Ein Kriegerdenkmal mit einem Täter

Es sind nur ein paar in Stein gemeißelte Buchstaben und Zeichen, aber die sorgen seit einigen Wochen für großen Wirbel. Auf dem Kriegerdenkmal im kleinen unterfränkischen Geroldshausen nahe Würzburg steht unter den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges ein umstrittener Name: Dr. Eduard Wirths. Der 1909 geborene Wirths war nicht irgendwer, das SS-Mitglied war ab 1942 KZ-Arzt, zuerst in Dachau, später dann auch in Auschwitz. Etliche Jahrzehnte war der Name auf dieser Tafel kein Thema. "Wie aus heiterem Himmel ist das aufgeploppt", sagt Bürgermeister Gunther Ehrhardt.

Ehrhardt ist seit zwei Jahren im Amt - und man merkt ihm, dem Zugezogenen, an, wie sehr ihm das Thema persönlich nahegeht. Er berichtet von "mehreren Phasen der Aufarbeitung der NS-Zeit" in Geroldshausen, von eigens dazu erschienenen Büchern. "Was soll man da jetzt machen", fragt er mit Blick auf den Fall Wirths: "Einfach den Namen rausmeißeln?" Wäre eine "saubere Sache", der Fall endgültig abgeschlossen, sagt Ehrhardt. Doch so einfach will er es den Geroldshäusern nicht machen. In der kommenden Gemeinderatssitzung will er für eine Informationstafel werben.

Die Rolle Wirths

Wirths war Täter. Er war als KZ-Arzt von Auschwitz beispielsweise Vorgesetzter von Josef Mengele. Er selektierte neu eingetroffene Häftlinge selbst oder organisierte die Selektionen. Damit war er direkt und indirekt an der Ermordung von kranken, schwachen KZ-Insassen beteiligt, indem er sie in die Gaskammern schickte. Wirths selbst sah sich offenbar anders.

Nach seiner Verhaftung durch die Briten äußert er sich kurz vor seinem Suizidversuch in Briefen und Schriftstücken, dass er sich nichts zuschulden habe kommen lassen und sogar versucht habe, Insassen zu helfen.

Tatsächlich gehört zur Wahrheit auch, dass Wirths nicht mit allem einverstanden war, was in Auschwitz passierte - so soll er sich in mehreren Fällen erfolgreich für Häftlinge eingesetzt haben, denen die standrechtliche Erschießung drohte. Gleichwohl bleibe Wirths vor allem Täter, sagt der Würzburger Historiker Matthias Stickler: "Er hat als KZ-Arzt Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen." Dass Wirths' Name auf dem Kriegerdenkmal in Geroldshausen steht, sei eine "eklatante Fehlentscheidung". Sie sei auch "formal falsch", denn Wirths sei nicht als Soldat im Krieg gefallen. Inhaltlich problematisch sei sie sowieso.

Denkmal ist kein Einzelfall

Es wundere ihn aber auch nicht, dass Wirths' Name dort steht, sagt der Geschichtsprofessor von der Uni Würzburg. Namen von NS-Tätern stünden vermutlich auf etlichen Kriegerdenkmälern. Solche Denkmäler gibt es erst seit Einführung der Wehrpflicht ab dem Ende des 18. Jahrhunderts. Der Kriegstod wurde - weil nun keine Söldner mehr kämpften - sinnstiftend als "Heldengedenken" gedeutet.

Diese Lesart war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gesamtgesellschaftlicher Konsens und schloss auch in Kriegsgefangenschaft gestorbene Soldaten mit ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alte Denkmäler meist um die "neuen Toten" ergänzt.

Dabei wurden mancherorts offenbar auch solche Tote mit aufgenommen, die gar keine Gefallenen im eigentlichen Sinn waren - wie auch Wirths, der nach einem Suizidversuch in einem Internierungslager für mutmaßliche Kriegsverbrecher und NS-Funktionsträger starb.

Für den Münchner SPD-Landtagsabgeordneten Florian von Brunn ein absolutes Unding: "Gedenksteine oder -tafeln für Nazi-Täter darf es nicht geben. Wirths' Name muss entfernt werden - er war kein Mitläufer, sondern bereits 1933 Mitglied der NSDAP." Auch der SA trat er damals bei, 1934 wechselte Wirths von der SA zur SS.

Weitere Fälle

Von Brunn hat sich in der Vergangenheit unter anderem dafür eingesetzt, dass das Scheingrab von NS-Kriegsverbrecher Alfred Jodl auf der Fraueninsel im Chiemsee verschwindet. Ein Mitstreiter des Ansinnens war der Münchner Aktionskünstler Wolfram Kastner.

Er hat das Scheingrab Jodls zum Beispiel mit roter Farbe beschmiert sowie "Kriegsverbrecher" daraufgeschrieben. Kastner hat zahlreiche weitere Gedenksteine und -tafeln in Bayern gefunden, in denen vollkommen unkritisch bis schönfärberisch mit der NS-Zeit und den Nazi-Tätern umgegangen wird.

Entfernen oder Infotafel anbringen?

Zu Wirths' Namensnennung sagt er: "Auf dem Gedenkstein in Geroldshausen stehen Gefallene - da hat ein SS-Mann und KZ-Arzt nichts zu suchen." Auch Kastner ist tendenziell dafür, den Namen zu entfernen, allerdings müsse die Diskussion darüber vor Ort geführt werden, die gesamte Dorfgesellschaft müsse sich der Verantwortung für einen ihrer Vorfahren stellen. Historiker Stickler hingegen wirbt dafür, den Namen auf dem Stein zu belassen und eine Infotafel anzubringen, weil so die Vergangenheit nicht einfach "bereinigt", sondern kontextualisiert werde. Das will auch der Bürgermeister: "Damit werde ich aber wohl heftig anecken", glaubt Ehrhardt.

Letzten Endes wird Geroldshausen diese Aufgabe irgendwie alleine stemmen müssen - Hilfe von außen gibt es nicht. Weder existiert eine Handreichung des Kultusministeriums, das für Denkmäler im Allgemeinen zuständig ist, noch irgendwelche Forschungsprojekte, die problematische Denkmäler oder Inschriften erfassen und dann analysieren würden, moniert SPD-Mann von Brunn.

Rechtlich keine neuen Rahmenbedingungen

Das Kunstministerium sieht keine Notwendigkeit für neue rechtliche Rahmenbedingungen - es müsse jeweils der Einzelfall betrachtet werden, heißt es auf Anfrage. Im übrigen wird auf das Landesamt für Denkmalpflege verwiesen.

Dieses wiederum teilt auf Anfrage mit, dass man zwar alle Gedenksteine erfasst habe, die Denkmäler im Sinne des Gesetzes sind: "Eine gesonderte Erfassung von Denkmälern mit belasteten Inschriften" erfolge allerdings nicht. Sollten Teile von Inschriften entfernt werden, müsse dies die Untere Denkmalschutzbehörde genehmigen. Das Landesamt sei hier "beratend tätig": "In sehr vielen Fällen wird eine Korrektur möglich sein." Das bayerische Innenministerium unterdessen verweist auf die kommunale Selbstverwaltung. Fraglich, ob das den Kommunen hilft.

Sicht eines Historikers

Dass einem kleinen Dorf als "Mikrogesellschaft" durch ein solches Thema eine Spaltung droht, scheint jedenfalls keine Rolle zu spielen. Historiker Stickler fasst es prägnant zusammen: "Gerade bei den alteingesessenen Familien gibt es oft Vorbehalte, wenn die lokale Geschichte während der NS-Zeit genauer untersucht werden soll, das erleben Historiker immer wieder."

Und in gewisser Weise sei das auch verständlich: "Wer stellt sich schon gerne hin und sagt: In unserer Familie hat es NS-Täter, Mitläufer oder Opportunisten gegeben." Für Bürgermeister Ehrhardt ist wichtig, dass die Diskussion um Wirths "im Ort ankommt" und nicht "wie von außen hereingetragen" wirkt: "Wir Geroldshäuser müssen das unter und für uns klären."