"Wer's glaubt, wird selig". Dieser Satz scheint trotz seiner Schnoddrigkeit zusammenzufassen, worum es beim Christsein geht. Hat nicht Martin Luther größten Wert darauf gelegt, dass wir "allein durch den Glauben" selig werden, das heißt von Gott die Rechtfertigung unseres Lebens zugesprochen bekommen? Und doch verfehlt die Formulierung "Wer's glaubt" das Zentrum. Denn bei dem Glauben, der nach Auskunft der Bibel selig macht, geht es nicht um ein Glauben "an etwas". Beim Glauben, der selig macht, geht es nicht darum, irgendwelche Wahrheiten, und seien sie noch so heilig, für wahr zu halten und mit dem Verstand - oder unter Preisgabe des Verstandes - zu akzeptieren.

Worum es beim Glauben geht, wird deutlich, wenn wir uns die sprachliche Wurzel des Wortes ansehen. "Glauben" kommt von dem mittelhochdeutschen Wort "geloben", das verwandt ist mit "verloben". Ich gelobe mich jemand anderem an, das heißt: Ich lasse mich ein auf eine Beziehung zu ihm, ich setze mein Vertrauen auf diese Person. Und damit sind wir beim Kern dessen, was die Bibel unter "Glauben" versteht. Es geht um ein rückhaltloses Vertrauen, um das Sich-Einlassen auf eine Beziehung zu Gott.

So wird es vom "Vater des Glaubens" berichtet, von Abraham. Obwohl er schon alt ist, lässt er sich von Gott rufen in ein fremdes Land, von dem er nichts weiß als dies, dass Gott es ihm zeigen will und dass Gott ihn auf dem Weg dorthin begleiten wird (1.Mose 12). Er verlässt seine Sippe und bricht auf, lässt sich ein auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, getragen und geführt allein von seinem "Glauben", von dem Vertrauen darauf, dass der Gott, der ihn gerufen hat, ihn nicht im Stich lassen wird.

Diese Bedeutung des Glaubens zieht sich durch die ganze hebräische Bibel. So ruft der Prophet Jesaja dem König Ahas zu, als dieser sich gegen eine militärische Bedrohung durch Bündnisse mit einer anderen Großmacht sichern will: "Verlasst euch nicht auf Waffen, vertraut darauf, dass Gott sein Volk schützen wird." Sein Appell gipfelt in dem Ausruf: "Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht!" (Jes 7,9) Dieser Glaube, den Jesaja fordert, hat etwas Verwegenes. Er steht quer zur menschlichen Logik, die Absicherungen und Garantien fordert. Dem entgegen setzt die Bibel das Versprechen Gottes: Wer sich an mich hält, wer mir vertraut und seine Selbstsicherungen loslässt, dem werde ich helfen.

Glaube ist ein lebenslanger Prozess. Immer wieder wird er auf die Probe gestellt

Glauben heißt vertrauen, sich einlassen auf eine Beziehung. Das wird auch deutlich in den Geschichten von Jesus. Immer wieder sagt er die Worte "Dein Glaube hat dir geholfen". Es trifft die Sache, wenn in modernen Bibelübersetzungen dieser Satz oft so wiedergegeben wird: "Dein Vertrauen hat dich gerettet". Denn: Worin besteht der Glaube der Menschen, denen Jesus dies sagt? Sie haben sich in ihrer Not an ihn gewandt und ihn gebeten, sie - oder einen lieben Angehörigen - gesund zu machen. Da werden keine Glaubensinhalte abgefragt, da wird kein Bekenntnis verlangt, keine Katechismusfrage gestellt. Allein die Tatsache, dass sich ein Mensch an Jesus wendet und sich von ihm Heilung erhofft, lässt ihn diese Heilung erfahren. Nichts anderes bezeichnet Jesus als "Glauben".

Ähnlich steht es auch bei Paulus. Er formuliert in Röm 3,28 den Satz, der auch für Martin Luther entscheidende Bedeutung gewinnen sollte: "So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, sondern allein durch den Glauben." Ich kann mir das Heil nicht selbst verdienen durch meine gute Lebensführung oder sonstige Leistungen. Gott schenkt mir das Heil, den Sinn meiner Existenz und das ewige Leben aus freien Stücken. Meine Rolle besteht darin, das geschenkte Heil anzunehmen.

Dieses Vertrauen muss sich oft gegen den Augenschein durchsetzen: Abraham sah nichts von den Verheißungen Gottes, im Gegenteil. Die Aussicht, dass er, der kinderlose Greis, der Stammvater einer großen Nachkommenschaft werden würde, musste unwahrscheinlich erscheinen. Trotzdem ließ er sich ein und brach auf. Und die Menschen, die sich an Jesus wandten, sahen nichts als einen abgerissenen Wanderprediger inmitten einer Schar ärmlich gekleideter Genossen. Und doch baten sie ihn um Hilfe. Sie sprangen über ihren eigenen Schatten, der sich zusammensetzt aus Ängsten und Zweifeln, aus Hochmut und Zorn.

Es ist nicht einfach, über den eigenen Schatten zu springen. Der eigene Schatten hat die unangenehme Eigenschaft, uns auf Schritt und Tritt zu folgen. Ja, je heller das Licht wird, desto stärker wird auch der Schatten, der uns anhängt. Glaube ist deshalb ein lebenslanger Prozess. Immer wieder wird er auf die Probe gestellt, immer wieder gewinnen Zweifel und Ängste die Oberhand. Auch wer sich an einen bestimmten Tag erinnern kann, an dem er oder sie "zum Glauben kam", wird feststellen, dass der Glaube immer wieder neu ergriffen werden will.

Der Glaube ist eine Beziehung, eine Einstellung, die das ganze Leben durchdringt

Es ist wie bei jeder anderen Lebensbeziehung auch: Das Jawort, das zwei Liebende einander an einem bestimmten Tag gegeben haben, ist keine Garantie bis ans Ende der Tage. Die Beziehung will gepflegt sein, schwierige oder schmerzhafte Erfahrungen wollen verarbeitet und geheilt werden, Vertrauen kann zerbrechen und wieder wachsen. So ist es auch mit dem Glauben an Gott. Auch wenn ich mich grundsätzlich entschieden habe, Gottes Anwesenheit in meinem Leben bewusst zu bejahen, habe ich den Glauben nicht ein für allemal in der Hand.

Es gibt Höhen und Tiefen, helle und finstere Abschnitte. Weil der Glaube eine vertrauensvolle Beziehung ist, ist er Entwicklungen unterworfen, er kann wachsen und abnehmen. Manchmal gehen Vertrauen und Vorbehalt Hand in Hand wie bei jenem Hilfesuchenden, der zu Jesus sagt: "Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!" (Mk 9, 24)

Und weil der Glaube eine Beziehung ist, eine Einstellung, die das ganze Leben durchdringt, kann er auch nicht ohne Folgen bleiben. Wenn ich mein Leben dem Licht der Liebe Gottes aussetze, wird diese Liebe mich verwandeln und mein Leben prägen. Nur so wird die Mahnung aus dem Jakobusbrief verständlich, "dass der Glaube ohne Werke tot ist" (Jak 2,20). Wie die Liebe zwischen Menschen dazu drängt, greifbare Gestalt anzunehmen, so will die vertrauensvolle Beziehung zu Gott das Leben des Glaubenden gestalten.