Selbst an eher düsteren Wintertagen fängt einen der Charme sofort ein, wenn man den beinahe quadratischen Kirchenraum betritt. Zwar nehmen die bunten Fenster auch einiges an Helligkeit, besonders an trüben Tagen. Doch selbst dann tauchen sie den Kirchenraum in ein freundliches Bunt. Das packt jeden Besucher schon beim ersten Besuch der Johanneskirche. So ging es vor mehr als 30 Jahren auch Brigitte Wenninger – und erst vor kurzem dem heutigen Gemeindepfarrer Lutz Domröse.

Errichtet wurde die Johanneskirche 1895 bis 1897, geplant und betreut hat den Bau der spätere Kirchenbaumeister der Evangelischen Landeskirche in Nassau, Ludwig Hofmann (1962-1933). Die Kirche wurde von der damals noch kleinen evangelischen Diaspora-Gemeinde mit nur knapp 200 Gemeindegliedern am 8. September 1897 feierlich eingeweiht – in diesem Jahr steht also das 125-jährige Jubiläum an. Die heutigen Buntglasfenster aber stammen erst aus den Jahren 1965-1967.

Die Gestaltung der Fenster ist ein Gemeinschaftswerk 

Schon beim Bau Ende des 19. Jahrhunderts wurden einige Fenster in Farbe gestaltet – bei der Renovierung der Kirche Anfang der 1960er Jahre entstand dann aber der Plan, alle Fenster mit farbigen Bibelmotiven auszustatten, erzählt Wenninger, Mitglied des Kirchenvorstands, und die vermutlich profundeste Kennerin der Kirchenfenster. 2014 und 2015 hat sie mit dem inzwischen verstorbenen Bad Neustädter Dekan Siegfried Henkel ein Buch über die Glasfenster verfasst.

Der Kunstmaler Peter Valentin Feuerstein aus dem südhessischen Neckarsteinach hatte damals die Fensterbilder entworfen – in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Gemeindepfarrer Siegfried Huß, der seine Vorstellungen mit einbrachte, sagt Wenninger. Die Inschriften stammen von Karlgeorg Hofer aus Offenbach am Main, die Herstellung der farbenprächtigen Fensterbilder lag schließlich in den Händen der Glasmalerei-Werkstätten Peter Meysen in Heidelberg, die es heute noch gibt.

Um alle Fenster zu verstehen braucht man biblische Kenntnisse

"Das gemeinsame Thema der Fenster ist Verheißung und Erfüllung", sagt Wenninger. Die Erwartung, die sich in Prophezeiungen im Alten Testament ausdrückt und deren Erfüllung im Neuen Testament geschieht. Die Kirchenfenster sind "eine Art moderne Bilderbibel", allerdings braucht es bei einigen Fensterbildern durchaus ein wenig Kenntnis biblischer Geschichten. Damit jeder Besucher weiß, auf was er gerade blickt, gibt es einen kleinen schriftlichen Fensterführer, der bei der Orientierung hilft.

"Die Fenster im Chorraum sind von unten nach oben zu ‚lesen‘", sagt Wenninger. Links etwa das Weihnachtsfenster, das unten links die Vertreibung aus dem Paradies zeigt, darüber Jesu Geburt. Auf der rechten Fensterseite findet sich unten die Ankündigung des Messias aus dem Buch Jesaja (9,1), darüber die Darstellung Jesu im Tempel. Die Rotunde über dem Weihnachtsfenster zeigt die Dornen-Krone, die auf Jesu Christi Versöhnungswerk durch sein Leiden und Sterben am Kreuz hinweist. In der Mitte des Chorraums ist ein Passionsfenster zu sehen, mit Abbildungen des Passahmahls, des letzten Abendmals, der Opferung Isaaks und dem Kreuz tragenden Jesu. Auf der rechten Seite des Chorraums schließlich das Auferstehungsfenster, das die Geschichten von Jona und dem Fisch, der Emmausjünger sowie die Weissagung des Propheten Hesekiel und den zweifelnden Jünger Thomas zeigt – darüber erstrahlt in der Rotunde die Siegeskrone für alle Gläubigen (Jakobus 1,12).

Die Anordnung der Fenster ist bewusst gewählt 

"Für mich ist es ganz schwer zu sagen, welches Fenster mich am meisten beeindruckt", sagt die Kirchenvorsteherin: "Wahrscheinlich aber die Schöpfungsgeschichte." Die große Rosette auf der Orgelempore mit sieben runden Einzelbildern steht unter dem Motto "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Es zeigt die sechs ersten Schöpfungstage aus dem 1. Buch Mose, die Entstehung von Licht, Land, Meeren, Pflanzen, Tieren und Menschen. Im Zentrum der Rosette ist Christus zu sehen.

"Besonders gelungen finde ich, dass es ‚inhaltliche Blickachsen‘ zwischen einzelnen Bildern gibt", sagt Brigitte Wenninger. So stehen sich beispielsweise das Christus-Porträt aus der Schöpfungsgeschichte im Mittelpunkt der Rosette auf der Orgelempore sowie der segnende Christus in der Rotunde des zentral im Chorraum gelegenen Passionsfenster direkt gegenüber. "Die Gemeinde sitzt also zwischen zwei Christus-Abbildungen", sagt Wenninger: "Das ist doch ein wirklich schöner Gedanke, finde ich."

Die Fenster werden auch in Gottesdienst zum Thema 

Die bunten Fenster sind aber nicht einfach nur schön oder laden zum Verweilen ein – sie werden seit jeher auch aktiv in die Gestaltung der Gottesdienste mit einbezogen. So gebe es beispielsweise ein Mal pro Monat einen Gottesdienst am Samstagabend, der allein von "Laien" gestaltet wird und bei dem unter anderem bereits das Weihnachts- und das Schöpfungsfenster zentrales Thema waren. Auch Pfarrer Lutz Domröse nutzt die Darstellungen – etwa für seine Youtube-Gottesdienste.

Seit März 2021 ist Domröse Pfarrer in Miltenberg, ein knappes dreiviertel Jahr zuvor war er zum ersten Mal in dem kleinen Städtchen am Untermain und in der Johanneskirche. "Schon mein erster Eindruck war: Diese Fenster machen die Kirche besonders." Trotz des insgesamt eher dunklen Raums erstrahle die Kirche innerlich durch die bunten Fenster – auch wenn draußen keine Sonne scheint. Das sorge für eine besondere Stimmung und biete den Akteuren in der Kirche viele Möglichkeiten.

Die Fenster sollen in ganz Miltenberg zur Attraktion werden 

Zum 125-jährigen Jubiläum des Kirchenbaus in diesem Jahr will die Gemeinde ihr Kleinod noch ein bisschen mehr in den Fokus rücken. Zum einen gibt es nämlich ein bauliches Problem. Die Sakristei ist nämlich teilweise direkt hinter das rechte Fenster des Chorraums angebaut. Trotz Oberlichtern in der Sakristei scheint das Fenster nie so hell wie die anderen. Dieses Problem soll mit einer ausgeklügelten LED-Beleuchtung erstmals in der fast 60-jährigen Geschichte der Fenster endlich gelöst werden.

Und auch ansonsten könnte man den Buntglasfenstern mehr Aufmerksamkeit auch über die Kirchengemeinde hinaus verleihen, sinniert Brigitte Wenninger. Schön wäre es beispielsweise, wenn auch in säkularen Stadtführen mal ein Abstecher zur oder gar in die Johanneskirche gemacht würde. Denn, da ist das Kirchenvorstands-Mitglied überzeugt, jeder, der die wunderbaren Kirchenfenster nicht gesehen hat bei seinem Miltenberg-Besuch, der hat ganz eindeutig etwas verpasst.

Johanneskirche Miltenberg

Burgweg 38
63897 Miltenberg


Tel.: 09371 3161
Fax: 09371 3210

Email: pfarramt.miltenberg@elkb.de

Johanneskirche | Evang.-Luth. Kirchengemeinde Miltenberg (evangelisch-miltenberg.de)

Pfr. Sebastian Geißlinger
Marktstraße 40, 63924 Kleinheubach

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