Das "Fasten der Augen" gehört zu jenen christlichen Traditionen, die auch nach Jahrhunderten kaum von ihrer Wirkung eingebüßt haben. Während der Passionszeit war es Brauch, in den Kirchen bis zum Osterfest die Altäre zu verhüllen – manchmal bereits ab Aschermittwoch, manchmal nur während der Karwoche. Dieser "Anblick des Schönen und Tröstenden", vermittelt durch oft prächtige Darstellungen des biblischen Heilsgeschehens, sollte den Gläubigen kurzfristig entzogen werden, damit sie sich auf das Leiden Christi konzentrieren.

Diese Tradition ist für Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts erklärungsbedürftig. Das Fasten wird – zu Recht – in der Regel mit Verzicht auf Genuss oder Luxus gleichgesetzt: ein paar Wochen ohne Schokolade, ohne Alkohol, ohne Handy oder ohne Auto. Die Fastenaktion "7 Wochen Ohne" setzt schon seit einigen Jahren etwas subtiler an: Da geht es darum, eingespielte Verhaltensweisen auf den Prüfstand zu stellen: keine Ausreden mehr (2011), weniger Rastlosigkeit (2017) oder mehr Mut zu Entscheidungen (2009).

Meinung macht, wer am aggressivsten die Öffentlichkeit sucht

Auch das aktuelle Motto "Sieben Wochen ohne Pessimismus" will Mut machen. Mut zu "Zuversicht!" – sogar das Ausrufezeichen gehört zum Markenkern der Aktion. Ein Fragezeichen an gleicher Stelle wäre genauso vorstellbar. Deshalb hier ein paar davon. Sind wir eine Gesellschaft geworden, in der wir von Argwohn und Verunsicherung beherrscht werden? Haben sich Ängste vor Terrorismus und Pandemien so tief in die Seelen gegraben? Sind uns Werte wie Vertrauen und, ja, auch Glaube abhandengekommen?

Sicher ist, dass wir in turbulenten Zeiten leben, in denen sich die Welt täglich, gefühlt vielleicht sogar stündlich zu verändern scheint, in denen die Realität bis auf die Grenzen ihrer Biegsamkeit getestet wird. Meinung macht, wer am schnellsten, am lautesten, am aggressivsten die Öffentlichkeit sucht – und sie auch findet.

"Fasten der Sinne"

Also: Zuversicht? Optimismus lässt sich, flapsig gesagt, nicht frei Haus liefern. Mag uns die Flut von Lebenshilfe-Ratgebern anderes versprechen – den persönlichen Weg zu finden kann durchaus eine mühevolle Aufgabe sein und manche Haltungen infrage stellen. Was im Übrigen keine schlechte Idee zur Passionszeit ist.

Gewohnheiten prägen auch das individuelle Bild von Wirklichkeit; da kann Offensichtliches genauso verdrängt oder übersteigert werden. Niemand würde ernsthaft verlangen, deshalb der Wirklichkeit einen Sichtschutz zu verpasssen. Aber ein "Fasten der Sinne" könnte die Wahrnehmung schärfen. Zuversicht! Warum nicht?