Zeitenwende. Diese historische Kategorie steht bereits jetzt über dem jungen und tragischen Jahr 2022. Seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Welt eine andere, ist nichts mehr wie es war. Das gilt natürlich vor allem und ganz unmittelbar für die Menschen vor Ort, die um ihr Leben und ihr Land bangen.
Die von dem Autokraten Putin verursachte Katastrophe zerstört die europäische Sicherheitsordnung, beendet den jahrzehntelangen Frieden in Europa. Die bedrückenden Bilder, die all das menschliche Leid zeigen, stellen auch unsere Sicht auf die Welt und wohlgemeinte Überzeugungen in Frage.
Frieden schaffen ohne Waffen?
Diese zum Beispiel: Frieden schaffen ohne Waffen. Auf Transparenten der Friedensbewegung stand dahinter in den 80er-Jahren stets ein Ausrufezeichen. Angesichts eines Aggressors wie Putin muss der moralisch völlig korrekte Slogan allerdings nun, leider, mit einem Fragezeichen versehen werden.
Denn das ruchlose Vorgehen des russischen Präsidenten zeigt, dass man auch genau andersherum argumentieren kann: Frieden schaffen durch (eine begrenzte Menge an) Waffen.
"Deutschland und Europa brauchen ein Mindestmaß an militärischen Fähigkeiten, damit Krieg unwahrscheinlicher wird"
so brachte es kürzlich die Verteidigungsexpertin Ulrike Franke in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" auf den Punkt. Die Logik dahinter: Wenn Aggressoren vom Schlage eines Putin nicht Einhalt geboten wird, machen sie immer weiter. Die Folge sind mehr menschliches Leid, mehr Blutvergießen.
Diese Logik steckt auch hinter den 100 Milliarden Euro, die die Bundesregierung in die Bundeswehr investieren will. Ob das zu viel Geld ist, wofür und wie es auf effiziente Weise ausgegeben werden sollte, all das wird in den kommenden Monaten nicht nur in der Politik kontrovers diskutiert werden. Das ist gut und wichtig.
Unterhosen-Mangel bei der Bundeswehr
Klar ist schon jetzt, dass die desolate Ausrüstung der Bundeswehr verbessert werden muss. Als es kürzlich darum ging, Soldatinnen und Soldaten ins Baltikum zu schicken, hieß es, dass es nicht genug Winterjacken gebe, dass Unterhosen Mangelware seien. Unterhosen! Das ist so peinlich, lächerlich und fahrlässig, dass auch dieser nur auf den ersten Blick abwegige Vergleich gestattet sei: Mit einem derart leeren Koffer würde keine Mutter, kein Vater die eigenen Kinder in die Skifreizeit schicken. Deutschland hat wie jede/r Arbeitergeber*in auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Ganz abgesehen davon, dass sichergestellt werden muss, dass diese auch ihrer Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung nachkommen können, sonst ist jeder Euro des bereits jetzt milliardenschweren Etats reinste Verschwendung.
Das Gesetz des Stärkeren darf sich nicht durchsetzen
Der Fürsorge bedürfen aber auch Freiheit, Frieden, Menschenrechte. Das Recht souveräner Staaten auf Selbstbestimmung. Diese fragilen Werte sind in Gefahr, wenn das Gesetz des Stärkeren das Völkerrecht plattmacht, das müssen wir gerade lernen.
Wehrfähigkeit und Diplomatie schließen einander nicht aus. Natürlich sollten Konflikte nicht auf dem Schlachtfeld ausgetragen werden, sondern am Verhandlungstisch. Doch um von Aggressoren nicht über diesen gezogen zu werden, bedarf es einer gewissen militärischen Stärke. Stichwort: Abschreckung.
Es geht nicht um ein Wettrüsten
Frieden, Sicherheit und Stabilität sicherzustellen – das kann Deutschland nicht allein stemmen. Aber als Teil einer europäischen Verteidigungsstrategie. Dafür braucht es eine einsatzfähige Bundeswehr.
Klar ist auch: An einem neuerlichen Wettrüsten kann niemand ein Interesse haben. Von einer "neuen Verteidigungsfreude", wie es die "Süddeutsche Zeitung" nannte, kann keine Rede sein. Es geht nicht darum, die Bundeswehr mit Unsummen hochzurüsten.
Sozialpolitik wird enorm wichtig in den nächsten Jahren
Mit Geld, das damit womöglich an anderen Stellen fehlt. Für wichtige sozialpolitische Maßnahmen zum Beispiel, die in den kommenden Jahren – auch dies eine Nebenwirkung von Putins Krieg – ganz besonders vonnöten sein werden. Wenn wie erwartet die Energiepreise weiter steigen, uns wirtschaftlich schwierige Zeiten drohen, dann trifft das vor allem die Schwächsten in der Gesellschaft. Diese Folgen müssen durch kluge Sozialpolitik abgefedert werden. Eine Überzeugung, an der sich nichts geändert hat.