Radlerhose, Sportschuhe und eine knallorange Weste mit reflektierenden Leuchtstreifen: So steht Pfarrer Jürgen Nitz an diesem Sommertag in der historischen Kirche St. Peter und Paul in Detwang bei Rothenburg ob der Tauber und hält einen Kelch mit Rotwein in die Höhe. Zusammen mit 26 Männern und Frauen feiert er vor dem berühmten Riemenschneider-Altar das Abendmahl.

Pfarrer Nitz: Radpilgern ist "Radfahren mit Sinn - und mit allen Sinnen"

Nitz und seine Gruppe aus Oberbayern sind auf Pilgerreise. Die 464 Kilometer von Würzburg nach Konstanz wollen sie allerdings nicht zu Fuß, sondern mit dem Fahrrad zurücklegen. Und so lehnen an der Mauer zum Kirchgarten Räder mit vollbepackten Seitentaschen, halbvollen Trinkflaschen und durchgeschwitzten Handtüchern.

Radpilgern, sagt der Gemeindepfarrer aus dem oberbayerischen Kaufering bei Landsberg, das bedeutet "Radfahren mit Sinn – und mit allen Sinnen". Anders als bei einer Fahrradtour komme es nicht auf die zurückgelegten Kilometer, die Geschwindigkeit oder Höhenmeter an. "Es geht um uns als Menschen."

Mit E-Bikes können auch ältere und kranke Menschen pilgern

Fahrräder, vor allem E-Bikes, bringen Menschen in Bewegung, die keine langen Fußmärsche bewältigen können, sagt Nitz. An der Pilgerreise nehmen eine an Rheuma erkrankte Frau teil und ein Mann, der unter Multipler Sklerose leidet. Der Pfarrer selbst ist nach einer Knieverletzung zum Radfahren gekommen.

Zehn Tage radeln die Pilgerinnen und Pilger auf dem Jakobsweg oder, wenn dieser zu eng und holprig wird, auf einer für Fahrradfahrer geeigneten Parallelroute. Dass es die alternativen Strecken für Radler gibt, ist das Verdienst von Pfarrer Nitz. Seit 13 Jahren entwirft und erkundet er zusammen mit zwei Radbegeisterten aus der Kirchengemeinde in seiner Freizeit Radvarianten alter Pilgerwege – ein aufwendiges Hobby.

Wie Pfarrer Nitz und sein Team die Pilgerrouten ausarbeiten

Im Winter sichtet der ausgebildete Pilgerbegleiter und geprüfte ADFC-Tourenleiter nächtelang Kartenmaterial am Computer und plant Routen durch Wälder und Täler, vorbei an alten Kirchen und historischen Ortschaften. Dabei kommt es ihm auf drei Dinge an: "Der Weg muss gefahrlos, möglichst verkehrsfrei und nah an der Natur sein."

Im Sommer fährt Nitz die Wege mit seinem Team ab. Bei den Erkundungstouren prüfen sie, ob tatsächlich genug Platz für Fuß- und Radpilger ist, probieren Abkürzungen und Varianten aus. Außerdem zeichnen sie die Route als GPX-Track auf – eine digitale Wegbeschreibung, die sie im Internet kostenlos zur Verfügung stellen. Denn Schilder für die Radpilgerwege gibt es bislang noch nicht.

Pilgern: Radvarianten für Jakobswege in Bayern geplant

Mittlerweile haben Nitz und seine Kollegen mehr als 3.000 Kilometer Radpilgerwege in Bayern, Deutschland und ganz Europa erkundet, erklärt der Theologe. Mit dem Fahrrad waren sie unter anderem in Taizé, Santiago de Compostela, Rom und anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 in Wittenberg. Aktuell erschließen sie Radvarianten für alle Jakobswege in Bayern im Auftrag des "Netzwerks Pilgern" der evangelischen Landeskirche, der Jakobusgesellschaften sowie dem Fahrradclub ADFC.

Zum Abschluss der Abendmahlsfeier in Detwang greift Pfarrer Nitz zur Ukulele und singt. Dann schwingen sich die Pilgerinnen und Pilger auf ihre Räder, um die letzten drei Kilometer durchs Taubertal zu ihrer Unterkunft in der Evangelischen Bildungsstätte Wildbad zu fahren. Manche haben an ihren Helmen eine Jakobsmuschel befestigt – das Erkennungszeichen der Pilger.

PILGERN IN BAYERN

Mehr als 20 verschiedene Pilgerwege gibt es in Bayern. Sie führen zu Kirchen und Klöstern, entlang an Bächen und Seen, über Berge und Felder. Eine interaktive Landkarte mit allen Radpilgerwegen und offenen Kirchen für Radlerinnen und Radler gibt es unter www.pilgern-bayern.de und www.radpilgern-bayern.de.