ort und den betroffenen Personen gefällt, der Entscheidungsprozess müsse "transparent, gerecht und zielorientiert" gestaltet werden.
Der entscheidende Schritt
Für besonders wichtig halten die Wissenschaftler es, die Blockade auf europäischer Ebene zu überwinden. Der Streit um die Migration "gefährdet die gesamte europäische Zusammenarbeit und den Schengen-Raum", mahnen sie. Zudem fordern sie die EU auf, ihre Asylpolitik im Einklang mit den Menschenrechten zu gestalten und so den Anspruch einzulösen, ein liberales Gegenmodell zu autoritären und menschenverachtenden Politiken anderswo zu bieten.
Die "Wissenschaftsinitiative Migration" wurde 2016 gegründet. Die interdisziplinären Forschungsarbeiten bringen laut MPG Perspektiven aus Anthropologie, Politikwissenschaft, Soziologie, Rechtswissenschaften, Demographie und Geschichtswissenschaften zusammen. Insgesamt 34 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs Max-Planck-Instituten sind daran beteiligt.